KROKUS

Colos-Saal, Aschaffenburg, 21.05.2014

KrokusSehr ambivalent war mein Verhältnis zu der, bereits seit 1975 existierenden, Schweizer Hardrock-Band KROKUS. In meinen persönlichen Dunstkreis gelangte sie Anfang der 80er. Ich fing gerade an, mich für härtere Rockmusik zu interessieren und war MOTÖRHEAD sowie deren psychedelischer Großtante HAWKWIND bereits verfallen, als 1982 just diese HAWKWIND eine Tour durch die BRD starten sollten. Ich konnte damals noch nicht erahnen, dass das eine Nachricht mit Seltenheitswert war und ist, wollte das aber unbedingt mitnehmen, auch wenn zwei Faktoren dies für mich damals etwas erschwerten. Zum einen die Tatsache, dass die von Frankfurt nächstgelegene Show in der Wartburg in Wiesbaden stattfand und ich bis dato noch nie so eine weite Konzertreise angetreten hatte, ohne von Papa gefahren zu werden – zum anderen der unglückliche Umstand, dass HAWKWIND nur im Vorprogramm auftreten sollten. Im Vorprogramm eben der Schweizer Hardrocker KROKUS.

In meinem sich gerade langsam konstituierenden Metalkreis tauchte schon die eine oder andere KROKUS-LP auf. Vor allem ein AC/DC-liebender Freund benutzte diese als Substitut seiner Lieblingsband, was hauptsächlich an der KrokusStimme von Marc Storace lag. Die Gerüchte über dessen Verpflichtung als Nachfolger von Bon Scott machten von der Stimmlage her durchaus Sinn. Nun war aber 1982, AC/DC hatten Brian Johnson längst eingetütet und KROKUS hatten eine neue Scheibe namens „One Vice at a Time“ draußen, mit der sie auf Tour gingen. Der Opener dieses Albums machte mehr als deutlich, warum die Spacerock-Hippies von HAWKWIND sich mit dieser Tour Krokusunter Wert verkauften: „Long Stick Goes Boom“ ist als Allegorie auf, man verzeihe die Deutlichkeit, das „Abspritzen“ eines Haufens erwachsener Männer, die zudem als Prog- Kombo begonnen haben, mehr als unwürdig. Die musikalische Ähnlichkeit zu „For Those About to Rock“ von AC/DC tat ein Übriges, um die Band als Möchtegernhaufen abzutun, höchst blamabel, befand ich. Und hörte Songperlen wie „Down the Drain“ auf dem gleichen Werk schon gar nicht mehr zu.

Um mich 1982 völlig fertig zu machen, sagten HAWKWIND auch noch die Tour ab – in Zeiten vor dem Internet und Twitter war das erst an Ort und Stelle zu erfahren. So soff ich mich in der Wartburg fluchend zu, fand alles scheiße und Krokuspervers, asozial und blöde. Und ignorierte hartnäckig, dass bei jedem Schluck meine Glieder mehr wackelten und ich nach dem Konzert schweißgebadet zum Auto getragen werden musste. Schlechte Abende sehen anders aus.

2014. KROKUS gehen auf Tour. Auf „Long Stick Goes Boom“- Tour. Beworben wird das gleichnamige Livealbum. Alte Säcke, denen nichts peinlich ist, anscheinend. Im Wesentlichen derselbe Metalkreis, der 1982 gen Wiesbaden pilgerte, überlegt 2014 die gemeinsame Reise nach Aschaffenburg. Spielt ja sonst nichts Gescheites an dem Tag, könnte man ja mal machen, sind doch eigentlich ganz witzig, die älteren Herren. Außerdem gibt es Schlappeseppel im Colos-Saal. Gebongt.

