Batschkapp, Frankfurt, 15.06.2017
Seit 1979 sind die britischen Post-Punks KILLING JOKE unterwegs, mit Pausen und den obligatorischen Schwankungen im Line-Up. In mein Bewusstsein stießen sie erstmals 1984 nach Veröffentlichung von „Fire Dances“ – solcherlei düsteres musikalisches Zeug interessierte mich, aber ich war noch Novize und auf der Suche. Die damaligen Plattenkritiken spendeten Lob, erwähnten aber auch den massiven Knall, den Sänger Jaz Coleman (rechts) zu haben schien – Endzeitfantasien, verschwurbelte Esoterik waren sinngemäß Stichworte der damaligen Rezeption, zugegebenerweise in der Mainstream-Musikpresse. Wir hatten ja auch sonst nichts… Als regelmäßíger Besucher der Discos in der damaligen Frankfurter Batschkapp kam man ein Jahr später, als „Night Time“ veröffentlicht wurde, nicht mehr an KILLING JOKE vorbei.
Der Song „Eighties“ (dessen Basslinie später, laut KILLING JOKE, NIRVANA für „Come as you are“ geklaut haben sollen) und der Überhit „Love Like Blood“, der sich immer noch auf jeder Indie-80ies-Collection finden lässt, liefen dort in Dauerschleife. Als KILLING JOKE am 26. März 1985 live ebendort aufschlugen, war ich auch dort. Es scheint mich aber nicht so sehr beeindruckt zu haben – in den folgenden Jahren landete kein weiteres Album von KILLING JOKE auf meinem Plattenteller – und Konzertkarten von denen erstand ich auch nicht mehr. Selbst, als KILING JOKE Jahre später von der immer toleranter werdenden Metal-Szene adaptiert wurden und Stories über Coleman und Co. auch im Rock Hard erschienen, nahm ich das zwar zur Kenntnis, verfolgte es aber nicht weiter.
Im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen einzelner Mitglieder: Zum Beispiel die Alben von MURDER INC. und PIGFACE, an denen Gitarrist „Geordie“ in den Pausen von KILLING JOKE mitwirkte und die den MINISTRY-Hype der frühen Neunziger kongenial unterstützten – oder die Kollaboration von Coleman und dem Stargeiger Nigel Kennedy „Riders On The Storm – The Doors Concerto“ (veröffentlicht 2000), welche die Songs der DOORS auf anregende Art und Weise in orchestralen Rahmen setzt und dabei nicht wie eine RONDO VENEZIANO-Version einer Rockband klingt. Ein Kunststück, welches wenige beherrschen.
Coleman jedoch, der als hochintelligent gilt und vier Staatsbürgerschaften besitzt, in seiner Wahlheimat Neuseeland sowie vielen anderen Ländern arbeitet und mit Sinfonieorchestern komponiert, arrangiert auch Stücke von Kollegen neu. Er produziert, schreibt und wirkte an Filmen mit. Der Respekt, der ihm von Musikern und Künstlern aller Stilrichtungen entgegengebracht wird, ist enorm – seine launigen, emotionalen Ausfälle, besonders zu Zeiten, als er noch gerne soff, sind ebenso legendär, konnten den Respekt aber nie schmälern. Das passierte aber alles ohne mich, und ohne das Vorprogramm hätte ich die Batschkapp in dieser veranstaltungsreichen Woche bestimmt nicht aufgesucht.
Enter GRAVE PLEASURES. Die Formation, die aus der Asche der nur kurz existierenden, aber schwer gehypten BEASTMILK hervorging, verwöhnte uns Frankfurter vor einiger Zeit in etwas anderer Besetzung bereits mit einem Headliner-Gig (Bericht hier). Seitdem hat sich einiges getan: Gitarristin Linnéa Olsson ist wieder weg, ebenso Drummer Uno Bruniusson. Stattdessen jetzt am Start: Aleksi Kiiskilä, ehemals KOHU 63 (in Finnland laut Sänger Kvohst „eine Legende“) an der Gitarre sowie Rainer Tuomikanto am Schlagzeug, ein Finne, der bisher bei den Schweden SHINING in Erscheinung trat. Eine Besetzung, die komplett in Finnland lebt, was sich auf die Kompositionen des neuen, demnächst erscheinenden Albums auswirkte, bemerkte Kvohst gegenüber Noisey.
