KING HANNAH & CAMILLE CAMILLE

Brotfabrik, Frankfurt, 3.04.2022

King HannahStill alive and well? Das ist Glück wie Luxus sondergleichen in Zeiten wie diesen. Während besonders empathische Menschen gerade an der Welt verzweifeln, schaffen es weniger bis gar nicht Mitfühlende langsam wieder, ein halbwegs normales Leben zu probieren – mal mehr, mal weniger vorsichtig. Pandemietechnisch – sie dauert nun mehr als zwei Jahre und ist längst noch nicht vorüber – schafft die kleinste wie großmäuligste Partei in der regierenden, sogenannten Ampelkoalition just für dieses Wochenende Tatsachen, denen man zwiespältig gegenüberstehen sollte. Aber eines steht fest: Für die besonders von dieser Krise betroffenen Branchen wie zum Beispiel Kulturschaffende oder Gastronomie-Betreibende ist es ein Segen, ihre Läden wieder öffnen zu können ohne Zeit oder Personal verschwenden zu müssen, um halbherzig und meist ineffektiv Daten zu überprüfen, die häufig gar keine Realitäten abbilden. Oder King Hannahanders: Seit diesem Wochenende existiert zwar noch das Virus, aber keine Maskenpflicht mehr. Keine Nachverfolgung. Jeder wie sie oder er das möchte, wenn es um das risikohemmende Stück Stoff vor dem Gesicht geht. An diesem ersten Sonntag im April wollte das etwa die Hälfte der geschätzt 150-200 Anwesenden.

Ausgehungert nach Live-Musik von international agierenden Künstler:innen schienen die Meisten zu sein – und sie hatten Glück, dass sie gleich einer Tour von KING HANNAH aus Liverpool beiwohnen konnten. KING HANNAH, das sind Hannah Merrick (Gesang, Gitarre) und Craig Whittle (Gitarre, Gesang). Live hatten sie noch einen Bassisten dabei, der sich nicht als Bandmitglied bezeichnen darf. Schlagzeuger Jake Lipiec auch nicht, obwohl er das Debüt-Album mit eingespielt hat. Kommt ja vielleicht noch.

Camille Camille, eigentlich Camille Willemart und auf dieser Tour das Vorprogramm bestreitend, hatte solch eine Unterstützung nicht vorzuweisen. Die Belgierin, die anscheinend gegenwärtig in Leipzig wohnt, vereinte mit ihrer E-Gitarre und ihrer wunderbaren Stimme zwei Ausdrucksformen ihrer ersten Camille CamilleLP „Could You Lend Me Your Eyes“. Es fehlte das Schlagzeug, das man bei zumindest einem Song ihres Albums hören kann sowie ein weiteres Mal ihre wunderbare Stimme, wenn sie mit sich selbst quasi im Duett singt. Wobei die eine der beiden Stimmen dabei nicht unbedingt Worte hörbar macht, sondern einfach nur erschallt: Beim Genießen vonShort Rain Song“ auf Platte vor dem Konzert meinte ich noch, eine singende Säge zu vernehmen, doch das war ein Trug: Willemarts Stimme war es, die so verzückte und dies ebenso beim Konzert tat. Stücke ihres Debüts standen naturgemäß auf dem Programm, ebenso naturgemäß bedankte sie sich beim Publikum für das frühe Erscheinen sowie bei KING HANNAH für die Möglichkeit, diese supporten zu dürfen.

Camille CamilleNach ziemlich exakt 30 Minuten fragte sie das Publikum nach der Uhrzeit, der „8:30“ auf Englisch intonierende Helfende wurde dankbar angelächelt. Für ihn hatte sich der Abend damit schon gelohnt. Zwei weitere Songs waren da noch zu spielen, einer davon auf Französisch. Beide wunderschön, wie das gesamte Set der Lady, die sich ihren Künstlernamen übrigens mit einer estnischen (Punk-)Geigerin teilt. Beide sind toll.

