Frankfurt, 6. Mai 2020
Wie sagte ein Kollege unlängst zu mir: „Die Apokalypse habe ich mir irgendwie schillernder vorgestellt.“ Dem kann ich nur beipflichten. Das Corona-Virus zieht schleichend weiter seine Kreise und wir sind – zumindest was Reviews zu Live-Auftritten betrifft – nach wie vor zum Nichtstun verdammt. Doch wenn man nicht über neue Konzerte reden kann, dann wenigstens über alte: Wir blicken wieder zurück und haben aus unserem Fundus 30 Tickets aus den Neunziger Jahren hervorgeholt. Wir zeigen je 15 in diesem und dem kommenden Post, wie schon bei den Karten der Achtziger (zu finden hier) in Verbindung mit kleinen Geschichten, die wir bei den Shows erlebt haben oder anderen Begebenheiten, die uns dazu eingefallen sind. Alle Tickets können per Mausklick vergrößert werden, das kennt Ihr ja. Also dann: Flashback to the Nineties!
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The Cramps, März 1990
Kurz nach Beginn des neuen Jahrzehnts war es endlich soweit: Ich durfte eine der wichtigsten Rock’n’Roll-Bands des letzten Jahrtausends zum ersten Mal live erleben. Insgesamt habe ich THE CRAMPS vier Mal gesehen, in Düsseldorf, Lokeren, Nottingham und halt damals der Hauptstadt (!) Bonn. Fasziniert war ich beim Gig in der Keksdose vor allem von Poison Ivy, der ultracoolen Gitarristin in scharfem Outfit, die mich nahezu hypnotisierte. Geil auch, dass 1990 noch Nick Knox am Schlagzeug mit von der Partie war, er ebenso supercool. Knox stieg kurz nach der „Stay Sick“- Tour aus der Band aus. Und mittlerweile befindet er sich genauso wie Sänger Lux Interior im Rock’n’Roll-Himmel. Seufz. Support der CRAMPS waren an jenem Abend übrigens JESUS JONES, ich kann mich aber kaum an sie erinnern. Zitat eines Besuchers zum Abschluss: „Die Cramps sind ja echt geil, aber die ganzen Psychobillies auf dem Konzert nerven…“ – beim Verlassen der Halle zufällig mitgehört. (jr)
Stray Cats, Juli 1990
Unverhofft kommt oft. Ich hatte die STRAY CATS bereits im Juni 1989 in der Bonner Biskuithalle gesehen, und dann traten sie eben dort ein Jahr später schon wieder auf (Vorgruppe waren, wenn ich mich nicht täusche, RUMBLE ON THE BEACH). Das ließ ich mir, genauso wie zahlreiche Andere, natürlich nicht entgehen. Die Band hatte ja auch ihr damals aktuelles Album „Blast Off“ im Gepäck, das vermarktet werden musste. Manche hielten die neuen Songs für zu poppig und waren nicht davon angetan, dass Lee Rocker bei einigen Titeln auf einmal den E-Bass statt den Kontrabass zupfte. Ich konnte und kann mich dieser Kritik nicht anschließen. Es müssen ja nicht immer Hits und Klassiker sein, obwohl „Stray Cat Strut“ und „Rock This Town“ dann doch die beiden letzten Stücke vor den Zugaben waren. Auf jeden Fall hatte ich somit innerhalb eines Jahres mein Soll an STRAY CATS-Konzerten auf deutschem Boden erfüllt. Mittlerweile sind noch zwei auf englischem Boden hinzugekommen, so passt das schön: 2 x Bonn + 2 x Manchester. (jr)
Roger Waters ‚The Wall‘, Juli 1990
