Batschkapp, Frankfurt, 21.08.2018
Ich weiß nicht, zum wievielten Mal KING GIZZARD AND THE LIZARD WIZARD gestern in Frankfurt auftraten – im Zoom waren sie schon, das steht fest. In Berlin spielten sie, laut Visions, kürzlich das vierte Mal seit 2015. Die Locations wurden dabei immer größer, jedes Konzert war ausverkauft. Nun, das war der Frankfurter Gig gestern in der Batschkapp nicht. Aber über 1000 Besucher sollen es gewesen sein. Nicht übel für eine Formation, die erst seit 2010 existiert und in dieser Zeit 13 (!) Studioalben veröffentlicht hat, davon fünf (!!) 2017. Wer zum Teufel sind KING GIZZARD AND THE LIZARD WIZARD, und warum haben die so einen komischen Namen? Zumindest bei letzterer Frage hilft Wikipedia: In „letzter Minute“ vor einem Auftritt wurde ein Name benötigt, so heißt es da. Bandboss Stu Mackenzie kam auf GIZZARD GIZZARD, ein Mitmusiker empfahl Jim Morrisons Spitzname LIZARD KING. Heraus kam dieser Kompromiss.
Für das siebenköpfige Kollektiv aus Australien (drei Gitarren, zwei Schlagzeuge, Keyboard & Mundharmonika, Bass) mögen die DOORS durchaus als Inspiration herhalten – sicher auch die GRATEFUL DEAD, was Output und Vertriebswege angeht. Und HAWKWIND. Jede Menge HAWKWIND. Keine schlechte Empfehlung das alles, wenn man wie ich einen Hang zu Pschedelic-Rock verspürt. Schadet auch nicht, wenn man Krautrock, Hardrock, Garagenrock oder Progrock mag.
Um den Abend gesund zu überstehen war jedoch auch eine Affinität zum Punk-, bzw. Pubrock vonnöten. Zum infantilen. Leute, die „Alles zuscheißen“ von den MIMMI’S mögen, hatten wahrscheinlich eine Menge Spaß am Opener AMYL AND THE SNIFFERS, ebenfalls aus Australien. Für die Combo selbst sind die Bremer MIMMI’S natürlich kein Einfluss, sie begreifen sich eher in der Tradition solcher Down Under-Legenden wie AC/DC, um mal die bekannteste zu erwähnen. Sakrileg, in meiner Welt. Könnte mir die jungen Fans von Proto-Punk-Sounds der frühen Siebziger jedoch gut vorstellen in kleinen Clubs, wo der Schweiß von der Decke tropft.
Die neue Batschkapp wirkte für das Quartett etwas zu groß, vielleicht sogar zu steril. Die Psychrock-Fans des Headliners waren auch nicht das optimale Zielpublikum, zumindest ich war es ganz bestimmt nicht, obwohl ich solche Sounds per se schon auch mögen kann. Frontgöre Amyl ging mir mit ihrem Gequietsche und ihrer ständig raushängenden Zunge aber schwer auf den Zeiger, bin wohl zu alt für sowas. Oder zu wenig Lustgreis. So bleibt nach schwer überstandener halben Stunde für mich nur ein Vergleich aus der Gastronomie: AMYL AND THE SNIFFERS? Nicht mein Tisch.
Als etwas später KING GIZZARD AND THE LIZARD WIZARD die Bühne betraten, musste ich an eine andere Band denken, die von ihrer Attitüde her vielleicht als Einfluss durchgeht: SONIC YOUTH. Ähnlich wie diese am 1. April 1989 in der alten Batschkapp ein Konzert eröffneten geschah es auch gestern: Das Podest wurde in rotes Licht getaucht (gut, bei SY war es damals blau), die Musikanten wurschtelten ein wenig an ihren Instrumenten rum, ließen sich dann langsam aufeinander ein und kommunizierten mit eben diesen.
Das Licht im Saal ging aus, der Ordner ließ mich aber noch nicht in den Fotograben: „Die machen doch noch Soundcheck“, gab er mir zu verstehen. Ja und Nein. Der Übergang vom Soundcheck zum Konzertbeginn war ein fließender, setlist.fm nennt das „Jam“, bevor es mit „Digital Black“ von „Murder of the Universe“ losging (eine HAWKWIND-Referenz im Titel, am End‘?). Der Ordner absentierte sich, der Tourmanager ließ mich in den Graben. „Zehn Minuten“, gab er mir mit. Ist klar. Die „3 Song-Regel“ passt bei solch ausufernder Livemusik nicht mehr.
Zwischen dem Jam und dem ersten Stück gab es keine Pause, die Bühne wurde aber illuminiert: Für den Rest der folgenden fast zwei Stunden wurden bunte Projektionen auf Musiker und Hallenwand geworfen, farbenfroher und lebensbejahender als bei dem anderen großen Kollektiv, welches die Batschkapp vor einigen Wochen fulminant beschallte: GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR. Ach, Künstler und ihre Namen. Gar nicht so leicht sowas fehlerfrei zu twittern, schon gar nicht mit einem Bier in der Hand – ich weiß, wovon ich spreche.
Sieben Alben wurden livetechnisch bedacht, die Songs gingen so oft ineinander über, dass es Experten brauchte, um das Ende des einen Stückes und den Anfang eines anderen zu diagnostizieren. Experten waren aber in Fülle anwesend, viele sangen das ganze Konzert über die Texte mit. Das Ausufern der Tracks macht KGATLW auch zu einer Jam-Band. Eines ihrer fünf im Jahr 2017 veröffentlichten Werke kann man für lau runterladen, und das sogar in Masterband-Qualität, mit der direkten Aufforderung, es zu kopieren, zu teilen und gegebenenfalls sogar zu verkaufen. Hat schon was von der Mutter aller Jam-Bands, THE GRATEFUL DEAD.
„Am I in Heaven?“ von „I’m in Your Mind Fuzz“ (2014) beschloss diesen großartigen Abend, auf dem man nur „Ja“ antworten konnte. Eine Zugabe gab es nicht, scheint das neue Ding zu sein bei Livemusik. Ist bei einem zweistündigen Spannungbogen aber auch nachvollziehbarer als bei anderen Kollegen, die ihren Zugabenverzicht so ausführlich kommunizieren, dass man noch locker zwei Lieder in die Redezeit hätte packen können. Definitiv mein Tisch und ein Anwärter zum Konzert des Jahres.
Links: https://www.amylandthesniffers.com/, https://www.facebook.com/amylandthesniffers/, https://amylandthesniffers.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Amyl+and+the+Sniffers, http://kinggizzardandthelizardwizard.com/, https://www.facebook.com/kinggizzardandthelizardwizard, https://kinggizzard.bandcamp.com/music, https://www.last.fm/music/King+Gizzard+&+The+Lizard+Wizard
Text & Fotos: Micha
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