Von dieser Neuerscheinung existiert bisher erst eine Single, die auch am gestrigen Abend Gehör fand. Ansonsten bombardierte das Quintett das Publikum, welches zum größten Teil aus älteren Wave-Veteranen bestand, mit einem ausgewogenen Mix des ersten GRAVE PLEASURES- und des BEASTMILK-Albums und machte damit, soweit ich das nach dem Konzert erfragen konnte, durchaus Eindruck. Demnächst wieder als Headliner? Wäre sehr schön. Schon während ihres Gigs bedankte sich Kvohst ständig bei KILLING JOKE und auf Facebook ging das später munter weiter. Für eine Band, die die Einflüsse dieser Achtziger-Ikone so genial in die Gegenwart trägt, war das wohl einem Ritterschlag gleichzusetzen. Und die Meister lieferten.
Ein Bekannter von mir, der die Band im Lauf der Jahre verfolgte und ebenfalls anwesend war, meinte, dass „alle Studioalben der letzten fünf Jahre von KILLING JOKE klasse sind“. Ich hatte ja keine Ahnung, war aber durchaus angetan von dem ersten Doppelschlag „The Wait“ und „Autonomous Zone“ – ersterer ein Song vom Debüt, den auch METALLICA schon gecovert haben, letzterer der Opener von „Pylon“ von 2015, von dem auch noch „I am the Virus“ gegeben wurde (Videoclip dazu weiter unten). Song Nummer drei war dann schon mein Fave „Love Like Blood“ – eingeleitet mit den beschwörenden Worten Colemans: „This is for our ancestors… This is for Paul Raven…“ und noch mindestens ein Name, den ich nicht verstand. Paul Raven spielte insgesamt neun Jahre bei KILLING JOKE, unterbrochen von mehreren Pausen (Auch hier: MURDER INC. PIGFACE. Aber auch: PRONG. Und MINISTRY selber). Von ihm stammt der hypnotische Basslauf bei „Love Like Blood“, weswegen die Ansage Sinn hat. Welchen „ancestors“ Coleman huldigt, wenn KILLING JOKE wie am gestrigen Abend in Originalbesetzung auf der Bühne stehen, kann ich mir jedoch nicht erklären, vielleicht kann ein Leser ja mittels Kommentarfunktion dabei helfen.
„Eighties“ kam gleich anschließend – und mit „War Dance“ und „S.O.36“ wurde später nochmal das Debüt bemüht. „Pandemonium“ von 1994 wurde bedacht, zum Beispiel mit dem Titelsong in der Zugabe. Alles andere in dem ziemlich exakt 90 Minuten dauernden Gig wurde ab 2003 veröffentlicht.
KILLING JOKE, die in der Vergangenheit (wie viele ihrer musikalischen Nachbarn in den Achtzigern) kleine Riots im Saal entfesselten, gaben sich altersmilde und mit okkulter Durchgeknalltheit nur optisch spielend – u. a. durch den Spot, über dem Coleman meist stand und der ihn frontal von unten beleuchtete. Evil Man. Doch nur noch zum Spaß, scheints. Und den hatten die Anwesenden in der halbierten, so aber gut gefüllten Kapp – die Stimmung war grandios. Ich war froh, das mal wieder gesehen zu haben und verabschiede mich für die Zukunft wohlwollend von KILLING JOKE. Der nächste GRAVE PLEASURES-Gig ist für mich jedoch Pflicht.
Links: http://gravepleasures.tumblr.com/, https://www.facebook.com/gravepleasvres, https://myspace.com/beastmilkeverywhere, http://beastmilk.bandcamp.com/, http://www.lastfm.de/music/Beastmilk, http://killingjoke.noisemerchants.com/, https://de-de.facebook.com/killingjokeofficial/, https://www.last.fm/de/music/Killing+Joke
Text, Fotos & Clips: Micha
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