„The Wall“ war in jeder Hinsicht ein Konzert der Rekorde. Zwei Freundinnen und ich starteten unsere Reise am Freitagabend. Zuerst ging es auf eine Party im Frankfurter Raum. Direkt im Anschluss am Samstagmorgen fuhren wir nach Berlin. Obwohl wir schon mittags am Potsdamer Platz ankamen, war es fast unmöglich vor die Bühne zu kommen. Nach einer durchgemachten Nacht und jeder Menge Bier saßen wir, der Sonne ausgeliefert aber gut positioniert, und warteten auf den Beginn der Show. Zuvor mussten beim Einlass alle alkoholischen Getränke entsorgt werden, aber unseren Apfelwein hielt man wohl für Saft. Das hieß, für uns ging die Party weiter. Getränke bei einer Veranstaltung für 300.000 Menschen zu holen war sowieso kaum möglich. Dann startete endlich das Konzert: Gigantisch, echte Helikopter am Himmel, eine riesige Mauer, die zum Einsturz gebracht wurde und jede Menge Stars auf der Bühne. Den schlechten Sound, über den viele Besucher klagten, kann ich nicht bestätigen. Wahrscheinlich betraf das eher die Leute, die weiter hinten standen. Nach Konzertende ließen wir den Tag ausklingen, am Sonntagmorgen hatten wir immer noch nicht geschlafen. Auf der Heimfahrt nach Frankfurt nickte die Fahrerin am Steuer ein. Zum Glück war ich noch wach und konnte eingreifen. Die restliche Strecke fuhr ich. Wir schafften es rechtzeitig zum vereinseigenen Volleyball-Turnier. Ich spielte mit meinem Team, brach mir den Ringfinger, spielte weiter und feierte anschließend mit, bis Montagmorgen. Nie zuvor und nie danach habe ich so lang nicht geschlafen, von Freitag 9 Uhr morgens bis Montag um 1 Uhr nachts. (kn)
Cro-Mags, Juli 1991
Ach ja, das Negativ. Zwischen 1988 und 1995 war der Laden für mich so etwas wie ein Wohnzimmer und neben der Au der beste Punk-Club von Frankfurt. Dort spielten im Gegensatz zur Batschkapp (noch) unbekannte Acts und diese konnte man in der Regel vor 50 bis 150 Zuschauern erleben. Es gastierten Bands wie SHEER TERROR, NAPALM DEATH, MORBID ANGEL, SFA, M.O.D., BOLT THROWER, BRUTAL TRUTH, BEOWULF, CRADLE OF FILTH, NEUROSIS, die METEORS, BENEDICTION, AGNOSTIC FRONT, SADUS, DEMOLITION HAMMER, GODFLESH, DARK ANGEL, ACCÜSED, WEHRMACHT,
CARCASS, die MELVINS, die LUNACHICKS, ABOMINATION & MASTER, COSMIC PSYCHOS, MONSTER MAGNET, MUDHONEY und KILLDOZER – um nur einige zu nennen. Auch die CRO-MAGS gaben sich die Ehre und dies zur Hochzeit ihres Schaffens. 1991 waren lediglich die ersten beiden Alben der Formation erschienen und Basser Harley Flanagan und Shouter John Joseph – heute Todfeinde – noch ein Herz und eine Seele. Für mich war es eins der besten Hardcore-Konzerte, das ich je gesehen habe, was auch daran liegen mag, dass die ersten zwei Werke der New Yorker zum Besten zählen, was das Genre zu bieten hat. (mm)
Violent Femmes, September 1991
Die Musik der VIOLENT FEMMES kenne ich schon seit Mitte der Achtziger Jahre. Ihre ersten Langspieler „Violent Femmes“ von 1983 und „Hallowed Ground“ aus dem Folgejahr schlugen bei mir ein wie die sprichwörtliche Bombe. Ähnlich erging es meinen Freunden. Wir überlegten, wie weit wir reisen würden, sollten die US-Folk-Punker mal quer durch Europa touren. Amsterdam? Paris? Brüssel? Vieles schien möglich und machbar, allein, es blieb bei Lippenbekenntnissen. 1991 war es dann aber soweit: Das Trio kam nach Deutschland, sogar ins Rhein/Main-Gebiet. Der Gig fand nicht, wie auf der Karte angegeben, in der Frankfurter Batschkapp statt, sondern wurde verlegt in die Offenbacher Stadthalle. Klar, dass wir dabei sein mussten. Ich erinnere mich, dass ich es etwa zur Mitte des Konzerts nicht mehr in den mittleren Reihen aushielt und mich in den vorne tobenden Pit schmeißen musste. Als ich nach der Show einen Freund wiedertraf, der hinten geblieben war, war ich klatschnass. Ich entledigte mich im Foyer meines Shirts und wrang selbiges aus. Ein Sturzbach von Schweiß plätscherte vor seinen ungläubigen Augen auf den Hallenboden. Zwei Minuten später kaufte ich mir fünf Meter weiter ein Trockenes – dreimal dürft Ihr raten, von welcher Band. Dieses besitze ich immer noch, leider spannt es inzwischen ein bisschen… (sm)
