Jahrhunderthalle, Frankfurt, 1.12.2015
Es muss nicht immer Punkrock, Hardcore oder Metal sein. Auch nicht in diesem Blog. Und weil das so ist, haben sich gleich drei von uns aufgemacht, um die Elektro-Pioniere KRAFTWERK auf ihrer schon kurz nach dem offiziellen Vorverkaufsstart ausverkauften 3D-Tour in der Frankfurter Jahrhunderthalle zu sehen. Habt Ihr etwas verpasst? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da unsere Meinungen zu der Show durchaus kontrovers ausfallen. Was gefallen hat und was nicht, könnt Ihr im Folgenden lesen.
Micha – Stefan – Marcus
Ich war so dankbar, an dem Tag später zur Arbeit gehen zu können. Der Tag, an dem die aktuell laufende Tour von KRAFTWERK in den Vorverkauf ging. Anzunehmenderweise würden die Tickets im Null Komma Josef vergriffen sein, doch ich wollte es zumindest versuchen. Eine Legende weilt in Frankfurt, eine, deren Alben ich oft und sehr gerne höre. Vorzugsweise, wenn ich spät nachts am PC werkele und dabei chilliger Musik lausche – Musik, die auch leise funktioniert und mit vielen Wiederholungen glänzt. Hat was sehr Entspannendes.
Dass KRAFTWERK konkurrenzlos als Einfluss für Musikszenen gelten, zu denen ich selten Zugang habe, würde mich nicht dazu bringen, die Formation beispielsweise in Düsseldorf zu besuchen. Aber Frankfurt? Ein Must-see. Sahen eine Menge Menschen so, die Karten waren in knapp drei Tagen alle weg. Ich hatte tatsächlich Glück und ergatterte eine, zwei Kollegen dieses Blogs erging es ebenso. In den Wochen danach hagelte es noch diverse weitere Konzerttermine für den Zeitraum zwischen dem 30. November und dem 4. Dezember, aber nach dem dritten gekauften Ticket war aus konditionellen Gründen Schluss. Dass ausgerechnet ARMORED SAINT eine ihrer seltenen Headlinershows am 2.12. absolvieren sollten war sehr ärgerlich, aber nicht zu ändern. Nach KADAVAR und KRAFTWERK musste ein Tag Pause her, bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Umso ärgerlicher, weil sich der Besuch der Jahrhunderthalle aus meiner Sicht als völlig überflüssig herausstellte.
Denn warum gehe ich gerne zu Liveshows? Weil ich spannende musikalische Momente erleben will, die so eben nicht auf der Tonkonserve zu hören sind. Das spricht jetzt mehr für Rock, Jazz, Funk oder Country als für Techno und dergleichen, klar. Und dass KRAFTWERK nicht für adrenalingeschwängerten Bühnenparcour stehen war mir auch nicht fremd. Trotzdem ist es mir viel zu wenig für ein Liveevent, Menschen dabei zuzusehen wie sie vor (zugegebenerweise) recht hübschen Videoanimationen am Pult stehen und irgendwelche Tasten drücken (falls überhaupt).
Der Gipfel der Einfallslosigkeit war jedoch die Tatsache, dass man von verdienten musikalischen Innovatoren ein steriles Best Of vorgesetzt bekommt, ohne neue Reize in Form von Remixen oder dergleichen. Alles da, was man so hören wollte, ja. Aber: Was für viele ein Qualitätsmerkmal darstellt, ist für mich eher eine künstlerische Bankrotterklärung. Sattsam bekannte Arrangements in einer Weise zusammen gepfercht, wie sie auf Hit- Kompilationen üblich ist, spannungsarm zelebriert. Das war Retro pur, nicht das KADAVAR-Konzert einen Tag vorher. Mir ist es vollkommen unverständlich, dass es Menschen gibt die Kohle und Zeit dafür opfern, das Ganze nochmal zu erleben.
