Schon Schön, Mainz, 9.04.2024
„Ahora!“ Es wurde endlich Zeit, den Kulturclub Schon Schön zu besuchen – so weit ist Mainz von Frankfurt ja nun wirklich nicht entfernt. Bisher ist mir das in der Vergangenheit noch nie gelungen, trotz meines biblischen Alters, was ich mir auch nicht so wirklich erklären kann – vier Bussteige sind direkt vor dem Club und dem dazugehörenden Café Blumen gelegen, die einen flugs nach der Livemusik entweder in Richtung Mainz Hauptbahnhof bzw. Römisches Theater kommen lassen oder über die fulminante Rheinbrücke nach Mainz-Kastel. Von beiden Seiten flutscht außerdem noch der abendliche Zugverkehr – sofern nicht irgendwelche Trottel das Gleisbett bewandern und damit Zugreisen aller Art komplett zum Erliegen bringen. Auf meiner Hinfahrt war genau dies leider wieder ein Problem.
Ich musste befürchten, nach stundenlangem Brüten in der überfüllten S-Bahn auf den abendlichen Gig verzichten zu müssen, so wie es bereits vor ein paar Monaten beim geplanten Besuch von THE BABOON SHOW im Wiesbadener Schlachthof geschehen war. Wenigstens wäre diesmal kein Ticket verfallen – jeden Dienstag spielen im Schon Schön Bands für lau. Beim Verlassen der Location kann man Betrieb wie Musizierende mit einer Spende unterstützen. Beträgt diese mindestens fünf Euro, bekommt man einen Stempel in ein Faltblatt – zehn davon berechtigen zum freien Eintritt bei einer Veranstaltung der Wahl, egal ob Party oder Konzert. Alles grundsympathisch, ebenso wie die Versorgung im Café Blumen, in dem auch die MELENAS vor ihrem Soundcheck noch einen Kaffee schlürften. Und ich hatte diesmal Glück, mein Zug erreichte sein Ziel.
Das Quartett aus Pamplona hatte es mir 2020, während die Seuche Live-Shows raubte und zum vermehrten Plattenhören zwang, mit ihrem Zweitling „Dias Raros“ besonders angetan. 60ies-beeinflusster Poprock mit einer unwiderstehlichen Leichtigkeit und Hooks, die zur Bewegung zwingen – wer bei „3 segundos“ oder „Ciencia ficción“ stillsitzen kann, braucht dringend Medizin. Ein gewisser Henry Rollins liebt von diesem Album besonders „En Madrid“, wie er in einem Podcast genauer ausführt (zu hören hier).
Im Dezember 2023 erschien dann die dritte Platte – „Ahora“ – und ich war spätestens da komplett addicted. Mehr oldschoolige Elektronik evozierte die meisten der Rezensierenden zu diversen Krautrock-Vergleichen – einer Musik, der das Quartett durchaus wohlwollend gegenübersteht. Dabei wird der hohe Popfaktor jedoch kaum gewürdigt, der Sixties-Bubblegum-Sound, der ebenso häufig zu hören wie zu spüren ist. Das ist eine Musik, die Sonne sowie gute Laune transportiert.
Zugegeben, das könnte auch alles falsch bei mir ankommen: Zumindest bei den CDs gibt es kein Textblatt, und mit meinem Duolingo-Kurs bin ich gerade mal soweit, mir eine Mahlzeit auf Spanisch zu bestellen. In einem Interview (hier) betonen MELENAS die politische Seite der Frage, wie oder mit wem man seine Zeit verbringt („Ahora“ bedeutet auf deutsch „Jetzt“) und schlagen einen Bogen zu der größer gewordenen Sichtbarkeit von Frauen, nicht nur in der Musik. Eine mehr als notwendige Entwicklung, die noch lange nicht an dem Punkt angekommen ist, den man gleichberechtigt nennen könnte.
Als sich um 19.30 Uhr die Türen zu dem dunklen Kulturclub öffneten, scharrte eine Reisegruppe bereits begierig mit den Hufen: Ein Mannheimer Konzertveranstalter sowie Pädagoge besuchte mit seinen Schülerinnen und Schülern den Gig. Eine mehr als respektable Aktion (Ich weiß, wovon ich spreche: Ich bin selbst Pädagoge und war früher mal mit einer Busladung Heranwachsender bei einer Coolio-Show in Neu-Isenburg.), die von seinen Schützlingen mit viel Enthusiasmus begleitet wurde und nicht unwesentlich zur Stimmung des Abends beitrug.
Eine Stunde lang füllte sich der Saal, Bier holen oder Austreten wurde zunehmend schwieriger. Gerade die Jugendlichen waren heiß auf die Musik und artikulierten dies zunehmend lauter, bis wir um 20.30 Uhr erlöst wurden. Mit dem Intro von „Ahora“ sowie den auch auf der Platte anschließenden beiden Liedern ging es los, überhaupt blieb der Fokus auf dem neuen Werk. Der Vorgänger „Dias Raros“ kam kürzer, nur zwei bis drei Stücke wurden davon zu Gehör gebracht. Diese Platte beherbergt übrigens einen Song namens „Los Alemanes“, der für mich mangels Sprachkenntnis (noch) nicht zu entschlüsseln ist und der nicht gebracht wurde. Joachim Hiller hat in seiner Review im Ox (siehe hier) versprochen, bei einer kommenden Tour nachzufragen – ich hoffe auf Aufklärung in einer der nächsten Ausgaben.
Eine anfängliche Schüchternheit der Akteurinnen wich rasch maximaler gegenseitiger Begeisterung, bei Stücken wie „Bang“ oder „Primer Tiempo“ tanzten alle, die Mädels aus Mannheim schrien sich dabei den Hals wund. Ein bisschen Verwunderung herrschte bei den Ladies aus Pamplona schon darüber vor, dass sie so abgefeiert wurden, eben auch von der nicht-spanisch-sprechenden Bevölkerung im Saal. „Ihr fühlt es einfach“, resümierte Schlagzeugerin Lauri, während sich Bassistin Leire eine Trinkpause gönnte.
Zwei der Schülerinnen aus der Mannheimer Gruppe eskalierten inzwischen völlig. „Meine Stimme ist ja weg“ krisch die eine, eigentlich noch gut verständlich und daher nicht ganz korrekt. Einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Drummerin nach einer Stunde Spielzeit inklusive einer kurzen Zugabe noch einmal anzählte und die Band damit zwang, noch einen rauszuhauen, hatten die Mädchen sowie ihr tanzender Kumpan damit auf jeden Fall. „Best Energy“ konstatierte die Sängerin, Gitarristin und zweite Keyboarderin (nach Maria) Oihana wiederholt. Man glaubte es ihnen. Hoffend auf eine baldige erneute Gelegenheit, diese Truppe erleben zu können. Gracias. Und bis Freitag, Schon Schön, wenn AGRYPNIE zur Jubiläumsshow laden. Wird nicht lang dauern, bis das Stempelheft voll ist.
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Links: https://www.facebook.com/melenasband, https://www.instagram.com/melenasband/, https://melenas.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Melenas
Text & Fotos (10): Micha
Fotos (10): Nils (@nils.abd.photo), https://www.flickr.com/photos/194860737@N02/
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