Lanxess-Arena, Köln, 14.09.2017
Eigentlich müsste hier als Überschrift „METALLICA & KVELERTAK“ stehen. Vorgruppen haben aber bei solchen Mega-Events (und eine METALLICA-Show ist eins, mehr als jedes andere Metal-Konzert. Ja, auch mehr als eines von IRON MAIDEN.) nix zu melden, egal wie geil sie sind. KALEO nicht bei den ROLLING STONES, ALGIERS nicht bei DEPECHE MODE, KVELERTAK nicht bei METALLICA. Zumindest nicht in der Lokalpresse, die über solch ein Ereignis berichten muss, selbst wenn da so ein Stuss bei rumkommt wie beim Text der Deutschen Presse-Agentur, der z. B. im Hamburger Abendblatt erschien. Feuilletonisten, die für die Leserschaft ein (ehemaliges) Subkultur-Phänomen begutachten? Danke, geschenkt in den meisten Fällen. Außer man heißt Dietmar Dath und bewegt sich seit Jahren intellektuell in diesen Subkulturen, dann geht das. In der Regel aber: Traut Eurer Zeitung nicht, wenn sie über Kultur schreiben lässt. Die Autoren haben entweder keine Ahnung und müssen einen Auftrag erfüllen oder sind alte Säcke, die keinen Bezug zur Materie haben, weil ihre Jugendkultur die Eurer Eltern ist und sie (die Säcke) seit ihrer Anstellung ihren mühsam erworbenen Posten verteidigen.
Der Metal-Presse werden KVELERTAK sicher ein paar Zeilen wert sein, was schön ist: Sie performten 45 Minuten lang vor größtenteils unkundigen 18.000 Menschen ihren norwegischen Straßenpunkbluesmetal, ohne sich zu verbiegen – und spielten Songs, die größtenteils energetischer waren als die der Hauptband. Ich hier, selber alter Sack, verkneife mir das aber, weil man die lieber im Club sehen sollte, so wie Kollege Marcus das einst tat (Bericht hier). Da gehören KVELERTAK auch hin – vor schwitzende, ausrastende Pogospringer und Luftgitarre-Virtuosen. Nicht vor einen Haufen Chips oder Popcorn fressender Erlebnistouristen, die sich den Metal wie einen Kinobesuch reinziehen. So wie ich eigentlich auch. Scheiße, war das ein ambivalenter Abend.
Ich möchte ausholen: Als die METALLICA-Tour in den Vorverkauf ging, musste ich arbeiten. Das ist blöd – sichert man sich sein Ticket nicht unmittelbar, nachdem der VVK anfängt (10 Uhr), hat man gelitten, weil: Alles weg. Wobei 10 Uhr nicht der Zeitpunkt ist, an dem man sein Ticket hat, nein: Dann könnte man eines kriegen, hängt man lang genug in der Warteschleife fest und geht zwischenzeitlich nicht aufs Klo oder eben arbeiten. Ich hatte bei METALLICA kein Glück, weder bei Eventim, die die beiden Köln-Konzerte am 14. und 16. September vertickten; noch bei Ticketmaster, die auch die weiteren Gigs, z. B. in Mannheim im Februar 2018, im Angebot hatten.
Kurz vorher gab es einen Exklusivsale von METALLICA selber, dem man als Fanclub-Mitglied beiwohnen konnte. Schätze, der gesamte Innenraum wurde von diesen Menschen bevölkert. Ich kam ticketlos zum Job, mit zwei Stunden Verspätung, und spielte während der Arbeitszeit gedankenlos und verbotenerweise mit dem Smartphone, als ich durch die passende App dann doch noch eine Karte für Köln bekam. Unterrang, 112 Euro. Plus Vorverkaufsgebühr und Porto und was sich Eventim noch so alles erlaubt. Dann noch Hotel gebucht, Fahrkarten gekauft – ja, das war ein teurer Abend, fürwahr. Das musste aber sein – hätte es nicht geklappt mit meiner Anwesenheit, hätte ich das als grobe Ungerechtigkeit empfunden.
Bin Fan fast der ersten Stunde, habe „Hit the Lights“ vom Debütalbum „Kill ‚em all“ (1983) auf HR 3 gehört, als es das beschissene Formatradio noch nicht gab und war hingerissen von diesem brutalen Zeug. Platte gekauft, erste Tour mit VENOM zwar leider verpasst (Nürnberg war zu weit für mich als Schüler), dafür happy, dass METALLICA nur in Frankfurt (7. Juni 1984) für TWISTED SISTER eröffneten (die armen Hamburger mussten dagegen Lita Ford als Support ertragen). Die Headliner-Show am 1. Dezember 1984 in Mainz zementierte dann die Ekstase, immer noch eines der großartigsten Konzerte, das ich je erleben durfte. Oder kurz: Ich hatte es verdient. So wie einige andere, die aber schon lange keinen Bock mehr haben auf METALLICA. Oder nicht genug Geld. Und nicht wie die, die „Nothing Else Matters“ feiern und morgen zum PUR-Auftritt rennen. Die sich das alles leisten können. So wie ich. Was für eine ambivalente Scheiße.
Ich stehe also in Köln in dem Laden, der mal Kölnarena hieß, im Unterrang und denke: „Wow. Ist das groß hier.“ Und voll, später, als KVELERTAK fertig sind. Mit knapp 15 Minuten Verspätung geht mir als Film- und METALLICA-Fan doppelt einer ab, als nach „It’s a Long Way to the Top“ von AC/DC „The Ecstasy of Gold“ gespielt wird – ein Stück von Ennio Morricone, aus meinem Lieblingswestern „The Good, The Bad & The Ugly“. Eli Wallach rennt auf einem Friedhof rum, sucht das Grab mit dem Schatz, während Clint Eastwood abwartet. Wir wissen, wie das ausgeht: METALLICA kommen gleich. Viele kleine Würfel hängen von der Decke über der mittig installierten Bühne und übernehmen die Aufgaben der Großleinwände, indem sie entweder große Bilder aufteilen oder viele kleine senden.
Artworks von Plattencovern werden folgen, Ausschnitte aus Videoclips, im nostalgischen Teil später Tickets aus der Region Köln bis Dortmund oder Aufnahmen von der Band in jungen Jahren. Nice. Begonnen wird musikalisch aber aktuell, mit dem ersten Stück des 2016er-Albums, „Hardwired“, gefolgt vom zweiten… Auch, wenn METALLICA dann ein erstes Leckerli an die Old School-Fans verabreichen („Seek & Destroy“ vom Debüt, welches aber sonst fast nur bessere Songs bietet), wird in der ersten Hälfte des Konzerts fast die erste CD des aktuellen Longplayers durchgespielt – und das… ist… so… öde.
Obwohl die Tracks nicht schlecht sind, überkommen mich Zweifel am Sinn meiner gegenwärtigen Aktivitäten. METALLICA haben in den letzten Jahren Platten rausgebracht nach Schema F, man weiß vorher schon genau, auf welcher Position der schnellste, der langsamste, der groovigste Song sitzt, gähn. Hört sich zwar meist gut an, ist aber auch schnell wieder abgefrühstückt, bei uns alten Hasen. Kann mir aber schon vorstellen, dass Novizen das aufregend finden. Trotzdem kann man METALLICA nicht vorwerfen, immer auf Nummer Sicher gehen zu wollen – dafür sind sie mit miesen bis sinnfreien Aktionen, wie zum Beispiel der Kollaboration mit Lou Reed (puh…) und mit ihren Konzerten auf allen Kontinenten (also auch: Antarktis. Puh…) zu oft renommeemäßig auf die Fresse gefallen. Fast schon wieder cool, bei allem Schwachsinn. Sehr ambivalent, das Ganze, wenn Ihr mich fragt.
Der Gipfel der Ambivalenz wird erreicht, als METALLICA an Position 12 den letzten aktuellen Song präsentieren, „Moth Into Flame“. James Hetfield faselt etwas von „Fame“ und wie geil alle darauf sind, und dass es doch so viel netter wäre, wenn wir alle etwas mehr „humble“, also „bescheiden“ oder „demütig“ wären. Hallo, METALLICA? GEHT’S NOCH????? Da werden Tickets für mehrere tausend Euro für nen Händedruck der Musikanten angeboten (die sich aber nicht wie erhofft verkauften, weswegen es kurzfristig vor dem Gig noch so einiges an Restposten u. a. von Reiseveranstaltern zu erwerben gab). Außer IRON MAIDEN kann keine Metal-Band kommerziell gegen METALLICA anstinken; jeder zweite im Saal trägt METALLICA-Leibchen; Kids werden von ihren Muttis bei H&M mit METALLICA-Wear ausgestattet – und ihr faselt was von „bescheiden“? Ihr müsst wohl mal in Kur, Jungs.
Auf der anderen Seite versteht es kein Stadionrocker (außer Bruce Springsteen) so gut wie METALLICA, so zu tun, als wären sie wie wir. Das geht über das Beschwören der großen „Family“ über das Begrüßen Einzelner, wie das des 12-jährigen David (dessen Vater ein „cool guy“ ist, weil er die Fackel an die Nachkommen weiterreicht) bis zum Ende des Abends, als METALLICA nach zwei Stunden und 20 Minuten Spielzeit sich Zeit lassen mit dem Verschwinden, sich bei den Fans bedanken, Plektren versenken und eine „große Überraschung“ für das Jahr 2018 ankündigen. Sehr ambivalent. Aber ansteckend.
Sechs Songs werden Abend für Abend gewechselt – so agieren METALLICA ganz ambivalent als Band mit starrer Setlist wie mit Raum für Austausch. An Position 10 steht die Coverversion: Am 14.9. war das lange nicht mehr gespielte „Stone Cold Crazy“ von QUEEN dran, am 16.9. „Whiskey in the Jar“ von u. a. THIN LIZZY. Woanders war das „Last Caress“ von den MISFITS, was mir lieber gewesen wäre. Doch egal, so wird jedenfalls die Lust geweckt, mehrere Stationen der Tour zu besuchen. „One“, „Master of Puppets“ oder „Sad But True“ sind gesetzt, ebenso wie die letzten beiden „Nothing Else Matters“ und „Enter Sandman“. Beim Austausch-Programm hatte ich in der Zugabe „Blackened“ anstelle von „Battery“ zwei Tage später. Höhepunkt für mich war „Creeping Death“, auf das die Besucher des zweiten Köln-Konzerts verzichten mussten. Die hatten mit „Fuel“ vom 1997er-Album „Reload“ dagegen einen Track, den ich auch gerne gehört hätte. Statt „Nothing Else Matters“, zum Beispiel.
Unterm Strich war das eine schweißtreibende, großartige, überhebliche und gesättigte Veranstaltung mit überzeugender Optik, miesen Soli und maximaler Inklusion. Ein netter Rock’n’Roll-Abend und ein fantastisches Stadion-Event. Durchaus verzichtbar, aber schon geil. Ich mache sowas wohl nicht mehr mit – in Mannheim bin ich aber wieder dabei. Verdammte Ambivalenz.
Links: https://www.metallica.com/, https://de-de.facebook.com/Metallica, https://soundcloud.com/officialmetallica, https://www.last.fm/music/Metallica
Text & Fotos: Micha
Clips: aufgenommen am Konzertabend von Heaven and Hell
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