Frankfurt, 30.12.2015
Ein ziemlich krasser Moment: Ich komme glückselig von einem spaßigen Metalevent nach Hause, mache, solange ich noch die Augen aufhalten kann, schon mal ein paar Handgriffe wegen des zu schreibenden Berichtes und schau dann am Ende des Abends noch mal in die Tweets auf Twitter. Sehe Lemmy. Nun ja, der hatte vier Tage vorher Geburtstag – das wird wohl ein Retweet eines späten Verehrers sein. Ich bin schon dabei, die Kiste runterzufahren da sehe ich im Tweet die folgenschweren Buchstaben: RIP.
Was? Ernsthaft?
Ich dachte, ich seh nicht richtig: Vier Tage nach seinem 70. Geburtstag hat Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister, MOTÖRHEAD-Mastermind, Ex-HAWKWIND-Mitglied und Ex-Gitarrenroadie von Jimi Hendrix den Löffel abgegeben? Jetzt, zu einem Zeitpunkt, da jeder mit seinem Ableben rechnet, sein Dasein aber in Titelstories in Metal Hammer und sogar fachfremderen Organen wie Rolling Stone und Spex aufgrund dieser Jubiläen (70 Jahre Lemmy, 40 Jahre Motörhead) gefeiert wird? Sollen alle diese Magazine ihn jetzt nochmal aufs Cover wuchten? Ja, sie sollten.
oben: Ludwigshafen, Eberthalle, 7.12.1986
links: Offenbach, Stadthalle, 9.12.1987
Ich spare mir hier bewusst alle biografischen Daten Herrn Kilmisters – die sind entweder bekannt oder leicht anderweitig einsehbar. Ich möchte hier aber nochmal kurz das Erdbeben illustrieren, welches dieser Abgang in der musikinteressierten Szene auslöste und besonders, solch Egozentrik mag man mir verzeihen, bei mir. Denn obwohl ich viele Protagonisten im Rock’n’Roll respektiere und verehre stehen bei mir drei Namen ganz weit oben – einer davon ist Lemmy Kilmister.
#LemmyKilmister ist tot. Er hat immer genau das Gegenteil von dem gemacht, was die #ApothekenUmschau empfohlen hat. Dafür liebten wir ihn!
— Apotheken Umschau (@AU_de) 29. Dezember 2015
„We are Motörhead – and we play Rock’n’Roll!“ Eine fulminante Ansage, die Lemmy meist am Anfang der MOTÖRHEAD-Konzerte von sich gab (manchmal auch später) und die klar macht, wo er selber sein musikalisches Schaffen sah – trotz aller Freundschaften in Kreisen des Heavy Metal (SAXON, OZZY OSBOURNE). Lemmy liebte die RAMONES (und schrieb einen Song über sie); versuchte, Sid Vicious von den SEX PISTOLS das Bassspiel beizubringen (und versagte, irgendwie) und liebte es, mit Bands wie THE DAMNED oder eben den RAMONES zu touren. In Deutschland passierte das leider seltener – hier wurde auf Metalbands Wert gelegt oder befreundete Hardrockbands wie SKEW SISKIN durften vor ihm auf die Bühne. Gerne Bands mit weiblichen Mitgliedern, die der olle Womanizer nicht zwangsläufig beglückte, aber schon ziemlich häufig.
oben und unten: Offenbach, Stadthalle, 11.12.1986
Das Witzige bei all seinen Frauengeschichten ist, dass es niemals eine im Musikbiz gab, die ihn deswegen disste. Im Gegenteil: Jill Janus von HUNTRESS z. B. ist unfassbar froh, dass Lemmy ihr zu Ehren einen Song geschrieben hat. Titel: „I Want To Fuck You To Death“. L7, eher eine Punkband, verehren ihn als „supporter of L7 and women in rock in general“. Lemmy scheint den Spagat geschafft zu haben zwischen einem Frauenversteher und einem, der trotzdem viel mit verschiedenen Frauen schläft. Nicht so leicht, denke ich. Oder vielleicht doch. Was weiß ich schon. Kondolenztweets gab es darüber hinaus nicht nur aus der Metalwelt, sondern auch von Folkrockern wie Frank Turner oder Ryan Adams; von HipHop-Rockern wie Ice-T (der mit Lemmy mal „Born To Raise Hell“ aufnahm); von Schriftstellerrockern wie Thees Uhlmann; Countrystars wie Shooter Jennings oder Indierockern wie Greg Dulli (AFGHAN WHIGS).