Nirvana, November 1991
URGE OVERKILL war die Combo, auf die die Kritiker steil gingen. URGE OVERKILL kennt heute trotz Tarantino keine Sau mehr, schon gar nicht ihre selbstgeschrieben Songs. NIRVANA kannten zum Vorverkaufsstart auch noch nicht soo viele Menschen. Doch dann „Teen Spirit“ und die Dauerrotation auf MTV – wer sich daran nicht erinnern kann, wird davon gehört haben. Die Karte zum Konzert in der Frankfurter Batschkapp, bei dem URGE OVERKILL vor dieser Band aus Seattle eröffneten, wurde zum Wertpapier: Ohne Übertreibung hätte ich es locker zum fünffachen Preis verticken können. Ich war wirklich am Überlegen, so fett hatte ich es schließlich auch nicht. Ich tat es nicht und könnte mir auf die Schulter klopfen, weil ich NIRVANA live erlebt habe, yeah… Fühlte ich mich anschließend erleuchtet? Eher weniger. Hab in dem Gequetsche hinten sowieso wenig gesehen – und was ich hörte, war eher so semi in meiner Welt. Hätte ich das Ticket verkauft, wäre der Ärger später aber noch größer gewesen: Cobain schaffte es danach nicht mehr nach Rhein/Main. Lose/Lose-Situation, könnte man sagen. (mt)
Type O Negative, Dezember 1991
Im Juni 1991 war mit „Slow, Deep and Hard“ das erste Album der CARNIVORE-Nachfolgeband TYPE O NEGATIVE erschienen. Ein halbes Jahr später spielten die New Yorker einige Gigs in Deutschland, einen davon in der Diskothek Out in Dossenheim nahe Heidelberg. Vor dem Club wurden wir – ich hatte den Trip mit drei Kumpels angetreten – von der Heidelberger Antifa darauf hingewiesen, dass es sich bei TYPE O um eine Nazi-Band handeln würde und wir uns doch überlegen sollten, ob wir so etwas finanziell unterstützen wollen. Nun, wir waren (zunächst) anderer Meinung, hielten die Amerikaner zwar für politisch unkorrekt, aber nicht für Nazis. Wir versicherten den Antifa-Vertretern, dass wir den Laden sofort wieder verlassen würden, sollte sich ein solcher Eindruck bei uns einstellen. Bereits beim Opener PUNGENT STENCH fielen uns unter den rund 150 Anwesenden auch etwa 20 Nazi-Skins auf, die vom Veranstalter geduldet wurden. Kurz vor der Show von TYPE O betrat deren Sänger Peter Steele unter großem Applaus die Bühne und wurde von eben jenen Nazis kollektiv mit dem Hitlergruß empfangen. Steele sah dies, freute sich und erwiderte den Gruß. Für uns war der Abend damit gelaufen, wir verabschiedeten uns nach dem Song „Race War“ fingerzeigend, verlangten das Geld für die zuvor erworbenen Shirts zurück und fuhren ziemlich angepisst zurück nach Hause. Auch solche Konzerte bleiben in Erinnerung. (mm)
The 4th Night of Living Psychobilly, April 1992
Ich habe das Ticket zu der „4th Night of Living Psychobilly“ stellvertretend für all die Festivals in den 90ern herausgegriffen, anlässlich derer wir zu Orten reisten, die man sonst eher meidet: Herford, Alsfeld, Riem, Dinslaken, Essen, Gütersloh, etc., in diesem Falle halt Iserlohn. Außerdem finde ich das Design der Karte schön. Michelangelos Erschaffung Adams passt einfach perfekt zu Mehrzweckhallen mit Parkplätzen, auf denen sich zahllose Asoziale an den Kofferräumen ihrer Schrottkarren mit Dosenbier volllaufen lassen, während sich die Fraktion in schwarzen T-Shirts mit der mit bunten Haaren prügelt. Musikalisch wurde natürlich auch was geboten, hier zum Beispiel für mich das erste Mal der kultige Horror-Rocker und Politiker SCREAMING LORD SUTCH – coole Bühnenshow einschließlich dramaturgischer Einlagen bei „Jack the Ripper“ und Ermordung Margaret Thatchers. Ich habe ihn danach noch ein paar Mal gesehen und auch persönlich getroffen. Traurigerweise litt er an Depressionen und erhängte sich 1999, so wie fünf Jahre zuvor Simon Brand, der Frontmann von TORMENT, mit denen er damals in Iserlohn die Bühne teilte. RIP. (jr)
Bruce Springsteen, Juni 1992
Eine schöne Frage für das nächste Pubquiz, falls es irgendwann mal wieder dazu kommen sollte: Wie oft hat Bruce Springsteen in Frankfurt gespielt? Die Auflösung hat mich auch etwas überrascht, es waren nämlich insgesamt zehn Konzerte, die der Boss seit 1981 in der Mainmetropole gab. Zudem gastierte er 1996 mit seiner Band im OFC-Stadion in Offenbach. Das Besondere an den Shows 1992 war, dass er gleich zwei Mal nacheinander in der Festhalle spielte, nämlich am 25. und am 26. Juni. Ich wollte unbedingt eine Karte für den 25. Juni, da am 26. das Endspiel der Fußball-EM geplant war und ich fest mit einer Teilnahme meiner niederländischen Mannschaft rechnete (was dann leider nicht so kam). Nun gut, ab nach Frankfurt, wo Bruce ohne seine langjährigen Weggefährten von der E STREET BAND unterwegs war, sondern mit einer neuformierten, jungen Truppe, die auf den neuen Alben „Human Touch“ und „Better Days“ zu hören war. Ob es darum doch verhältnismäßig ruhig war in der Festhalle? Mühelos konnte ich bis zum Bühnenrand spazieren und eine gute, aber nicht ganz überzeugende Show erleben. Es war, als ob man einer sehr guten Coverband bei der Arbeit zusah. Nur Bruce, ja, der ist und bleibt halt der Bruce und gibt immer alles: Er brüllte, er sprang über die Bühne und er schwitzte. Ruhig wurde er dann erst wieder bei der letzten Zugabe „My Beautiful Reward“. Allein für diesen Song hatte sich der Gang zum Konzert schon gelohnt. (evr)
Sub Pop Festival, Februar 1993
Ein weiteres Highlight, das ich im Negativ erleben durfte, war das Sub Pop Festival im Jahr 1993, welches gleich drei hochkarätige Acts bereithielt: Die SUPERSUCKERS, REVEREND HORTON HEAT und die DWARVES. Alle drei sind heute große Bands, damals standen sie noch am Anfang ihrer Karrieren, was wohl der Grund dafür war, dass sich lediglich etwa 50 Leute in dem Club einfanden. Als Opener fungierten die SUPERSUCKERS, die zu jener Zeit erst zwei Alben am Start hatten und somit nur gute und vor allem verdammt schnelle Songs spielen konnten. Das Outfit der Jungs – sie trugen alle einheitliche
Overalls – war jedoch gewöhnungsbedürftig. REVEREND HORTON HEAT blickten erst auf eine Platte zurück, lieferten aber die beste Performance des Triples. Und die DWARVES legten einen ihrer berüchtigten Zehn-Minuten-Auftritte hin, den ein Kumpel komplett verpasste, weil er kurz weggegangen war, um einen Döner zu essen. Am Merchstand gab es ein exklusives Poster in Form eines limitierten Prints zu erstehen, auf dem eine leichtbekleidete Dame einen Hot Dog in Händen hielt. Ihr Haupt zierte eine Krone mit der Aufschrift „Frankfurter Queen 1993“ – ein nettes Andenken an einen herausragenden Konzertabend. (mm)
