Frankfurt, 5.01.2017
Fotobücher gibt es viele. Bildbände über Punkrock nur wenige. Mitte Dezember 2016 ist nun einer erschienen, der für Punkrock-Freunde im Allgemeinen und für Konzertgänger des Rhein/Main-Gebiets im Besonderen essentiell sein dürfte. Das Buch „Live & Loud“ von Boris Schöppner versammelt auf 80 Seiten Konzertfotografie unter anderem aus Frankfurter Clubs wie der Au, dem Café Exzess und dem Dreikönigskeller. Vor der Linse standen Bands wie SNFU, THE BABOON SHOW, die NIGHT BIRDS, HAMMERHEAD, und viele mehr. Auch für Reviews dieses Blogs hat Boris schon des öfteren Bilder zur Verfügung gestellt. Was lag da näher, als dem Fotografen ein paar Hintergrundinformationen zu seinem neuen Buch zu entlocken?
Hallo Boris, ist „Live & Loud“ Dein erstes Fotobuch, das Du dem Punkrock widmest?
Ja, und es ist mein erstes Fotobuch überhaupt. Bislang habe ich ein paar Ausstellungen mit meinen Fotos gemacht, wobei die letzte in Chile gut zehn Jahre her ist, die letzte in Deutschland sogar schon mehr als zwölf Jahre. Ich wollte jetzt mal eine andere Form der Präsentation probieren.
Warum Punkrock?
Die Frage ist vordergründig leicht zu beantworten: Weil das meine musikalische Welt ist. Bei den Konzerten bin ich sowieso, da brauche ich mich nicht extra annähern oder reinfinden, wie das bei anderen Fotoprojekten mitunter der Fall ist. Und dennoch – da sind wir beim Hintergründigen – ganz selbstverständlich war das mit dem Fotografieren auch wieder
Los Infierno, Tiefengrund, Frankfurt,
30. Juli 2015
nicht. Ich habe über lange Jahre gar keine Konzertfotos gemacht. Mich hat eine Zeitlang genervt, immer als „Herr von der Presse“ wahrgenommen zu werden, obwohl mein Job als Redakteur bei einer Tageszeitung und meine Fotografie nichts miteinander zu tun haben. Und eine Weile lang haben mich Konzerte regelrecht gelangweilt. Da habe ich dann lieber Tischfußball gespielt. Irgendwann habe ich dann mal wieder die Kamera mitgenommen. Und dann, vor etwas mehr als zwei Jahren hat es mich vollends gepackt.
Was ist da passiert?
Ich war mit einem Freund in der Frankfurter Innenstadt unterwegs: Museumsbesuch, ein bisschen Schlendern – unsere Kameras hatten wir dabei. Zum Abschluss wollten wir noch etwas trinken und entschieden uns für den Dreikönigskeller, in dem an diesem Abend eine Band aus Portland spielen sollte. Ich war von Don’t total begeistert und begann, Aufnahmen zu machen. An dem
Buchcover
„Live & Loud“
Abend merkte ich, dass Straßen- und Konzertfotografie für mich viel näher beieinander lagen, als ich dachte, dass gute Konzertfotografie das verbindet, was auch andere Fotografie ausmacht. Das war so etwas wie eine Initialzündung für mich, die Konzertfotografie ernsthafter zu verfolgen. Deshalb war ich begeistert, als Don’t für die Rückseite ihres neuen Albums ein Bild auswählten, das ich an diesem Abend aufgenommen hatte.
Was macht für Dich ein gutes (Konzert-)Foto aus?
Ein gutes Bild fängt einen besonderen Augenblick ein, es nutzt die fotografischen Gestaltungsmöglichkeiten, um die Idee des Bildes zu verstärken. Außerdem sollte es eine gewisse Beiläufigkeit haben. Sonst tritt die Fotografie als Kunstform so sehr in den Vordergrund, dass sie den Blick auf das Wesentliche versperren kann. Ein Foto muss technisch nicht unbedingt perfekt sein, wenn es dazu geeignet ist, den Betrachter zu berühren.
In Deinem Fotobuch sind Farb- und Schwarz/Weiß-Fotografien gemischt. Welche weiteren Besonderheiten weist das Buch auf?
Klar, das ist auffällig, dass sich farbige und monochrome Bilder abwechseln oder in Beziehung stehen. Das ist ein Ergebnis des intensiven Editierprozesses. Aus einem Wust von mehreren tausend Fotos hatte ich am Anfang knapp 300 ausgewählt, um sie zu einem
Publikum bei Stage Bottles, Café Exzess, Frankfurt, 9. November 2013
Workshop mitzunehmen, den das Fotografie Forum Frankfurt mit den Kölnern Wolfgang Zurborn und Markus Schaden angeboten hatte. Die beiden Experten halfen mir, den Fotos eine gemeinsame Richtung zu geben. Erst wurde Schwarzweiß und Farbe getrennt – und später neu kombiniert. Und zwar so, dass das nachfolgende Bild die Wirkung des vorherigen verstärkte. Das Prinzip zieht sich durch das Buch. Das führt in der Konsequenz dazu, dass sich Fotos ein und der selben Band an verschiedenen Stellen wiederfinden und nicht direkt hintereinander folgen.
Hast Du ein Lieblingsbild in dem Buch?
Ich mag alle Fotos, die es ins Buch geschafft haben, klar, sonst hätte ich sie ja nicht ausgewählt. Mit jedem einzelnen verbinde ich einen Moment, ein Gefühl oder eine kleine Geschichte. Aber es gibt ein paar Bilder, die bedeuten mir besonders viel – aus unterschiedlichen Gründen. Da ist zum Beispiel das Schwarzweißbild, das Scott Williams, Gitarrist der Band P.R.O.B.L.E.M.S. aus
P.R.O.B.L.E.M.S. im Dreikönigskeller, Frankfurt, 26. März 2015
Portland, auf der Bühne im Frankfurter Dreikönigskeller zeigt. Scott hat einen Vollbart und findet sich auf dem Bild im Hintergrund. Im Vordergrund ist ein Vollbartträger aus dem Publikum zu sehen, der die Augen geschlossen hat und in die Musik versunken scheint. Diese Dopplung der Bartträger finde ich witzig.
Ein anderes Bild, das ich sehr mag, ist das von Mr. Chi Pig, dem Sänger der legendären kanadischen Band SNFU, das ich 2009 im Café Exzess aufgenommen habe. Das war eines der ersten Konzerte, bei dem ich mit einer Digitalkamera war und den Vorteil nutzen konnte, die fotografischen Ergebnisse sofort auf dem Monitor kontrollieren zu können.
SNFU im Café Exzess, Frankfurt, 10. Juli 2009
Und dann sind da noch die Bilder auf dem Front- und dem Backcover: Vorne ist ein Foto, das ich 2013 in Porto Montt im Süden Chiles aufgenommen habe, bei einer tocada der dienstältesten und bedeutendsten Punkband Chiles: Fiscales ad hoc. Die lösen sich jetzt nach 30 Jahren auf. Abgesehen davon, dass es spannend ist zu sehen, wie die Fans schweißüberströmt mitgehen, steht das Bild für mich auch dafür, dass Punk die Menschen über Grenzen hinweg zusammenbringen kann. Auf der Rückseite ist eine Aufnahme von den Stage Bottles bei einem Konzert 2015 in Prag. Das Foto enthält alle Elemente, die ein Konzert ausmachen, und zwar wie in einem Comic-Panel: Von links kommt jemand mit einem Becher Bier ins Bild, in der Mitte ist Sänger Olaf zu sehen, dann folgt das Publikum und rechts am Bildrand sind die Beine eines Zuschauers zu sehen, der gerade von der Bühne gesprungen ist.
Um solche Fotos zu bekommen, muss man dahin gehen, wo es weh tun kann, nämlich ganz nach vorne vor die Bühne. Nicht selten stehst Du mit einem unserer Fotojäger in der ersten Reihe. Hast Du manchmal Angst um Dein Equipment – oder um Deine Gesundheit?
Stimmt schon, ich mag es da, wo es eng und kuschelig wird.
The Baboon Show, Au, Frankfurt,
6. Juni 2015
Da wird man auch mal angerempelt, aber das gehört doch dazu. In der Regel passen alle aufeinander auf. Mir ist es manchmal eher peinlich, wenn sich jemand bei mir entschuldigt, bloß weil er gegen mich gestoßen ist. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht gerade das Objektiv wechselt, wenn jemand mit Bier rumspritzt, und dass man seine Kamera ein bisschen abschirmt, wenn es wilder zugeht. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass der Besuch von Konzerten der Gesundheit eher zuträglich als abträglich ist.
So ein Buch finanziert sich ja nicht aus der Portokasse. Hast Du die Möglichkeit eines Crowd-Funding erwogen und wie hast Du das Projekt letztlich gestemmt?
Ich habe einiges erwogen und mich dann entschieden, selbst in Vorkasse zu gehen und 500 Bücher drucken zu lassen. Das wirtschaftliche Risiko besteht, ist aber überschaubar. Ich sehe das zum einen als Projekt, meinen Bekanntheitsgrad zu steigern, und zum anderen, um der Punkszene etwas zurückzugeben. Schließlich schöpfe ich aus vielen der Veranstaltungen Kraft für den Alltag. Mir war es wichtig, dass das Buch für den Konzertbesucher erschwinglich ist. Andere Fotobücher werden zu wesentlich höheren Preisen verkauft.
Lässt Du den Bands nach den Shows einige Deiner Bilder zukommen? Wie fallen die Reaktionen aus?
Ich versuche das eigentlich immer, auch mit den Zuschauern (was allerdings nicht immer gelingt). Meistens läuft das über soziale Medien oder per E-Mail. In der allergrößten Zahl der Fälle ist das Echo sehr
Hammerhead, Café Exzess, Frankfurt, 14. Februar 2016
positiv. Die Bands nutzen die Bilder gerne, um bei einer laufenden Tour für den nächsten Gig zu werben. Das ist mir recht, vor allem wenn sie meinen Namen erwähnen. Aus der elektronischen Kommunikation sind auch etliche Freundschaften erwachsen. Man verabredet sich dann für das nächste Konzert.
Die Zeilen am Ende Deines Buches
„This book is about music, energy and anger,
It‘s about friendship, respect and fun,
It‘s about commitment and attitude.
It‘s a homage to all the people who make it possible for us
to have a good time in front of the stage.“
finde ich sehr stimmungsvoll. Was hat Dich motiviert, neben der Fotografie auch noch zur Feder zu greifen?
Neben der Auflistung der fotografierten Konzerte ist das der einzige Text im Buch. Ich habe mich also extrem zurückgehalten, was das Schreiben betrifft. Mit dem Satz will ich vor allem zum Ausdruck bringen, dass all die erwähnten Aspekte wichtig für mich und das Buch sind. Es geht um Musik, Fotografie und Haltung.
Gibt es schon Resonanz auf das Buch?
Ja, freilich. Ich habe es Mitte Dezember aus der Druckerei bekommen, bei einem Teil der Frankfurter Szene fand es sich dann unter dem Weihnachtsbaum. Lob gibt es nicht nur von Punkrock-affinen Menschen, sondern auch von anderen Fotografen und von Leuten, die noch nie auf
Boris Schöppner bei Konzert in Chile, 2013
einem Konzert waren, bei dem sich Menschen mit Bier bespritzen, pogen und von der Bühne springen. Für die ist das ein Ausflug in eine exotische Welt. Das wichtigste Feedback hat mir eine junge Punkerin am Kölner Hauptbahnhof gegeben, der ich einen Prototypen des Buches in die Hand gedrückt hatte. Die sah sich die ersten Seiten an und sagte: „Wow, das ist ja mein Leben in Bildern.“ Da war ich sicher, dass ich das Buch auf den Markt bringen musste.
Boris, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stefan
Fotos: Boris Schöppner, entnommen aus dem Fotoband „Live & Loud“
Das Buch trägt die ISBN 978-3-00-055112-3, hat 80 Seiten und kostet 14,80 Euro. Es kann bestellt werden per E-Mail bei bschoeppner(at)t-online.de. In Frankfurt gibt es Exemplare bei den Buchhandlungen „Zweitausendeins“ und „Land in Sicht“.
Foto ganz oben: Sniffing Glue, Café Exzess, Frankfurt, 14. Februar 2016