Zoom, Frankfurt, 20.10.2015
Sleaze Metal ist nicht so meins. Habe ich nie so verfolgt – zum Einen, weil viele Bands sich musikalisch sehr ähneln und (für meine Ohren) ziemlich kommerziell erscheinen – zum Anderen, weil viele Protagonisten extrem eitel und selbstverliebt rüberkommen. Jaja, kann man anders sehen. Mir ist auch bewusst, dass ersterer Punkt von Vielen Eins zu Eins auf Musikrichtungen übertragen werden kann, die ich sehr mag und andere blöder finden. „Klingt doch eh alles gleich“ – ein Satz, der mehr aussagt über den, der das sagt und weniger etwas über die erwähnte Musik. Was Sleaze bei mir, ist Black Metal bei Dir, schon klar. Was für Dich alles gleich klingt hat in meinen Ohren etliche Variationen und vice versa. Das mit der Eitelkeit und Selbstverliebtheit ist bestimmt auch Voraussetzung für den Job, sich allabendlich zu präsentieren, verstehe schon.
Doch auch wenn es mir nie einleuchtend klar wurde, warum Kajal und Haarspray bei Männern im Metal so dermaßen unschwul wirkt und im Gegenteil sogar einen Dosenöffnereffekt zur Folge haben kann (wenn mir diese sexistische Bemerkung in diesem hedonistischen Zusammenhang erlaubt sein dürfte – ich finde, es passt), muss ich anerkennen, dass der Sleaze sich aus Wurzeln speist, die ich auch sehr gerne mag. Blues. THE ROLLING STONES. Punkrock. RAMONES. Irgendwann wurde die bei den RAMONES zerrissene Jeans aufgehübscht mit stylischen Aufnähern, man hatte die Haare schön, sang von Partys, Mädels und vom Outlawtum und war dabei selber so gesellschaftsfähig wie die CDU. Aber immer irgendwie Punkrock dabei. Auch ’ne Kunst.
Das alles traf in den Achtzigern auch auf die Finnen von HANOI ROCKS zu, die unglaublich gute Rock’n’Roll-Alben zwischen STONES und Punkrock fabrizierten und von der aufkommenden Hair Metal-Föhnwelle gerne adaptiert wurden. Deren Frontmann Michael Monroe (Fotos oben) kam gestern mit seiner Band in das Frankfurter Zoom, im Gegensatz zu anderen Ländern aber nicht als Headliner. Diesen Status hatten HARDCORE SUPERSTAR aus Schweden inne, die in Deutschland bekannter sind, an uns aber bisher vorbeigingen. Schaun wir mal.
Als der Club um 20 Uhr öffnen sollte, tat er es nicht. Noch Soundcheck, man kennt das ja. 20 Minuten später ging es langsam rein und um halb Neun standen dann CHASE THE ACE auf der Bühne. Eine Band aus Israel mit einem Gitarristen aus GB, wenn ich das richtig verstanden habe – die offizielle Heimatstadt ist aber London. Ich war fest davon überzeugt, sie belanglos zu finden, doch das ging nicht. Nicht nur, weil Gitarrist/Sänger Roi Vito Peleg fast jeden im Saal freundlich anlächelte beim Losrocken, sondern weil die Songs (die vielleicht nicht jede kommerzielle Anbiederung vermissen ließen, gut) stimmig waren und die Band einen Bohei machte, als wäre sie im Madison Square Garden. Nicht anbiedernd, sondern ansteckend. Keine Ahnung, ob die Formation hier vorher schon Fans hatte (sie wirkte, als wären alle nur wegen ihnen hier und blieb dabei sympathisch. Kunststück.), aber am Ende waren es viele. Glückwunsch.
Zum Auftritt des Meisters Michael Monroe spricht jetzt zu Euch Kollege Marcus:
„Muss man Michael Monroe kennen?“, wurde ich im Vorfeld des Konzerts von einem Kumpel gefragt. Nun, man muss nicht. Aber man sollte, zumindest wenn man sich für Hardrock/Punkrock und Rock’n’Roll interessiert. Monroe war Leadsänger der finnischen Sleaze-Rock-Band HANOI ROCKS, die zwischen 1979 und 1986 und nochmal zwischen 2001 und 2009 existierte und so etwas wie die europäische Version der NEW YORK DOLLS darstellte. Soll heißen, Sex, Drugs und Rock’n’Roll – später kam noch Haarspray dazu – waren die Komponenten, die HANOI ROCKS definierten. Das erste Album erschien Anfang 1981 und somit gut ein halbes Jahr bevor MÖTLEY CRÜE ihr Debüt vorlegten und damit den Grundstein für den Glam Metal der Achtziger Jahre legten.
Während vielen dieser Bands anzuhören ist, dass sich ihr musikalischer Background lediglich auf den Hardrock beschränkt, griffen HANOI ROCKS und Michael Monroe auf ein weitaus breiteres Spektrum musikalischer Einflüsse zurück. Dies wird besonders auf Monroes erster Solo-Scheibe aus dem Jahr 1987 deutlich, auf der er unter anderem Songs von MC5, den DEADBOYS, den HEAVY METAL KIDS, den FLAMIN’ GROOVIES und Johnny Thunders coverte. Just diese Einflüsse machten am gestrigen Abend den Unterschied zwischen Michael Monroe und den übrigen Acts deutlich, denn während seine Combo erkennbare 77-Punk-Merkmale aufwies, lieferten die Begleit-Acts „nur“ simplen Ballermann-Hardrock. International zählt Monroe übrigens zu den ganz Großen, der Finne war bereits an Projekten mit Steve Stevens, GUNS N’ ROSES und Slash beteiligt und stand auch mit Alice Cooper auf der Bühne. In seinem Heimatland wird er gar als Volksheld verehrt und spielt schon mal an Silvester vor Tausenden von Leuten in Helsinki.