Poison Idea, April 1993
Das Negativ war, wer sich daran erinnern kann, eine kleine Underground-Disco in Sachsenhausen mit niedriger Decke und wenig Licht. Sie war für mich perfekt zu erreichen, da ich keine hundert Meter entfernt meine erste Wohnung in Frankfurt bezogen hatte. Als Student der Sportwissenschaften war ich damals auch ein sehr sportlicher Trinker und kann mich daher nicht wirklich an den ganzen Konzertabend erinnern. Eine Szene hat sich jedoch in mein Gehirn gebrannt und die Show für mich unvergesslich gemacht: Die großen, schwarz
gekleideten Schwergewichte (mindestens drei über 100 Kilogramm) standen auf der spärlich beleuchteten Bühne, spielten einen harten Punk-Song und Sänger Jerry A. spuckte an die mit Staub und Spinnweben verhangene Decke. Während Jerry einen irren Blick ins Publikum warf, zog das Gemisch aus Spucke und Dreck einen langen Faden. In dem Moment, als sich der Tropfen von der Decke löste, blickte Jerry wieder nach oben und fing den ganzen Schmodder in seinem Mund auf. Das Stück lief weiter, als sei nichts gewesen. Punk-Rock! (kn)
Cult-Ya 93 Festival, August 1993
Northeim liegt ungefähr zweieinhalb Stunden Autofahrt von Frankfurt in nordöstlicher Richtung entfernt und beherbergt eine wunderschöne, an ein Amphitheater erinnernde Waldbühne. Auf dieser fand im Sommer 1993 das Cult-Ya-Festival statt, bei dem sich mit den RAMONES und den CRAMPS gleich zwei New Yorker Kult-Bands die Ehre gaben. Damit nicht genug, wurde das Line-up von der englischen Goth-Legende SIOUXIE & THE BANSHEES, den deutschen Punk-Heroen SLIME und den damals sehr angesagten, ebenfalls deutschen Punk-Rockern THE BATES (was ist denn eigentlich aus denen geworden?) komplettiert. Das Wetter war grandios, das Gelände bestens gefüllt und besonders die Auftritte der CRAMPS und der RAMONES sind mir noch in bester Erinnerung – auch wenn es etwas gewöhnungsbedürftig war, die CRAMPS bei Tageslicht zu sehen. Frontmann Lux Interior schien damit allerdings keine Probleme zu haben, er performte wie gewohnt in Lack und Leder und mit High Heels. Aufnahmen des Festivals gibt es – zumindest von den CRAMPS, von SIOUXIE und von SLIME – bei YouTube zu sehen. (mm)
Liza Minnelli, Ray Charles, Shirley Bassey, November 1993
140 Mark waren schon eine Ansage für ein Konzert in der Festhalle – eine extrem günstige, bedenkt man, was diese Akteure sonst für ihre Headlinerauftritte forderten. Shirley Bassey, Ray Charles sowie Liza Minnelli auf einer Bühne, relativ showlos – aber wer braucht das schon, bei diesen Entertainern. Bassey begann – wie ein Newcomer im Vorprogramm 45 Minuten lang – und gab uns ihren Bacharach und Bond. Charles danach, keiner spielte „Georgia On My Mind“ so hingebungsvoll wie er. Doch dann die Göttin, Liza Minnelli, damals stimmlich wie konditionell voll im Saft. Tränen der Freude und Ergriffenheit waren bei den Gästen in den ersten Reihen zu sehen, als der Star aus „Cabaret“ und „New York, New York“ zum Greifen nahe schien. Auch meine. Ihr Konzert ein paar Jahre vorher in der Alten Oper war zwar weitaus länger– das schlug mit 280 Mark allerdings noch viel kostspieliger zu Buche. Und wisst Ihr was? Beide waren es wert. Jede einzelne Mark. (mt)
