Batschkapp, Frankfurt, 7.04.2016
„Du schreibst über LAIBACH? Na, viel Spaß. Da kann man sich sehr leicht in die Nesseln setzen.“ Der Rat meines Kumpels war gut gemeint und verständlich. Ich dachte ja auch, ich schau mir die Show mal an ohne dass die Leserschaft dieses Blogs damit belästigt wird. Gibt schließlich genug Menschen, die die Band aus Slowenien weit besser kennen als ich. Als ich die Frankfurter Batschkapp jedoch am gestrigen Abend verließ war das Makulatur. Dieses Konzert war großartig. Auch, wenn bei mir viele Fragezeichen bleiben.
Zum Beispiel die nach den ersten drei Stücken. Als ich gegen halb Acht in der „Kapp“ aufschlug wurde ich Zeuge, wie der Mann am Eingang zwei Fotojournalisten über die Gepflogenheiten des Tages informierte: Die erste halbe Stunde des Auftritts (= die ersten drei Stücke lang) herrschte Fotografierverbot. Dann erst folgte das übliche Prozedere mit den drei Stücken, die ohne Blitz abgelichtet werden konnten. Danach raus aus dem Fotograben. Für einen anderen Fotografen galt das nicht, der hatte Sonderrechte. Ein Schelm, wer sich da an den Sozialismus erinnert fühlt (alle sind gleich, manche sind gleicher). Ich beschwere mich darüber nicht – der Graben blieb mir sowieso verwehrt. Doch niemand hinderte mich daran, die ganzen Zeit mit meiner Minikamera draufzuhalten. War in diesem Fall mal ein Vorteil, zur Abwechslung.
Bevor LAIBACH jedoch mit halbstündiger Verspätung die Bühne betraten, mussten die Anwesenden durch einen Crashkurs, das Motto des Abends betreffend: Der Soundtrack von „The Sound of Music“ lief, nicht einmal, nicht zweimal, sondern mindestens dreimal. Zumindest ein großer Teil davon. „The Sound of Music“ (deutsch: „Meine Lieder, meine Träume“) ist ein Rogers & Hammerstein-Musical, dass 1965 von Robert Wise („West Side Story“, „Star Trek – The Movie“) verfilmt wurde und in Österreich während der Dreißiger Jahre spielt. Der Film war ein Welterfolg – Julie Andrews gab die hingebungsvolle und eigensinnige „Nanny“ der sieben Kinder eines Marine- Offiziers, der mit der zunehmenden Einflussgewinnung der Nazis Probleme hat und mit Sack und Pack nach fast drei Stunden Filmlaufzeit, vielen Liedern und der unvermeidlichen Lovestory in die USA flieht.
Einige der Songs wurden Welthits: „My Favorite Things“ zum Beispiel wurde vokal von Mary J. Blige veredelt und instrumental von John Coltrane zum Niederknien performt. Die Szene, in der Julie Andrews ikonenhaft über die Alm tänzelt und „The Sound of Music“ trällert gehört zu den meistzitierten im Musicalfilm überhaupt und hat sich weltweit als Blaupause in die Gedächtnisse der Menschen eingebrannt, für die die „Alm“ exotisch ist und wunderschön. Bei uns galt das natürlich als Kitsch, womit man dem Werk aber bitter Unrecht tut. Trotzdem muss man schon einiges an Mainstreammusik ertragen können, um sich das schmerzfrei drei- bis viermal hintereinander zu geben. Einmal mehr noch später, als LAIBACH die Songs selber intonierten. Aber „schmerzfrei“ muss man wohl sowieso sein, um LAIBACH zu mögen.
Die ersten drei Stücke also: Keine Ahnung, was das war, aber es klang ziemlich klasse in meiner Lärmfetischisten- Welt. Gerade der freejazzige Pianopart am Anfang des dritten Liedes war höllisch heftig und mitreißend. Zwei Videobeamer illustrierten dabei die Wand hinter den Musikern – erst mit Lichtstrichen, später mit bombastischer Symbolik: Fluten, Friedenstauben, Statuen. Wer wollte (und konnte!) hatte hier schon Gelegenheit, auf Zitatensammlung zu gehen – optisch wie musikalisch.