Aber ich war hier wegen KING HANNAH, die während relativ kurzer Zeit eine Menge an Hingabe bei ihren Fans provozieren konnten. Menschen, die einfach mal zwei oder sogar vier Tickets kaufen in der (leider irrigen) Annahme, damit Andere zu beglücken die noch nicht erahnen können, wie sehr sie damit vom King HannahLeben begünstigt werden:  Sowas findet man nicht alle Tage vor Konzerthallen. Hier gab es das. Allerdings ohne Abnehmer, weil Sonntag. In diesem Fall blieb der multiplizierte Obolus jedoch als Bonus für die Musizierenden sowie die nicht nur unter der Pandemie leidende Brotfabrik übrig, die erst kürzlich noch vom Abriss bedroht war und durch eine Anerkennung als Kulturdenkmal nun auf Verlängerung hoffen darf (mehr dazu hier).

KING HANNAHs erste Veröffentlichung war „Crème Brûlée“; ein Song, der das Besondere an dieser Formation bereits deutlich macht. Fans von MAZZY STAR bekommen Gänsehaut bei dieser perfekten Symbiose aus scheinbar King Hannahgelangweilt intonierten Vocals (deren Text mit der titelgebenden Speise nicht nachvollziehbar etwas zu tun hat) und sphärischen bis breitbeinigen Gitarren-Sounds. Es schlossen sich an: Ein meiner Meinung nach noch geileres Stück namens „Meal Deal“ mit den gleichen Attributen, aber eben noch mehr davon, sowie eine EP mit diesen beiden Schmuckstücken nebst vier weiteren Perlen.

Und dann war da noch ein Springsteen-Cover (und was für eins). „State Trooper“ vom Boss-Solo-Meisterwerk „Nebraska“ wurde oft nachgespielt; sein mit treibendem wie simplem Rhythmus unterlegter, akustischer Road-Movie lädt fast dazu ein. KING HANNAH haben das Stück genial okkupiert, die wichtigsten Trademarks beibehalten und dem Song dennoch eine eigene Note verpasst. „State Trooper“ King Hannahwar in Frankfurt bereits das zweite kredenzte Lied (sowie auf der gesamten Tour, Änderungen in der Setlist kamen scheinbar nicht vor). Ein faszinierter Besucher mit bewegungstechnisch untermalter Freude an diesem Song hatte danach jedoch schon genug und verschwand. Mehr schien er nicht hören zu wollen.

Dabei gab es noch so viel, was Anlass zur Hingabe bot. Die acht dargebrachten Lieder der Ende Februar erschienenen Debüt-Platte „I’m Not Sorry, I Was Just Being Me“ zum Beispiel. Oder Whittles immer deftiger werdenden Gitarren-Eskapaden, die die oft mit KING HANNAH assoziierten Genres Shoegaze oder Dream Pop auf einmal obsolet machten und eine Hardrock-Show offenbarten, die durch die Coolness von Merrick gleichzeitig geerdet wurde.

King Hannah

Auf Facebook berichtet ein weiterer hingebungsvoller Fan, 450 Kilometer wegen KING HANNAH gefahren zu sein und dies nicht zu bereuen, obwohl die Länge des Gigs mit ziemlich exakt 60 Minuten (dabei eine geplante Zugabe) durchaus Luft nach oben böte. Bisher hatten es diesbezüglich bloß die Hamburger besser, King Hannahdie KING HANNAH zwei Tage später noch das von mir präferierte „Meal Deal“ entlockten. Aber das ist halt immer so eine Sache mit den verwöhnten Frankfurtern. Selbst eine zweijährige Konzertflaute lässt sie nicht so eskalieren, wie es in diesem Fall den Schaffenden gegenüber angemessen gewesen wäre. Hier genießt man lieber etwas stiller. Die Kunde vom „Konzert des Jahres“ war nach der Show jedoch häufiger zu vernehmen, nachdem sich das Gehörte etwas gesetzt hatte.

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Links: https://www.kinghannah.com/, https://www.facebook.com/kinghannahmusichttps://kinghannah.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/King+Hannah, https://www.facebook.com/camillecamillehoney, https://www.instagram.com/camillecamillehoney/, https://camillecamillemusic.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Camille+Camille

Text & Fotos: Micha

Alle Bilder:

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