Nachbar:“hier Platte!“ ich:“motörhead-HAMMERSMITH?“ er:“ja!“ danach war alles für immer anders. #Lemmy goodnight, travel well. – the Killers
— thees uhlmann (@theesuhlmann) 29. Dezember 2015
Überhaupt ist es erstaunlich, wie jemand, der Zeit seines Lebens klare Ansagen machte, so von komplett unterschiedlichen Menschen aufgrund seiner Integrität bewundert wird. Beispiel: Lemmy äußerte sich wiederholt gegen Nazis. Deutlich. Trotzdem lieben ihn viele Faschos leider – nicht nur wegen des Support-Slots bei den BÖHSEN ONKELZ 1996 in Dietzenbach (die ich damit nicht explizit als Nazis bezeichnen möchte – aber sie haben nun mal viele faschistoide Fans. Ist so. Musste ich schon live erleben.), sondern vielleicht auch wegen seiner Vorliebe für Weltkriegs-Plunder. Nach dem Konzert von KROKUS im Colos-Saal 2014 suchte ich noch einen Platz für einen Absacker und fand ihn am Tisch eines Skinheads, der mir nicht bekannt war. Der Mann registrierte mein Smartphone mit dem MOTÖRHEAD-Schädel drauf (Snaggletooth heißt der) und wir waren flugs im Gespräch über Lemmy,
MOTÖRHEAD und welche Konzerte wo stattfanden und geil waren. Beim Verlassen der Location schnaufte mein Begleiter, ob „ich mich mit dem Fascho gut verstanden hätte“ – er kannte den Mann, ich nicht. Skinhead heißt für mich nicht automatisch Nazi, in dem Fall war es aber wohl so. Hm. Und das, obwohl Lemmy sich Zeit seines Lebens über Nazis und ihre Ansichten lustig gemacht hat.
beide Fotos oben: Offenbach, Stadthalle, 9.12.1987
Mehr Sinn macht es, wenn sich eher links orientierte Magazine ohne Metalschwerpunkt über ein Lemmy-Interview freuen – so was gab es im Ox, im Rolling Stone, in der Visions sowieso und kürzlich auch mal wieder in der Spex. Props von denen allen sind ein Ritterschlag.
Rest In Peace Lemmy Kilmister, a long time supporter of L7 and women in rock in general. An inspiration, an icon,… https://t.co/rJEtuQsLpo
— L7 The Band (@L7officialhq) 29. Dezember 2015
Einen Interview-Termin mit Lemmy zu bekommen, auch. Ich hatte einmal das Glück – als ich für ein nicht mehr existentes Rhein/Main-Magazin schrieb, um eine schicke Vorankündigung für ein Konzert in der Hugenottenhalle Neu-Isenburg zu fabrizieren. Für andere Voll- und Teilzeitjournalisten war das Routine – für mich aber eine Begegnung mit meinem Rockidol Numero Uno. Wie verhält man sich da professionell? Ich beschloss, beim Interview gnadenlos den Profi raushängen zu lassen und ihm, dem Verschönerer so vieler meiner Stunden, am Ende (so es denn gut lief) ein paar Abzüge zu überreichen von Konzertbildern, die ich 1986 von ihm machte und die hier teilweise auch abgebildet sind. Sollte sich Lem aber als Schmock offenbaren fiele das aus – ich habe ja auch meinen Stolz.
oben: Offenbach, Stadthalle, 9.12.1987 – unten: ebenda, 11.12.1986
Aus Zeitgründen wurden zwei Interviews zusammen gelegt – ich durfte zeitgleich ran mit Christoph Habusta von hr3. Für mich war das gut, weil die Batterien meines Aufnahmegerätes platt waren und Habusta so nett war, mir seinen Mitschnitt zu überlassen – für ihn lief es suboptimal, weil ihm Lemmy ständig übers Maul fuhr. Habusta fragte zum Beispiel nach der offenkundig ersten MOTÖRHEAD-Ballade auf „Bastards“ – Lemmy klärte ihn genervt darüber auf, dass es sowas schon öfter gab. Irgendwie lief es nicht rund zwischen den beiden, warum auch immer. Ich hatte mehr Glück – Lemmy war weniger bissig, sogar recht nett. Als das Interview nach meinem halbprofessionellen Gusto ordentlich über die Bühne gegangen war, überreichte ich ihm ein paar Abzüge der 1986er-Tour und stammelte etwas darüber, wie wichtig mir seine Musik ist.
Darüber hinaus zeigte ich ihm mein Fotoalbum, in dem die gleichen Abzüge enthalten waren mit der Bitte um Unterschriften, wenn es nicht zu sehr nervt. Tat es nicht. Er und Gitarrist Würzel, der ebenfalls dabei war und auch nicht mehr unter uns weilt, signierten nicht nur die Bilder auf denen sie drauf waren; nein: Lemmy blätterte in aller Ruhe das gesamte Fotoalbum durch, kommentierte die
Eintrag im Fotoalbum
abgebildeten Musiker (er stand z. B. auf Tony McPhee von den GROUNDHOGS) und ließ dabei, zum Verdruss der Menschen von der Plattenfirma, alle anderen Journalisten ewig warten. Meinetwegen, beziehungsweise wegen meiner Fotos. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel Musikjournalismus hinter mir, aber ich wusste: Wenn morgen Schluss ist, dann ist es das wert.
„You win some, you lose some, It’s all the same to me…..” RIP Lemmy. MOTORHEAD
— ICE T (@FINALLEVEL) 29. Dezember 2015
Es ging noch ein wenig weiter – zwei Jahr später hatte ich nochmal einen Termin, zu Frühstückszeiten. Der Kenner weiß, dass da was nicht stimmt, denn das ist ein Paradoxon – Lemmy gibt keine Interviews um Elf, da schläft er nämlich noch. Aus Mangel an Kohle für den Fahrschein lief ich zum Caravelle- Hotel hinterm Frankfurter Rebstock, doch ich musste mit Drummer Mickey Dee vorlieb nehmen – was in Anbetracht der Tatsache, dass man MOTÖRHEAD interviewt, ja nicht grundsätzlich verkehrt ist. Irgendwie aber doch. Lemmy hätte es sein sollen. Immer, und für jeden. An sowas kann man zugrunde gehen, Lemmy hat das aber geschafft, 70 Jahre lang. Keiner da, der ihn nicht liebt; obwohl er scheinbar am glücklichsten war vor dem Spielautomaten in seiner Lieblingskneipe in L.A. Der Freund von Sex, Alkohol und Rauchwaren, der deswegen sogar von der Apotheken-Umschau Respekt erhielt, hat sich jetzt kurz nach seinem 70. von der Welt verabschieden müssen – laut „Metal-Insider“ wegen aggressivem Hirntumor. Wer ihn in den letzten Jahren sah rechnete sowieso mit solch einer Nachricht, hoffte es eben aber auch nicht. Nun denn. Lemmy bleibt sowieso unsterblich, seine Spuren kann niemand mehr verwehen. RIP. Sie werden schmerzhaft vermisst, Mr. Kilmister. Darauf eine Jackie-Cola.
Lesens- und sehenswert: Nachruf der F.A.Z., Nachruf der Süddeutschen Zeitung, Nachruf in MOJO, Film von Ricky Warwick
Text & Fotos: Micha
Alle Bilder:
Hallo Micha vom Rockstage-Team,
ein super Nachruf zu Lemmys in den Himmel gehen. Auch mir hat Lemmy sehr viel bedeutet. Ich hatte am 11.12.1986 einen Mofaunfall und kam beim besagten Konzert in der Offenbacher Stadthalle niemals an. Auch viele weitere Konzerte in Offenbach und in der Festhalle auch mit Kreator bleiben als Erinnerung an Motörhead. Mir hat am besten die LP „Bomber“ von 1979 gefallen. Ich weiß dass Motörhead bei der Bomber-Tour auch in Neu-Isenburgs Hugenottenhalle gastierten, leider war ich damals zu jung. Ich nahm aber das Plakat der Bomber-Tour wahr. Auch die „Overkill“ und die „No sleep til Hammersmith“ sind ein Meilenstein. Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Für mich ist einer der ganz Großen von uns gegangen.
Wolfpunk