„And now for something completely else“: Der Monthy Python–Slogan kündigte das poppigere Liedgut an, das nun folgen sollte und bei dem die Fotografen in den Graben durften. Nach Song Nummer fünf („Eurovision“ vom aktuellen Album „Spectre“) gab es erst mal ein Päuschen in Form einer „Intermission“, bei dem zehn Minuten rückwärts abgezählt wurden und ein bisschen Werbung für das aktuelle Produkt zu sehen war. Mit der letzten Sekunde erschien das Quintett wieder und „The Sound of Music“ wurde in vier Stücken zelebriert. Vokalist Milan Fras gab den Christopher Plummer mit seiner Version von „Edelweiss“, Mina Spiler die Julie Andrews mit dem Titelsong. Videoclip dazu hier:
Wieso „The Sound of Music“? Nun, LAIBACH haben etwas getan, was vor ihnen noch keine (Pop-)Band getan hat: Sie traten im August 2015 in Nordkorea auf. Ein Alleinstellungsmerkmal, das ihnen mehr Feinde als Freunde bescherte und von dem ich nicht sicher bin, was ich davon halte. LAIBACH vergleichen die Ästhetik des Alpenmusicals im Interview mit dem Rock Hard mit der vorherrschenden in der asiatischen Diktatur, in der wenig westliche Menschen zu Gast sind. Könnte mir auch Schöneres vorstellen. LAIBACH spielten vor knapp 1500 handverlesenen Menschen ein Programm, welches vorher der Zensur vorgelegt werden musste (nicht alle Titel passierten diese Hürde) und schafften es, große Teile auch dieser Gäste zu verprellen.
Außerdem spielte die Band nordkoreanische Volksweisen, von denen wir in der Kapp, glaube ich, nichts hörten – Propagandakunst illustrierte jedoch „Spectre“-Songs wie „The Whistleblowers“ oder „Bossa Nova“ (bei dem Mina Spilers Mikro streikte. Teilweise war sie aber vorne auch ohne zu hören). Nachdem mich ein Wave-affiner Bekannter, den ich sonst nie auf Konzerten treffe, scherzhaft mit „Na, gehst Du jetzt auch mal zu ner Naziband?“ begrüßte und damit auf die verständnislosen Rezeptionen anspielte, die LAIBACH ebenso wie ihre Epigonen RAMMSTEIN ständig ertragen müssen, wurde mir etwas anders, als LAIBACH ihre Versionen des wohl beknacktesten Songs spielten, der jemals verfasst wurde: „Live is Life“ von OPUS inklusive dem deutschen Part „Leben heißt Leben“.
Illustrationen dazu in schwarz/weiß/rot mit aus Äxten bestehenden Hakenkreuzen. Schluck. Und jetzt alle mitklatschen? Danke, nein. Einige hatten damit keine Probleme, ich kam mir da ein wenig verarscht vor. Da waren wir aber schon nach 90 gespielten Minuten in der Zugabe, sogar eine mehr wurde gewährt. Aus „Iron Sky“, dem SF-Nazi-Trashfilm mit Udo Kier und Götz Otto, wurde etwas gespielt (was die „Live Is Life“-Chose angenehm konterkarierte) und am Ende Gavin Friday zitiert: „Each Man Kills The Things He Loves“. Weise Worte, tolle Musik. Selbst dann war noch nicht Sense – ein sehr komischer Kurzfilm berichtete noch mal komprimiert vom Nordkorea-Ausflug des Kollektivs. „That’s all folks“ – Das Bugs Bunny-Zitat tat kund, dass nun endgültig Schicht war. Sehr witzig. Sehr anders. Sehr toll. Konzert des Jahres bisher.
Links: http://www.laibach.org/, https://www.facebook.com/laibach, https://myspace.com/laibach, https://www.reverbnation.com/laibach, http://www.last.fm/de/music/Laibach
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: