Schlachthof, Wiesbaden, 11.08.2016
Gegenwärtig sollte man das Kesselhaus des Wiesbadener Schlachthofs gar nicht mehr verlassen müssen. Jeden Tag Gitarrenarbeit vom Feinsten, von CJ Ramone über RADIO MOSCOW über KING DUDE (links) zu Metal-Klassikern bis Newcomern. Richtig geiles Zeug, das wir uns aus Kosten- und Energiegründen leider nicht alles anschauen können, obwohl wir gerne würden. Also muss eine Auswahl getroffen werden. Dass meine zum zweiten Mal in diesem Jahr den Dude beinhaltete, lag daran, dass das Konzert im Februar im Frankfurter Club „Das Bett“ (Bericht hier) so erlesen war und daran, dass hier mit FOIE GRAS eine mir unbekannte Lady dem dunklen Liedgut solo an der Gitarre frönte. Die ebenfalls aufspielenden VALIENT THORR waren für mich kein Argument, nach Wiesbaden zu fahren, sprachen aber auch nicht dagegen.
Weil Chelsea Wolfe, (nach Diamanda Galas) die Übermutter der Gothic/ Singer-Songwriter-Päpstinnen ja immer noch nicht im Rhein/Main-Gebiet gespielt hat (obwohl fast jeder ihrer Kumpels oder Labelmates bereits bei uns aufschlug), ebenso wenig wie Marissa Nadler und Emma Ruth Rundle (die uns aber im September endlich beehrt, als Support von WOVENHAND im Frankfurter Zoom), wollte ich mir nicht nachsagen lassen, mit FOIE GRAS (zu deutsch: Stopfleber) ein Highlight in solcher Tradition verpasst zu haben und erschien dementsprechend zeitig im Kesselhaus. Wenig Leute standen im Raum, ein Bekannter saß lässig an der Bühnenseite und ließ ungefähr in der Mitte des Auftritts so derbst einen fahren, dass sogar die Künstlerin dies später auf ihrer Facebook-Seite erwähnte, durchaus mit einem gewissen Respekt.
FOIE GRAS spielte die E-Gitarre im Sitzen, brachte nach einem sehr kurzen Stück (das man auch für ein Songfragment hätte halten können) eines, das „ihr Freund“ geschrieben hatte – und da neben mir im Publikum KING DUDE stand, der ihr gleichzeitig bei einer Gitarreneinstellung entweder half oder alles verschlimmbesserte, konnte davon ausgegangen werden, dass dieser damit gemeint war. Song Nummer drei begeisterte die Zuhörer, weil FOIE GRAS auf einmal wie ein Mann sang (Tat sie natürlich nicht. Sie sang, und die Technik übertrug eine maskuline Stimme. Interessant – wer weiß, wie häufig sowas benutzt wird von Musikern, die sich real ganz anders anhören).
Lied Nummer vier schnitt ich mit, um es Euch hier zu präsentieren – aber, wiederum durch das Studium ihrer FB-Seite, gewann ich die Erkenntnis, dass FOIE GRAS es nicht schätzt auf Konzerten aufgenommen zu werden. Schade, hätte eine weit reichende, werbende Wirkung gehabt, ihr Song auf unserer Website. Aber gut, wir respektieren das. Wie den ganzen, etwa 20-minütigen Auftritt der Lady aus der Gegend um San Francisco, der morbide und fragil Lust auf mehr machte. Das auf dem Gig erstandene Tape klingt weitaus beängstigender – Doom, Drone, Dark Ambient herrscht dort vor, sehr atmosphärisch. Die Anwesenden in strengem, dunklen Zwirn waren jedoch entzückt. Und verließen den Raum anschließend komplett, als VALIENT THORR denselben betraten.
Manche Zusammenstellungen machen wenig Sinn. Klar ist es cool, nicht zwei- bis fünfmal am Abend ähnliches Zeug zu hören – durch sein soundtechnisches Alleinstellungsmerkmal auf Metal-Festivals hat sich KING DUDE in den vergangenen Monaten auch dadurch seine enorme Reputation erspielt. Tritt der Dark-Folker jedoch mit Black- oder Doom-Metalbands zusammen auf, dann eint ihn mit seinen Bühnennachbarn ein gewisser Nihilismus und Skepsis den Sonnenseiten des Lebens gegenüber. VALIENT THORR hingegen lassen gesinnungstechnisch selige Crossover-Zeiten wieder aufleben, als, bei allem Problembewusstsein, „Unity“ beschworen wurde zwischen Rap, Punk und Rock’n’Roll. So voll Neunziger, halt. War wohl eine prägende Zeit für das Quintett, welches sich 2001 gründete und seit 2003 Alben veröffentlicht, eigentlich aus North Carolina stammt, aber so tut, als wäre es von der Venus.
VALIENT THORR haben mal wieder eine neue Platte draußen, und wie immer wird sie in der Fachpresse nur semi-wohlwollend aufgenommen: Ihr Mix aus Southern-Hard-Rock mit starker Punk-Schlagseite stopft soviel Informationen in ihre Stücke (musikalisch wie inhaltlich), dass es oft schwer ist, mal eine kleine Weile im Takt zu headbangen oder anderweitig zu grooven. Das macht sie aber nicht zu einer Doktorhutcombo: Musikalische Progressivität ist das auch nicht. Eher wie ein epileptischer Anfall beim Pogen. Die Botschaften werden ähnlich kompromisslos von Sänger Valient Himself dargebracht: Nach/Vor jedem Song wird in atemberaubender Geschwindigkeit doziert, gepredigt, darauf hingewiesen, was man besser tun sollte und was nicht, oft sogar mit erhobenem Zeigefinger.
Ich war fassungslos und hin- und hergerissen: Einerseits rockte die Band voller Leidenschaft, Hingabe und ansteckendem Spaß – und die fehlende Eitelkeit des Frontmanns, der nach zwei schweißtreibenden Songs obenrum blank zog und dabei ein Pac-Man-Tattoo (!) offenbarte, ließ meinen Mund offenstehen vor Bewunderung. Andererseits verrät es eine gewisse Arroganz, wenn man sich so als Oberlehrer aufspielt und sein Programm völlig ohne Interaktion herunterspult – es war schlichtweg völlig egal, ob das Publikum die Ansagen verstand. Unfassbar viel Text in kürzester Zeit wurde einem vor den Latz geknallt und auf die Resonanz der Zuhörer nicht reagiert. Programm runtergerissen und gut ist. Das nervte mich unterm Strich extrem, auch wenn die Band einpeitschte wie die Hölle. Live. Auf Platte kann ich mir das nicht anhören.
Im Gegensatz zum King. Der verwurstet auch viele Stile, schafft es aber leicht, sich mit einfachsten Mitteln in die Gehörgänge zu bohren und dort den ganzen Tag zu verweilen, so dass man „Barbara Anne“ zum Beispiel stundenlang als Begleitung hat. KING DUDE kam also zurück, präsentierte ein paar Stücke von seinem im Oktober 2016 erscheinenden, neuen Album, bei dem es ausschließlich um „Sex“ geht, viel von der „Songs of Flesh & Blood“-Scheibe sowie einiges von „Burning Daylight“; empfahl sich einmal mehr als in der Tradition gigantischer Barden wie Johnny Cash oder Nick Cave stehend und kann von mir aus ruhig in sechs Monaten wieder in der Gegend spielen.
Sogar sein meist grimmig schauender Sidekick Tosten Larson (key., git.) lockerte irgendwann auf und ergab sich in metalmäßigem Kopf-an-Kopf-Posen mit dem Frontmeister. Dem war übrigens das Rauchverbot einmal mehr scheißegal, was zu einer Diskussion mit einer leicht angetrunkenen Dame in der ersten Reihe führte, die sich wegen ihrer Handy-Filmerei und ihren ungeschickten Entgegnungen verbal vom King ziemlich auszählen lassen musste. Ich fühlte mit ihr, hatte mein Video zu diesem Zeitpunkt aber zum Glück schon im Kasten. Die Demon Brothers waren im Gegensatz zur Frankfurter Show diesmal ein Trio, welches KING DUDE bis zur letzten Zugabe großartig unterstützte – den Abschluss bestritt der King dann aber rauchend alleine. Bedankte sich pflichtschuldig bei VALIENT THORR, deren Fans längst weg waren, und erwähnte stolz nochmal FOIE GRAS. „She’s my girl“ schmunzelnd. Glückwunsch.
Links: https://www.facebook.com/FoieGrasForever/, http://foie.bandcamp.com/, https://soundcloud.com/foie, http://www.last.fm/music/Foie+Gras, http://www.valientthorr.com/, https://www.facebook.com/valientthorr/, https://myspace.com/valientthorr, http://www.last.fm/music/Valient+Thorr, https://www.facebook.com/kingdudemusic/, https://myspace.com/kingdudes, https://kingdude.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/King+Dude
Text, Fotos & Clips: Micha
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