Batschkapp, Frankfurt, 9.08.2016
Der Name Michael Kiwanuka geistert schon seit ein paar Jahren durch die Musikpresse – von einem neuen Soul- Shooting-Star aus London ist da die Rede, im Vorprogramm von Adele trat er auf, sein Debüt „Home Again“ verkaufte sich recht gut. Schön für ihn. Das macht ihn aber noch nicht sooo interessant für mich, auch wenn Adele in meiner Welt durchaus eine Empfehlung ist. Alles, was mir von Kiwanukas erster Scheibe in die Ohrmuscheln rutschte war zwar kein Ärgernis, hatte aber eben auch keine besondere Relevanz. Dann wurden die ersten Singles vom aktuellen Album „Love & Hate“ veröffentlicht – und ich war angefixt. „Cold Little Heart“ zum Beispiel: Wer Bobby Womack mag oder die Musik des kürzlich verstorbenen Billy Paul, der fühlt sich hier auch wohl. Oder „Black Man in a White World“ (Videoclip dazu weiter unten) – das hat fast schon Gil Scott-Heron oder Curtis Mayfield-Ausmaße. Für mich sind das die Riesen im Grenzbereich zwischen Singer/Songwritertum und Soul. Nicht, dass es Kiwanuka darauf anlegen würde, mit diesen Herren verglichen zu werden. Aber ich wage die These, dass er sie auch schätzt. Beim ersten Album waren solche Assoziationen noch in weiter Ferne.
Dass das Songmaterial über reinen Retro-Charme weit hinausgeht, beweisen chillige Remixe von „Love & Hate“ sowie die Alternativ-Version von „Black Man in a White World“ aus der Netflix-Serie „The Get Down“ zusammen mit dem New Yorker Rapper NAS. Auch live wurde das Material wie in einer kalkulierten Jam-Session gedehnt – der Opener des Kiwanuka-Sets sowie des aktuellen Albums, „Cold Little Heart“, ließ allen Instrumentalisten Raum zur Entfaltung. Es waren deren sechs: Neben Kiwanuka ein weiterer Gitarrist, ein Organist, Bassist, Schlagzeuger und ein weiterer Perkussionist. Wie die heißen? Fehlanzeige, hätte ich auch gerne gewusst. Weil die schon recht gut waren. Doch der Meister rückt keine Infos raus, auf der Homepage gibt es gegenwärtig nur die Tourdaten. Auch sonst gab sich Kiwanuka erstmal verschlossen, vielleicht sogar etwas angespannt. Dabei war das wie ein Heimspiel gestern in der Batschkapp, denn das generationsmäßig wie selten gemischte Publikum war voller Liebe und Respekt.
Ein bisschen dazu bei trug aber auch Casey Keth aus Frankfurt um kurz nach Acht, als das Konzert losging. Da man mich zweifelsfrei von jedweder Hipness freisprechen kann, hatte ich keine Ahnung, wer der Kerl auf der Bühne ist, der auch im Internet nicht besonders viel Präsenz zeigt. Anderen ging das nicht so – Keth schnallte seine Akustik-Klampfe um, plauderte ein wenig und sang so herzerweichend, dass ich binnen weniger Momente gewillt war einen Fanclub zu gründen, so es nicht schon einen gibt. Das Pärchen neben mir konnte jedenfalls fast jeden Song mitsingen.
Dass Keth es eventuell nicht gewohnt sein könnte, vor so vielen Leuten aufzutreten (die Batschkapp war sehr gut gefüllt, es gab keine Raumtrenner. Die Empore war aber zu. Rechnet selber aus, wie viele Menschen das wohl ausmacht, wenn man ohne ernsthafte Blessuren von der Bühne zum Bier und zurück kommt) merkte man ihm nicht an, obwohl er das selbst mehrmals erwähnte. Trotz konstantem Gebrabbel von der hinteren Theke fühlte er sich willkommen und voll Zuneigung empfangen, und ja, so war das auch, ich fing schon selber fast vor Ergriffenheit an zu heulen. Nur Spaß. Fast.
Cool war auch, dass Keth (er selber meinte nur: „Hallo, ich bin Casey“) sich so vom Augenblick treiben ließ, dass die Setlist unter ihm an Bedeutung verlor und er seinen Auftritt spontan neu durchkomponierte. „Wieviel Zeit habe ich noch?“ musste er da mal fragen, es fiel wohl auch was weg, aber 45 Minuten hatte er sehr zur allgemeinen Freude. Schlecht fand ihn wohl niemand und die blöden Labertussis, die sich an der hinteren Bar einen Sekt nach dem anderen reinschütteten, quatschten später bei Kiwanuka genauso viel. Freikartengesichter, anscheinend. Mir schleierhaft, wer fast 30 Euro hinlegen könnte um alles zu verquasseln. Verfummeln – das wäre noch mal eine andere Option, da lässt man sich ja schon mal vom Gehörten inspirieren.
So schön emotional aufgewärmt und mit lokaler Schnauze vom Publikum verlangt („Michaeeel!“, „Michiii!“), war es für Kiwanuka ein Leichtes, bei Betreten der Bühne den Fummelfaktor zu erhöhen. Doch die neuen Kompositionen am Anfang des Sets wurden zelebriert, luftiger als auf Platte, ein wenig psychedelisch gar. Kam extrem gut. Auch optisch wurde den Siebziger Jahren gehuldigt mit dem braunen Jäckchen, welches nach Song Nummer drei ebenso wie die vorher beobachtete Anspannung postwendend wich, als die professionellen Fotografen den Graben verlassen mussten. Nach etwa 20 Minuten. Da lohnte sich die Drei-Songs-Regel für die Fotojäger.
Musikalisch und inhaltlich war „Black Man in a White World“ als sechstes Lied das Highlight des Abends. Curtis Mayfield und Gil Scott-Heron waren sicher deutlicher in ihrer politischen Positionierung als es Kiwanuka (bisher) ist, aber dieser Song geht schon sehr stark in so eine Richtung. Ob das für die meisten Paare, für die das Konzert erst an Rasanz zunahm, als Kiwanuka die Nummern von seinem Debüt spielte, irgendeine Wichtigkeit hatte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wurde gestreichelt, geknetet und massiert, zumindest in den hinteren Reihen, die jedoch nicht so weit hinten waren, dass man das irgendwie „diskret“ nennen konnte.
Sei ’s drum. Für jemanden, der das nicht unbedingt sehen wollte, hatte das aber schon was von einem Spießrutenlauf – vor allem, weil man irgendwann von den Fummlern angeschaut wurde, als würde man sich wegen ihrer Beschäftigung hinter sie stellen. Das war jedoch mein Problem, nicht das der Fummler und schon gar nicht das von Kiwanuka, der inklusive Zugabe genau 90 Minuten spielte und allerorten glückliche Gesichter hinterließ. Mich langweilte das im letzten Drittel etwas, den geschätzten Kollegen von der FR wohl ebenso, denn auch er sah eine deutliche musikalische Steigerung vom ersten zum zweiten Album. Hoffentlich geht das so weiter, dann kann das noch was richtig Fettes werden. Statt Kuschelrock.
Links: http://www.michaelkiwanuka.com/, https://www.facebook.com/Michael-Kiwanuka/, https://myspace.com/mikeksongs, http://www.last.fm/de/music/Michael+Kiwanuka, https://de-de.facebook.com/caseyketh/, https://soundcloud.com/caseyketh
Text, Fotos & Clips: Micha
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