Spermbirds & Carter U.S.M., November 1993
Warum auf der Konzertkarte die Frankfurter Music-Hall als Veranstaltungsort angegeben ist, kann ich heute nicht mehr sagen. Fest steht, dass die Shows in der Batschkapp über die Bühne gingen. Ich erstand das Ticket, um das erste Mal die Briten CARTER THE UNSTOPPABLE SEX MACHINE zu erleben, die bis dahin nur aus der Konserve zu meinen Lieblingsbands zählten. Sie wurden an diesem Abend ihrem Ruf als fantastischer Live-Act gerecht. Von der Vorgruppe namens SPERMBIRDS hatte ich zuvor noch nie gehört. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt weder, dass der Frontmann Ken Haus sowohl Nachfolger als auch Vorgänger eines gewissen Lee Hollis war noch dass er mit den übrigen Bandmitgliedern im Clinch lag (was 1995 in der zum Glück nur vorübergehenden Bandauflösung gipfelte). Das hätte mir auch egal sein können, denn was sich da während des Auftritts abspielte, ließ mich in Nullkommanichts zum Die-Hard-Fan werden. Was für eine Energie! Unvergesslich ist mir in dem Zusammenhang, wie Glatzkopf Haus im August 1995 beim Bizarre-Festival in Köln (es war sein letztes Konzert mit den SPERMBIRDS) einen riesigen Fernseher aufs Podest schleppte, sich mit blonder Strubbelperücke daraufstellte und fortan über die Kommerzialisierung der Musik durch die Popkomm und MTV wetterte. Später sprang er mit Anlauf mehrere Meter über den Fotograben ins Publikum und zog sich zum Schluss noch komplett aus, Letzteres zwar auch festgehalten von den Kameraleuten des WDR, aber nie gesendet. Ich bin dieser großartigen Hardcore-Punk-Formation (seit der Reunion 1999 wieder mit Hollis am Mikro) all die Jahre treu geblieben und habe sie bis dato noch etliche Male gesehen. (sm)
Link Wray, Dezember 1993
Als ich 1993/1994 in der Bretagne studierte, hatte ich das Glück, dort neben Bands wie THEE HEADCOATS oder DEMENTED ARE GO auch die absolute Legende Link Wray, den düsteren Gitarrengott, Shawnee, Rebell mit fehlendem Lungenflügel und Erfinder des Powerchords live zu sehen. Er trat im Rahmen des seit 1979 jährlich stattfindenden Festivals „Rencontres Transmusicales“ (kurz „Les Trans“) auf und begeisterte mich mit seinen Killer-Instrumentalstücken wie etwa „Rumble“ (das wohl einzige Lied, das im amerikanischen Radio aus Angst vor dem Aufruf zu Gewalttaten nicht gespielt werden durfte, obwohl es gar keinen Text hat!). Es gab aber auch Songs mit Gesang, darunter Bruce Springsteens „Fire“. Link Wray war übrigens nach seiner Tuberkuloseerkrankung und Lungenoperation in dem 50ern von den Ärzten gesagt worden, er werde nie wieder singen können. Na ja, in Rennes zumindest konnte er es noch. Von den anderen Bands des Abends gefielen mir auch DASH RIP ROCK und GOOBER AND THE PEAS, beide eher im Bereich Cowpunk anzusiedeln. Bei den Letzteren war übrigens Jack White von den späteren WHITE STRIPES Schlagzeuger. Ob er an jenem Abend an der Schießbude saß, weiß ich leider nicht. Der Mann war mir damals kein Begriff. (jr)
Teil 2 mit weiteren 15 Konzertkarten der Neunziger folgt in ein paar Tagen!
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Texte: Marcus (mm), Jan (jr), Stefan (sm), Kai (kn), Micha (mt), Eric (evr)