Vor dem erneuerten musikalischen Abspritzversuch stand jedoch eine Hürde, die genommen werden musste: Eine weitere Schweizer Hardrockband namens CRYSTAL BALL. Nach CRYSTAL BREED vor Uli Jon Roth und CRYSTAL VIPER vor MANILLA ROAD die dritten Kristalle innerhalb eines Jahres und für mich mit Abstand die uninteressantesten. Nun ist es ja kein feiner Zug, wenn sich fünf Leute beseelt und kompetent auf der Bühne abrackern und sich ein kleiner, Crystal Ballunkreativer Motzkopf im Publikum wie ich im Nachhinein darüber lustig macht – schon klar, verstehe ich, mache ich auch nicht. Ich weise lediglich darauf hin, dass das musikalisch nicht unbedingt meins war, von den PRETTY MAIDS-Leibchen tragenden Gästen jedoch sehr positiv aufgenommen wurde. Ich fand das in Ansätzen durchaus brauchbar und hätte mir das Ganze auch bis zum Ende angeschaut, bis der aus Wuppertal Crystal Ballstammende Sänger Steven Mageney (links) einen älteren, vor seiner Zeit entstandenen Song ankündigte. Einen Song über einen „sehr guten Freund von ihm“. Hä? Mit „He Came to Change the World“ folgte dann eine musikalische Bibelstunde, während derer ich mich, innerlich um eine WATAIN’sche Blutdusche bettelnd, umdrehte und die Band bei ihrem klerikalen Treiben alleine ließ; schließlich habe ich das mit meiner Religionsgemeinschaft auch so gehalten.

KrokusZwei Schlappeseppel später wurde die Rauchpause der diesbezüglich stark ausgehungerten, größtenteils über 40 Jahre alten Gäste im Saal ausgenutzt, um wieder nach vorne zu kommen. Enger als gewohnt im Colos-Saal ging es zu, an zwei juvenilen Muskelprotzen in Reihe zwei kam ich nicht vorbei. Machte nichts, die Bühne der Location ist ja schön hoch. Nach einem Ennio Morricone-Motiv kam die Band auf das Podest (weitaus geschmackssicherer als ihre Landsleute vorher, die ironie- und innovationsfrei eine rockige Version von „Also sprach Zarathustra“ feilboten) und startete, wie auf dem neuen Livealbum, mit „Long Stick Goes Boom“, im Mittelteil dabei THE WHO zitierend.

KrokusEventuell aufkommende, antiquierte Vorbehalte von mir aus 1982 wurden schon vor dem Konzert weggefegt, als ich mich in die Albenklassiker „Hardware“ (1981), „Metal Rendez-Vous“ (1980) und „One Vice at a Time“ (1982) reinhörte und anerkennen musste, dass das schon extrem einfallsreiche, geile Songs sind. Nicht zufällig dominierten viele davon Setlist und Livealbum, welche sich Krokusziemlich identisch darstellten – live an Ort und Stelle jedoch von einer unfassbaren Spielfreude perfektioniert wurde, welche man Personen, die teilweise schon am Rentenalter kratzen, nicht ohne weiteres zutrauen würde. Marc Storace singt mit 61 noch genauso geil wie vor 30 Jahren, die drei (!) Gitarristen Fernando von Arb, Mark Kohler und vor allem Energiebündel Mandy Meyer pushten sich zu KrokusHöchstleistungen auf; der 1977 geborene „Jungspund“ Flavio Mezzodi (rechts) an den Drums hielt alles feixend zusammen und Bandgründer Chris von Rohr am Bass konnte dem Publikum sogar straffrei mit der Niederlage ihres Fußballteams gegen das der Schweizer drohen; bei dieser beidseitigen Sympathie-Welle konnte nichts mehr schief gehen.

Da mussten dann auch noch ein paar Songs mehr gespielt werden als auf dem Livealbum: Mein Metalkreis ging steil bei „Headhunter“, mein Hippie-Herz ging auf beim Dylan-Cover „Quinn the Eskimo“ danach. Knapp 95 Minuten eine schweißtreibende Party vom Allerfeinsten, besser noch als 1982. Diesmal habe ich alles vorurteilsfrei genossen. Und zum Auto laufen konnte ich auch selber, wenn das nichts ist.

Links: http://www.crystal-ball.ch/, http://www.lastfm.de/music/Crystal+Ball, http://krokusonline.seven49.net, https://myspace.com/krokusonline, http://www.lastfm.de/music/Krokus

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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