Doch auch auf einer vermeintlich kleinen Bühne wie der des Frankfurter Zooms präsentierte sich Monroe in sensationeller Spielfreude und mit hochklassiger, internationaler Backing-Band: Bassist Sami Yaffa beispielsweise begleitet Monroe bereits seit frühen HANOI ROCKS-Tagen, US-Gitarrist Steve Conte gehörte zwischen 2004 und 2009 dem Lineup der NEW YORK DOLLS an, der englische Gitarrist Rich Jones war eines der Gründungsmitglieder der BLACK HALOS und musizierte bereits mit Alec Empire und ATARI TEENAGE RIOT und der schwedische Drummer Karl Rockfist, eigentlich Rosqvist, spielte bereits bei DANZIG, SON OF SAM und den New Yorker Sleaze-Rockern CHELSEA SMILES. Der bunt zusammengewürfelte Haufen machte nicht nur optisch einen guten Eindruck, sondern harmonierte auch musikalisch perfekt miteinander.
Los ging’s mit „78“, einem Track der wohl besten Monroe-LP „Sensory Overdrive“ von 2011, dem ein Querschnitt von Klassikern seiner Solo-Alben folgte, darunter Monroes New-York-Hommage „Ballad of the Lower East Side“, der brachiale Dampfhammer „R.L.F.“ und das punkige „Got Blood?“. Abgerundet wurde die Setlist durch einige HANOI ROCKS-Songs („Oriental Beat“, „Tragedy“, „Malibu Beach Nightmare“), Stücke von Monroes New Yorker DEMOLITION 23-Projekt und Cover-Versionen von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL („Up Around the Bend“) und den HEARTBREAKERS („I Wanna be Loved“).
Unterm Strich war das Dargebotene extrem kurzweilig, mitreißend und machte großen Spaß, nicht zuletzt aufgrund der Frontmann-Qualitäten von Monroe, dessen Stimme bei den härteren, punkigen Songs durchaus ein wenig an Johnny Rotten oder Jello Biafra erinnerte. Erstaunlich war zudem, dass der 53-Jährige agiler als manch 20- Jähriger über die Bühne tobte und damit selbst David Lee Roth in dessen Blütezeit Konkurrenz gemacht hätte. Danach konnte an diesem Abend (zumindest für mich) nichts mehr kommen, sodass die restliche Berichterstattung nun wieder Kollege Micha übernimmt.
War’s das? Ein gemeinsamer Bekannter von uns, den wir ständig auf Konzerten treffen, beschrieb HARDCORE SUPERSTAR schon im Vorfeld als Pflichtband – er hatte schon drei Konzerte mit ihnen in Frankfurt und Wiesbaden gesehen und war jedes Mal unendlich begeistert. Naja, die paar Songs, die ich im Netz von denen hörte, ließen Zweifel zu (waren aber auch nicht komplett verkehrt). Wenn wir schon mal da waren sahen wir uns die auch an, was Kollege Marcus nicht lange durchhielt. Irgendwie wirkte das schon anfänglich merkwürdig für mein kleingeistiges Ich, wenn ein geschminkter Typ im VENOM-Shirt (Sänger Jocke Berg) und Anarchie-Aufnähern so… sleazig klingt. Letztlich war das aber mein Problem und nicht das von Berg. Ich mag ja auch WATAIN und Joan Baez fast gleichermaßen – und wenn das jemand nicht kapiert, ist er eben kleingeistig.
HARDCORE SUPERSTAR spielen also keinen Hardcore und erst recht keinen Black Metal, aber ziemlich geilen Party-High Speed-Rock’n’Roll der dem Punkrock schon recht verwandt ist. Unser Bekannter hatte Recht, live war das großartig. Viele Songs wie zum Beispiel „Moonshine“, die ich zu Hause nachhörte, funktionierten auf einmal auch da. Scheuklappen weggespielt? Bei mir hat das zumindest funktioniert. Und wie die Band nach knapp einer Stunde während (!) der Zugabe das Schlagzeug abmontierte, war showtechnisch eine Klasse für sich. Super Abend, in meiner Welt. Her mit dem Kajal.
Links: http://chasetheaceband.com/, https://www.facebook.com/ChaseTheAceBand, http://chasetheaceband.bandcamp.com/, http://www.last.fm/music/Chase+the+Ace, http://www.michaelmonroe.com/, https://www.facebook.com/michaelmonroeofficial, http://michaelmonroe.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Michael+Monroe, http://www.hardcoresuperstar.com/, https://www.facebook.com/OfficialHardcoreSuperstar, https://www.reverbnation.com/hardcoresuperstar, http://www.last.fm/de/music/Hardcore+Superstar
Text (CTA & HS), Fotos & Clips: Micha / Text (MM): Marcus
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