KRAFTWERKs Musik mag ich nach wie vor, live will ich die nie wieder sehen. Schade um die vertane Zeit beim Tickets ordern und beim Rumstehen in der Jahrhunderthalle. Schade auch um ARMORED SAINT. Verzeiht mir.
Micha – Stefan – Marcus
Schon im Mai musste auf Zack sein, wer eines der begehrten Tickets für die Deutschland-Tour von KRAFTWERK im November und Dezember erstehen wollte. Warten auf Entlastung der unter dem Ansturm kapitulierenden Server beim Online-Vorverkaufsstart, personalisierte Karten, Abgleich mit dem Personalausweis am Konzertabend, was tat man nicht alles, um dabei sein zu können, wenn das Quartett mal in erreichbarer Nähe auftritt. Im Vorfeld verkündet wurde eine Show „in 3D“ und ich amüsierte mich daraufhin erstmal über den Tweet eines örtlichen Veranstalters, der verlauten ließ: „Bei uns finden ALLE Konzerte in 3D statt. Manche sogar in 4D!“.
Doch genug gescherzt. Die KRAFT-Werke sind hinlänglich bekannt, mich interessierte vor allem die Umsetzung des angekündigten audiovisuellen Konzepts. Da ich nicht zu den Menschen gehöre, die sich im Kino einen Film nach dem anderen in 3D reinpfeifen, ließ ich mich gänzlich unbelastet und von allen Erwartungen frei auf einen Sitzplatz im oberen Rang fallen (jaaa, das darf man sich auch mal gönnen) und wartete ab, welche Form die Bespaßung annehmen würde. Und, abgesehen von der zu erwartenden Musik, kam da einiges auf mich zu:
Zum Beispiel rauschte mir mit Affenzahn ein riesiger Satellit entgegen, um im letzten Moment abzudrehen, ich war Gast in der Kanzel eines Weltraum-Gleiters mit Blick auf die Erde, der „Trans-Europa-Express“ zog an mir vorbei und ich schlängelte mich durch den Verkehr auf der „Autobahn“. Dazu noch jede Menge Zahlen, Noten oder Anderes, das im großen, weiten Rund der Jahrhunderthalle über den Köpfen tausender, 3D-bebrillten Menschen schwebte, um sich Sekunden später wieder in Nichts aufzulösen. Dazu der prächtige Sound der Konzertarena, beides zusammen für mich beste Unterhaltung für Augen und Ohren.
Als kleines Manko kann ich höchstens aufführen, dass mir viele der KRAFTWERK- Tracks um mindestens ein Drittel zu lang sind. Was vielleicht an meiner Punkrock-Sozialisation liegt, da schätzt man es eher kurz und knackig. Auch mit den technoiden Clubsounds, ausgewalzt auf XXL-Länge im Song „Tour de France“, konnte ich nicht viel anfangen. Das sprach wiederum die jüngeren Leute im Publikum an, die man ab und an aufkreischen hörte. Für mich taten es die
„Klassiker“ wie „Radioaktivität“, „Computerwelt“, „Das Modell“ oder „Die Mensch Maschine“. Und natürlich, in diesem Punkt dürfte sich das Gros der Besucher einig gewesen sein, „Die Roboter“ mit den synchron agierenden lebensgroßen Figuren, zweifellos der Höhepunkt der Show und des Abends.
Ob die aus Fleisch und Blut bestehenden Jungs an den Stehpulten auf der Bühne nun ein paar zusätzliche Tönchen kreierten oder sich gegenseitig Emails schickten, war mir ehrlich gesagt egal. Für mich war es das Gesamtkonzept, das zählte: Unten die Erfinder, fein aufgereiht in ihren uniformen Anzügen, darüber schwebte in Tonwellen und Animationen das Beste ihres Werks, und das ist unwidersprochen ein Großes. Mir hat das Freude gemacht und ich bin froh, dabei gewesen zu sein.
Micha – Stefan – Marcus
Es gibt Bands, die man als musikinteressierter Mensch einmal im Leben gesehen haben sollte, ganz gleich, welche Genre-Vorlieben man hegt. KRAFTWERK ist einer dieser Acts, wobei ich gestehen muss, dass ich mich nie näher mit der Düsseldorfer Formation beschäftigt habe und auch nur wenige Scheiben der Elektro-Pioniere meine Sammlung zieren. Den gestrigen Auftritt wollte ich nutzen, um dieses Versäumnis nachzuholen.
Denke ich an KRAFTWERK, denke ich vor allem an einen legendären Auftritt aus dem Jahr 1970 in Soest, der vom WDR mitgeschnitten wurde und seit geraumer Zeit hier bei YouTube zu sehen ist. Damals hatte sich die Gruppe ORGANISATION gerade in KRAFTWERK umbenannt und vermutlich eines ihrer ersten Konzerte dargeboten. Interessanter als der Auftritt sind dabei die Reaktionen des Publikums, die von Kopfschütteln, über Ohrenzuhalten bis hin zu rhythmischen Geklatsche und ekstatischen Zuckungen reichen. Die Anwesenden dürften vermutlich nie zuvor mit derart orgiastischen Klang-Collagen konfrontiert worden sein. Dies war neu, ungewöhnlich, anders und verstörend und legte, wie wir heute alle wissen, den Grundstein für eine völlig neue Art der Musik.
Ehrlich gesagt wäre ich lieber beim besagten Gig 1970 dabei gewesen. Da aber die Zeitmaschine noch nicht erfunden ist, stand ich nun in der ausverkauften Jahrhunderthalle und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Die aber, um mein Resümee vorweg zu nehmen, sollten mich nicht begeistern. Ja, es war ungewöhnlich, vier Männer nebeneinander an Schaltpulten stehen zu sehen, aber leider konnte man nicht sehen, was genau die Herren da überhaupt trieben. Auf mich wirkte das Ganze, als ob der Soundmischer eine Best-of-CD eingelegt und „Play“ gedrückt hätte und die Männer an den Pulten nun Solitaire spielen oder im Internet surfen würden. Es wäre technisch sicherlich kein Hexenwerk gewesen, auch mal auf der Leinwand zu zeigen, welche Regler dort gedreht werden.
Die „3D-Show“ empfand ich als enttäuschend. Hier wurde mit primitivsten Mitteln und völlig veralteten Grafiken Effekte dargeboten, die ich bereits in Kinofilmen in den Achtziger Jahren besser gesehen habe. Und wenn die Absicht darin bestand, das Geschehen möglichst „retro“ wirken zu lassen, dann war es für meinen Geschmack nicht „retro“ genug. Nett hingegen war die Einbindung der Jahrhunderthalle auf dem Bildschirm, über der ein UFO (Foto oben) kreiste. Am meisten enttäuscht hat
mich allerdings die Tatsache, dass alles sehr bieder, brav und konventionell dargeboten wurde. Ich hätte zumindest einen Song erwartet, der das Innovative, das Ungewöhnliche und das Revolutionäre widerspiegelte, das die Band einst ausmachte oder der vielleicht sogar neue Akzente setzen würde. Stattdessen gab es ein zweistündiges Hit-Potpourri zum Mitklatschen, dessen einziger Höhepunkt die Roboter waren, die beim gleichnamigen Song in Erscheinung traten. Für mich war das Ganze ein enttäuschendes Live-Erlebnis, von dem ich wesentlich mehr erwartet hatte.
Links: http://kraftwerk.com/, https://de-de.facebook.com/KraftwerkOfficial, https://myspace.com/kraftwerk, http://www.last.fm/de/music/Kraftwerk
Text & Fotos (17): Marcus / Text & Fotos (6): Micha / Text: Stefan
Clips: aufgenommen am Konzertabend von ItsAlex22
Alle Bilder: