MS Connexion Complex, Mannheim, 24.05.2022
Die Geschichte der norwegischen Black Metal-Institution MAYHEM steckt so voller derber Scheiße, dass ich selbst am meisten über den Umstand überrascht bin, dass sie mit jahrzehntelanger Verspätung vermehrt auf meinem Plattenteller landeten und letztendlich sogar zwecks Berichterstattung bei Rockstage Riot. Gemessen an meinen eigenen, hier schon häufig formulierten Ansprüchen, sollten sie wahrscheinlich ein „No-Go“ sein. Etwas Anderes wäre es, würden meine Kollegen, die weniger verbissen ihren Antifaschismus zelebrieren als ich, über solch ein Event schreiben. Ich haderte bereits vor dem Besuch des MAYHEM-Gigs an gleicher Stelle 2019 mit mir, als die Norweger die Mannheimer Hütte mit dem ebenfalls nicht unumstrittenen Gaahl (Ex-GORGOROTH) im Vorprogramm fast zum Einsturz brachten (Erwähnung in meinem Jahresrückblick 2019).
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Ja, als Black Metal-Fan hat man es mitunter nicht leicht. Ein paar Faktoren erleichterten mir jedoch den späten Zugang zu der einflussreichen Abrissbirne, die gleichermaßen bekannt wurde durch Mord, Selbstmord sowie etliche veröffentlichte Rumpeleien mit miesestem Sound, die trotz allem den Kult mehrten. Der Wichtigste dabei: Von der Formation, die 1983 als frühe Vertreter der zweiten Black Metal-Welle startete, ist seit Jahren kein Mitglied mehr am Start. Bassist Jørn Stubberud aka Necrobutcher (rechts) stieß ein Jahr später dazu und ist damit das am längsten (mit Pause) agierende MAYHEM-Mitglied. Im Gegensatz zu seinen inzwischen verstorbenen oder anderweitig verlorenen Ex-Kollegen pflegte Necrobutcher keinen verstörenden Satanismus in Form von toten Tieren als Beilage zum Live-Ritual und hatte auch keinen Bock auf den Blödsinn, der nach dem Suizid des damaligen Sängers Dead innerhalb der Band die Runde machte – wer noch etwas mehr in die Tiefe gehen möchte, möge beim Wikipedia-Artikel über die Band starten (hier) oder sich den Film „Lords Of Chaos“ anschauen, mit dem Necrobutcher nach anfänglicher Skepsis durchaus seinen Frieden gemacht hat.
Anno 2022 besteht MAYHEM neben Necrobutcher aus dem Schlagzeuger Jan Axel Blomberg aka Hellhammer (seit 1988), dem Stimmakrobaten Attila Csihar (seit 1992 bzw. 2004), sowie den Gitarristen Morten Bergeton Iversen aka Teloch (seit 2011) und Charles Edward Alexander Hedger aka Ghul (seit 2012). Ein internationaler Haufen, der u. a. auch bei Formationen wie GORGOROTH, CRADLE OF FILTH oder SUNN O))) oder bei Avantgarde-Projekten wie Metal vs. Ambient (unser Bericht dazu hier) Spuren hinterließ. Musikalisch erinnert kaum noch etwas an das extreme Gehacke und Geschredder ihrer Anfangszeit – seit Jahren veröffentlichen MAYHEM zum Teil „extrem komplizierte Scheiben“ (Necrobutcher im Rock
Hard) mit Stücken, die wenig livetauglich sind. Das letzte reguläre Studio-Album „Daemon“ (2019) ist, so gesehen, ein Schritt zurück – die erstmals von allen fünf Mitgliedern komponierte Scheibe vereinigt Raserei, sakrale Düsternis, technisch fordernde neben dabei doch recht eingängigen Parts und stellt ein Highlight in der Diskographie dar. Nachgeschoben wurde 2021 noch eine EP mit drei übrig gebliebenen Stücken aus den „Daemon“-Sessions sowie vier Punk-Covern.
Bevor ich mich jedoch der dazu gehörenden Live-Darbietung widmen konnte, stand eine weitere Legende des norwegischen Black Metal auf der Mannheimer Bühne: Håvard Ellefsen aka MORTIIS, Gründungsmitglied von EMPEROR, der diese allerdings bereits nach einem Jahr verließ. MORTIIS macht seitdem keinen Black Metal mehr und stellt eine Ikone dar in einer musikalischen Szene, die weit undergroundiger als dieser ist: Dungeon Synth. Als Subszene des Dark Ambient ist Dungeon Synth dem Black Metal thematisch nicht komplett fremd – nicht ohne Grund ist Ambient meist der Sound, der von den unterschiedlichsten Düster-Metallern als alternativer Ausdruck gebraucht wird – sei es als Zwischenspiel auf den gitarrendominierten Tonträgern oder sogar als komplett anders klingender Solitär in der Diskographie wie z. B. bei WOLVES IN THE THRONE ROOM.
Dank MORTIIS ist Dungeon Synth fast ebenso alt wie Black Metal, klingt jedoch ganz anders, weil mit dem Synthesizer verfasst und dargebracht. Formationen wie TANGERINE DREAM oder andere, oft unter Krautrock subsumierte Elektroniker standen dabei Pate für die Klänge, die der Filmmusik sowie der Computerspielmusik verwandt sind. In den letzten Jahren erreichten einige neue Soundtüftler wie PERTURBATOR (Bericht dazu hier) oder GOST dabei eine gewisse Berühmtheit, letztere durften 2019 an gleicher Stelle für MAYHEM eröffnen. Während diese es damals jedoch schafften, potentiell keyboard-feindliche Trve-Metaller zum Pogen zu bringen, standen die Anwesenden vor MORTIIS nur freundlich-andächtig vor der Bühne, um die sechs Stücke des aktuellen Drehers „Spirit Of Rebellion“ mehr oder weniger zu genießen.
Um fair zu bleiben: Vieles, was der Norweger in seiner eindrucksvollen Diskographie zu bieten hat eignet sich hervorragend als Untermalung, wenn man zu Hause irgendetwas zu tun hat – lesen, putzen, kochen oder ähnliches. „Spirit Of Rebellion“ zündet diesbezüglich bei mir nicht und klingt ohne die Bilder eines nordischen Heeres auf der Flucht vor einer dunklen, zerstörenden Macht durch die Wälder von irgendwo nur nach pathetisch-aufgeblasener Nichtigkeit. Vieles, was MORTIIS vor allem auf Cassette anzubieten hat, klingt da für mich subjektiv stimmiger. Ob das live funktioniert hätte, weiß ich nicht – das in Mannheim Gebotene war in meinen Augen jedoch eher überflüssig, trotz des beeindruckenden Körpereinsatzes des nach Song Drei hinzu gekommenen Stand-Schlagzeugers. Geschmackssache. Mehr als Höflichkeitsapplaus mit amüsiertem Grinsen war nach knapp 50 Minuten beim Rest des Auditoriums allerdings nicht zu beobachten. Zugaben gab es folgerichtig nicht.
Dafür eine quälend lange Wartezeit trotz kaum vorhandenen Umbaus. Gegen 21.20 Uhr war es dann soweit: MAYHEM starteten mit „Falsified And Hated“ von „Daemon“ vor heftigem Gegenlicht und meist roter Illumination. Black Metal und das Connex – eine Kombi, die Fotograf*innen immer wieder vor Herausforderungen stellt. Wobei das mit dem Fotografieren dieses Mal recht ungewöhnlich ablief: Trotz überall vorhandener Flyer an den Wänden, die das Knipsen generell verurteilten, konnten sich die Gäste nicht nur ständig der privaten Aufzeichnung ungestört widmen: Sogar der Fotograben blieb unkontrolliert permanent zugangsfrei. Keine Beschwerde diesbezüglich von meiner Seite, ungewöhnlich war das jedoch schon. Vielleicht auch ein Zeichen des veränderten Umgangs mit Live-Events zu diesem Zeitpunkt der Pandemie. Über das
vermehrte Fernbleiben von Veranstaltungen trotz Besitz eines gültigen Tickets veröffentlichte die hessenschau unlängst einen interessanten Bericht, der hier gelesen werden kann. Ich kann die darin beschriebene Besorgnis durchaus nachvollziehen. Möglich, dass aus diesem Grund MAYHEM in Mannheim 2022 noch nicht einmal halb so stark besucht wurde wie an gleicher Stelle 2019.
Etwas mehr als 30 Minuten wurde halbwegs aktuelles Zeug von dem Quintett in die Menge geprügelt, hauptsächlich von „Daemon“ und dem EP-Nachschlag. Attila Csihar stieß dabei Geräusche aus, die nicht von dieser Welt sind. Geschminkt, gewandet sowie mit kleiner Lampe am Mikro um seine aufgerissenen Augen dämonisch zu unterstreichen. Hätten wir ihn 2020 in der Frankfurter Batschkapp nicht als absoluten Scherzkeks erlebt, wäre Csihar ebenso zum Fürchten gewesen wie Erik Danielsson von WATAIN, kurz bevor er einen mit Schweineblut übergießt (wir berichteten hier). So war jedoch klar, dass der kapuzentragende Fronter, der sich bereits wiederholt gegen rechte Tendenzen im Black Metal ausgesprochen hat, nur da war, um zu spielen. Am ehesten flößten noch die ungeschminkten Saitenbearbeiter Necrobutcher und Ghul Straßenköter-Respekt ein, der attitüdentechnisch bereits auf das letzte Drittel der Show verwies.
Zwischendrin verbargen sich alle Musikanten etwa eine halbe Stunde hinter Mönchsroben und vor blauem Licht sowie inmitten tonnenweise Nebels, um die Old School-Axt auszupacken in Form von vier Stücken des Debüts von 1994, „De Mysteriis Dom Sathanas“, welches auch das Shirt-Motiv vieler Anwesender darstellte. Wer kein Smartphone in die Höhe hielt, um damit später bei den Nachkommen Eindruck zu schinden, drehte seinen Schädel, grölte mit oder
pumpte den Gerstensaft dazu ab. Der Gig war nun bereits ein extrem guter, jedoch sollte es die Kür sein, die den Abend in die Bestenliste des Jahres schieben wird: Nach einem weiteren Kostümwechsel, bzw. der Entledigung störender Kutten, dröhnte purer Punk aus den Boxen – allerdings nicht, wie auf der aktuellen EP, die Cover von den RAMONES oder den DEAD KENNEDYS, sondern Stücke der brachialen „Deathcrush“-EP von 1987. Csihar zärtelte dabei einen Schädel, während vor allem Necrobutcher den Mob anspornte, ihn aufheizte und sich ebenso von ihm aufheizen ließ. War das geil? Hölle ja, das war es. Drei Bands in einer, das sind MAYHEM auf dieser Tour – und jede von ihnen ist einen Besuch wert.
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Text & Fotos: Micha
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