Walther-von-Cronberg-Platz, Frankfurt, 14.08.2022
Um ein Haar hätten wir es übersehen, wie bereits in den Jahren zuvor: das Main Matsuri Festival. Kurz zur Vorgeschichte: Jeden Sommer radeln meine Partnerin Nicole und ich fast täglich bei schönem Wetter an der nördlichen Frankfurter Mainseite in Richtung Ostend. Vor ein paar Tagen, als wir mal wieder die verbrannte Steppe unter dem Areal der gerade beendeten Sommerwerft passierten, fiel unser Blick gen Sachsenhausen auf ein kleines Dorf aus weißen Zelten nebst japanischer Fahne. Eine kurze Recherche klärte auf, was dort stattfand – zwei von drei Tagen des Festivals waren jedoch bereits so gut wie gelaufen. Den dritten Tag allerdings wollten wir uns geben. Und einiges, was wir dort erlebten, gefiel uns so gut, dass ich etwas davon in diesem Blog vorstellen möchte, in der Hoffnung neugierig zu machen auf die Veranstaltung im nächsten Jahr.
Foto oben: Koji Yamaguchi Foto links: Takuya Taniguchi
Das Main Matsuri Festival findet seit 2018 (im Jahr 2020 pandemiebedingt unterbrochen) im August statt. Es feiert Japans Kultur – hochoffiziell unter der Schirmherrschaft des Generalkonsulats und gesponsert von allen möglichen japanischen Unternehmen, die man in unseren Breiten kennt. Frankfurt scheint ein Hotspot zu sein für Japan-Fans. Dies kann man alljährlich zum Beispiel an den Scharen von verkleideten Manga-Fans sehen, die die Buchmesse fluten. Oder am Filmfestival Nippon Connection, das seit 22 Jahren Interessierte in die Mainmetropole lockt.
Ja, Rockstage Riot hat einen Musikschwerpunkt, einen rockigen gar, doch das passt. Über das bunt gewandete Volk, das sich in knallbunten und zum Teil hoch kreativ zusammengebastelten Kostümen von Stand zu Stand bewegte um Mangaka oder Kalligrafinnen zu huldigen, an Workshops
Lady Samurai’s Ideal
oder am Cosplay-Wettbewerb teilzunehmen, werde ich nichts schreiben. Dazu fehlt es mir an Sachverstand. Ebenso traute ich mich nicht, diese Menschen ungefragt zu fotografieren, obwohl sie alle faszinierende Motive darstellten. Ich beschränke mich auf die musikalischen Darbietungen von Künstler*innen, die mir bis auf eine Ausnahme alle vorher unbekannt waren und die mich zum Teil sofort zum Fan werden ließen.
Yurie Nishi (西ゆりえ) ist eine moderne Tänzerin, in Berlin lebend und stark geprägt von Hip Hop-Moves. „Contemporary Dance“ nennt man sowas.
Yurie Nishi
Ich habe auch da wenig Ahnung, aber faszinierend und beeindruckend war das schon, was die kraftstrotzende Lady da zu den Querflötentönen von Juan De Illdefonso Garcia auf der kleineren Nebenbühne performte. Komplett improvisiert, wie beide anschließend bei einem Kurzinterview formulierten. Beide sollten später auch noch auf der größeren Hauptbühne zu erleben sein.
Auf der bekamen wir anschließend noch die letzten paar Takte mit von einem Trio, bestehend aus dem Bambusflötenspieler Touzan Hirano, dem Schlagzeuger Yoshihiko Fueki (笛木良彦) sowie dem Meister der drei Saiten, Koji Yamaguchi (山口晃司), der vielleicht coolsten
Yoshihiko Fueki
Socke, die je eine Bühne betrat. Ich besuchte das Festival als interessierter Mensch mit der Hoffnung auf ansprechende Musik, etwas Futter fürs Auge oder für den Magen, doch die Klänge sowie vor allem der unfassbare Enthusiasmus, den Yamaguchi an den Tag legte, ließen mich sofort zum Fan mutieren. Zwar war diese Performance keine fünf Minuten später wieder Geschichte, doch die Saat war gesät. Zum Glück bekam man fast alle Musizierenden an diesem Tag mehrmals, in verschiedenen Kombinationen, zu sehen.
Koji Yamaguchi
Yamaguchi bearbeitet die Shamisen, eine dreisaitige Langshalslaute, die zu den traditionellen Musikinstrumenten Japans gehört. Mangels Erfahrungswerten kann ich Yamaguchi natürlich nicht mit anderen Meistern seiner Zunft vergleichen. Aber neben der unglaublichen Flexibilität, die Yamaguchi mit diversen künstlerischen Partner*innen an diesem Tag bewies, beeindruckte mich vor allem die Geschwindigkeit auf den drei Saiten. Spätestens das macht dieses Festival Rockstage-kompatibel, oder?
Koji Yamaguchi & Yurie Nishi
Unkundige wie ich fühlten sich klanglich oft an Bluegrass erinnert – und dass das meiner Meinung nach eine Musikrichtung ist, die dem Speed-Metal nicht unähnlich wirkt, habe ich in diesem Blog schon mehrmals erwähnt.
Die „Wacken 2022“-Shirts vor der Bühne hatten also ihre Berechtigung, ebenso wie die an einem Stand angebotenen IRON MAIDEN-Tassen, die definitiv nicht zum obligatorischen MAIDEN-Merch gehörten. Der Trio-Auftritt war fast vorbei und es schlossen sich musikalische Darbietungen an, die zum Teil traditioneller waren, jedoch keinesfalls reizlos.
Yurie Nishi
Yamaguchi begleitete zum Beispiel noch die in Frankfurt agierende Senyumeji Nishikawa (西川扇夢二) bei ihrem klassischem Tanz auf der kleinen Bühne und Yurie Nishi bei ihrem fulminanten Ausdruckstanz später auf der großen. Letzterer war ein Großod für das Auge und eine beeindruckende, athletische Performance, mit zusätzlicher Begleitung von Touzan Hirano. Ein weiteres Highlight dieses Tages.
Für viele Anwesende jedoch war das der Auftritt der RAZARIS, oder „Dance Vocal Unit RAZARIS“. Die drei Jungs rappten, tanzten und sangen sympathisch, aber für ein anderes Publikum und eine andere Altersstufe als die meinige. Der (Haupt-)Tänzer Mas war selbst für Banausen wie
Razaris
mich als großes Talent erkennbar, aber im Grunde waren die RAZARIS für mich von ähnlichem Interesse wie die BACKSTREET BOYS. Oder die BAY CITY ROLLERS, um mal einen Hinweis auf mein biblisches Alter zu geben. Die Show fand jedoch jede Menge Anklang bei der Menge, die sich ob der sengenden Hitze selten vor der Bühne befand, sondern eher im schattigen Bereich der Zelte, ein paar Meter entfernt. Für die Cosplayer muss das Wetter die Hölle gewesen sein.
Indie-Singer/Songwritertum gab es in der Zwischenzeit wieder auf der noch angenehm verschatteten kleinen Bühne mit Ai Sion, von der außerhalb Japans noch nicht viel zu hören war.
Ai Sion
Wer auf Streaming-Diensten ihre Musik sucht sollte die japanische Schreibweise ihres Namens in die Suchmaschine eingeben,しおんあい (das empfiehlt sich eigentlich bei den meisten hier beschriebenen Künstler*innen, wenn man eine einigermaßen komplette Diskographie finden möchte). Der sanfte Indie-Pop/Rock der Sängerin, Gitarristin wie Pianistin lohnt für alle, die zum Beispiel gern Phoebe Bridgers hören. Begleitet wurde sie bei ihrem „Solo“-Vortrag von dem Gitarristen Hiroshi Furukawa. Dass sie selbst auch ganz vortrefflich Gitarre spielen sowie stimmlich eskalieren kann, bewies Ai Sion später, als sie
Hiroshi Furukawa
mit Furukawa und der Band SELFISH einen leichtfüßigen, poppigen Rock präsentierte, der beim Publikum jedoch weniger zündete als die Performance von RAZARIS zuvor oder die beiden Highlights, die noch kommen sollten.
Zugegebenerweise war es jedoch auch abartig heiß vor der Bühne. Die Schlangen an den Getränkeständen wuchsen ins uferlose, egal ob man Bubble-Tea, Matcha-Eis-Tee oder einfach Mineralwasser ordern wollte. Am heftigsten ins Schwitzen müssten jedoch die letzten beiden Performer gekommen sein, die so amtlich ablieferten, dass man auch in der derbsten Glut vor der Bühne ungläubig zusehen musste, alleine schon aus Respekt. Takuya Taniguchi zum Beispiel, Schüler von Eitetsu Hayashi (einem Gründer der Taiko-Legende KODO) sowie außerhalb des Festivals Teil der Münchener Formation DRUMATURGIA, stapfte unter sengender Sonne mit seiner Riesentrommel vor seinem Waschbrettbauch, bearbeitete sie dabei schreiend, grinsend oder turnend – und alles klang dabei unglaublich. Auch die Percussionburg war
Takuya Taniguchi
beeindruckend, welche er anschließend beackerte – vom kleinsten Schellenkranz bis zur riesigen Trommel war da nichts nur fürs Auge gedacht, alles wurde in ein faszinierendes Drumsolo einbezogen. Ein Solo, für das man fast jedes auf einer Hardrock-Show blind eintauschen könnte. Hammer. Und dabei strahlte Taniguchi auch noch eine Leichtigkeit aus, als würde er ein bisschen Triangel spielen.
Wenn es eine Truppe gibt, die mit dem Main Matsuri oder Frankfurt fest verbunden ist, dann ist es KAO=S. Die seit 2010 existierende Formation war bisher auf der Nippon Connection zu sehen sowie auf den vorherigen Japan-Festivals in Frankfurt – kurz vor der Pandemie füllte sie darüber hinaus bereits die Brotfabrik mit ihrer Show, die sich zu gleichen Teilen aus Musik
Lady Samurai’s Ideal
und Samurai-Choreografie zusammensetzt. KAO=S war der einzig mir vorher bekannte Act des Festivals – ich freute mich extrem, sie so unverhofft endlich sehen und hören zu können. Obwohl das, was hier geboten wurde, streng genommen nicht deckungsgleich war mit KAO=S, und so auch nicht im Programm angekündigt.
Als LADY SAMURAI’S IDEAL fungierte die Truppe um Sängerin/Kämpferin Kaori Kawabuchi sowie Gitarrist Shuji Yamagiri, die live ergänzt wurden von vielen der bereits erwähnten Musizierenden, so auch meinem neuen Helden Koji Yamaguchi. Schwertballett wie bei Kurosawa, dazu eine hinreißende Rockmusik mit Einflüssen von japanischem Folk und Pop, der jedoch die meiste Zeit kräftig Arsch tritt (zu hören hier). Hätte ich später irgendwo gelesen, dass diese Truppe von mir unbemerkt neben meinem täglichen Radweg aufgetreten ist: Ich hätte mich grün bis blau geärgert. Jetzt weiß ich Bescheid und freue mich auf das Main Matsuri 2023, dann an allen drei Tagen. Vielleicht auch mit Berichterstattung über den Cosplay-Wettbewerb. Auf jeden Fall mit ner Menge Bock auf gute Musik. どうも有難う.
Links: https://www.main-matsuri.com/, https://www.kaorikawabuchi.net/, https://www.kaos-japan.net/, https://www.sionai.net/
Text & Fotos: Micha
Alle Bilder: