Capitol, Offenbach, 25.10.2017
Zieht man sich bei Wikipedia rein, was und mit wem Michael Schenker schon so alles aufgenommen hat, so wird einem schwindelig: SCORPIONS. UFO. Dann seine eigene Band, die MICHAEL SCHENKER GROUP, kurz MSG. Die sich irgendwann, beim dritten Sängerwechsel, McAULEY SCHENKER GROUP nannte. Außerdem diverse weitere Kollaborationen mit seinem SCORPIONS-Nachfolger Uli Jon Roth, seinem UFO-Vorgänger und späterem WHITESNAKE-Star Bernie Marsden, mit RATT, mit William Shatner, dann wieder mit UFO… Schließlich als MICHAEL SCHENKER’S TEMPLE OF ROCK mit Ex-SCORPION Herman Rarebell und Doogie White aus der ersten, sogenannten RAINBOW-Reunion 1995. Unter Anderem.
Michael Schenker, der jüngere Bruder des SCORPIONS-Gründers Rudolf Schenker, hatte im Gegensatz zu ihm immer mehr: Mehr Glamour, mehr Skandale, mehr Drinks, mehr berufliche Dynamik und mehr Aufmerksamkeit. Das soll alles nicht wertend gemeint sein: Diese „Mehrs“ offenbaren vielleicht mehr Freigeist, vielleicht aber auch mehr Unzuverlässigkeit. Tolle Platten machten beide in der Vergangenheit. Bei beiden ist das aber eine ganze Zeit lang her, aktuell bekommt der eine seinen Band-Abschied seit Jahren nicht
gebacken und zelebriert diesen in den Arenen der Welt (Rudolf), während der andere (Michael) seine Vergangenheit mit interessanten und sich häufig verändernden Konzepten zelebriert. Nach TEMPLE OF ROCK, bei dem auch großzügig der Fundus des Bruders geplündert wurde, bleibt Michael mit seinem FEST ganz bei sich und seinen Mitstreitern. Und nimmt von denen einfach mal alle mit (zumindest alle Vokalisten).
Eine ziemlich coole Idee, wie ich finde. Gab es doch soundtechnisch zwischen der Phase mit Gary Barden, Graham Bonnet (rechts) und Robin McAuley erhebliche Unterschiede. Diese drei jetzt alle zusammenzupacken und jeden seine eigenen Songs singen zu lassen, verärgert Fans nur einer bestimmten Phase nicht und lässt die Anhänger aller Zeiten gemeinsam feiern. Weswegen das Capitol in Offenbach, gestern recht gut gefüllt, angesteuert werden konnte und nicht der kleinere Colos-Saal in Aschaffenburg, wie bei den letzten TEMPLE OF ROCK-Shows. Wobei Deutschland sicher nicht der kommerzielle Hotspot Schenkers ist – in England und vor allem Japan passiert da weitaus mehr (weswegen auch die meisten Live-Alben dort aufgenommen wurden).
Offenbach also als (erstmal) einzige deutsche Station – vielleicht geht 2018 ja noch mehr, wenn Schenker unter dem Banner MICHAEL SCHENKER FEST auch noch einen neuen Tonträger präsentiert. Mit gleich vier Vokalisten: Neben Barden, Bonnet und McAuley ist dann auch noch Doogie White von TEMPLE OF ROCK dabei. Und von RAINBOW. Und YNGWIE MALMSTEEN’S RISING FORCE. Und von TANK. Fragt nicht, wie das zusammenpasst, das ist eine andere Geschichte und heute nicht von Belang.
Die UFO-Alben mit Schenker sind essentiell, vor allem der Live-Doppeldecker „Strangers in the Night“. Die MSG-Alben mit Gary Barden und das eine mit Graham Bonnet mochte ich auch immer sehr, bei der McAULEY SCHENKER GROUP war ich raus – zu radiotauglich und klischeehaft war deren Hardrock für mich, weswegen ich ihn strikt ignorierte. Was einen ziemlichen Blödsinn darstellt, weil der Hardrock mit Barden oder Bonnet auch nur in Details weniger kommerziell ist. Letztlich liegt es wohl mehr am Alter des Hörers, ob er eine Phase der anderen vorzieht. Wäre es also noch meiner Wertigkeit gegangen – dann hätte Robin McAuley zuerst am Mikro gestanden, dann Gary Barden, und dann Graham Bonnet, die coole Sau. War aber nicht so.
Zuerst kam ja mal, wie fast immer, eine Vorband, die wir aber verpassten. Also kein Vermerk an dieser Stelle über VANISH aus Böblingen, die sich den Namen mit einem Putzmittel teilen. Etwa um 21.20 Uhr fand die Instrumental-Fraktion des Headliners den Weg auf die Bühne – neben dem blonden Gitarrenmeister waren dies noch seine langjährigen Gefährten Ted McKenna an den Drums (ebenfalls langjähriger Schlagzeuger bei Rory Gallagher und deswegen auch bei der BAND OF FRIENDS, Bericht dazu hier) sowie Chris Glen am Bass, der mit mehreren Unterbrechungen auch schon zehn Jahre mit Schenker spielt. Und, wie sein rockermäßiges Patch an seinem Rücken stolz verkündete, neben MSG auch mit der SENSATIONAL ALEX HARVEY BAND. Steve Mann an der zweiten Gitarre oder an den Keys vervollständigte das Line-Up.
Vor jedem Vokalisten-Besuch brachte Schenker ein passendes Instrumental-Stück, an dem es ihm ja nicht mangelt. Chronologisch korrekt ging es dann los mit Gary Barden, der Schenker in der Vergangenheit am längsten die Treue gehalten und die ersten Studio-Scheiben sowie die fulminante Live-Doppel-LP „One Night at Budokan“ eingesungen hat. Nach drei Songs war aber leider schon Schluss – mit dem SCORPIONS-Instrumental „Coast to Coast“ wurde der Auftritt Graham Bonnets angekündigt. Der sang 1982 „Assault Attack“ ein; war zuvor ein Album lang bei RAINBOW und noch vorher veröffentlichte er Songs von den BEE
GEES. Geboren 1947. Angeblich gefeuert bei RAINBOW nach dem erfolgreichen „Down to Earth“, weil Bonnets kurze Haare nicht kompatibel waren. „Assault Attack“ hat großartige Nummern wie den „Desert Song“, mit dem Bonnet auch am gestrigen Abend startete – mit Schenker gab es nach Veröffentlichung dieses Albums aber auch Stress. Warum sonst sprang Gary Barden auf dem „5th Golden Summernight Festival“ 1982 in Wiesbaden vor Neil Young auf der Bühne rum, und nicht Bonnet? Und blieb, auch im Vorprogramm vor IRON MAIDEN auf ihrer 1983er Tour? Optisch unterschied sich Bonnet immer noch stark vom Rest der hart rockenden Kollegen, so mit Schlips und Jackett und Sonnenbrille.
Kein Grund, ihn heuer zu schassen, anscheinend, im Gegenteil: Mit zwei Stücken, eben dem „Desert Song“ und „Assault Attack“, bewies Bonnet seine nach wie vor vorhandene Kompetenz. Das mit „Dancer“ dazwischen der mit Abstand käsigste „Assault Attack“-Track eingeschoben wurde, bei dem alle drei Sänger auf der Bühne standen, war schade, aber machte mit dieser Besetzung durchaus was her. Sehr schön das alles.
Als Robin McAuley schließlich zum finalen Drittel ansetzte, war das auch nicht mehr schlimm, im Gegenteil: Der mit pseudo-stylishen Gebrauchsspuren in Form von Schnitten im Beinkleid ausstaffierte McAuley, der auch schon bei SURVIVOR sang und bei (festhalten): FAR CORPORATION (von Frank Farian, sowas wie der Dieter Bohlen vor und während Dieter Bohlen) machte seinen Job sehr gut, was man nicht nur an den Songs seiner Schenker-Ära merkte, sondern vor allem an den UFO-Tracks, die den Auftritt beschlossen. „Rock Bottom“ war fast zum Niederknien, „Doctor Doctor“ und „Lights Out“ in den beiden Zugaben wohl unentbehrlich, aber klasse. Alle Akteure dabei noch mal auf dem Podest. Nach zwei Stunden dann war Schluss, das Capitol liegt schließlich in einem Wohngebiet.
Hätte jemand gestern lieber innovativere Zustände im Metal erlebt, so wäre er im Club „Das Bett“ gelandet – dem Wunsch nach mehr Härte wäre auch im Frankfurter „Nachtleben“ eher entsprochen worden. Im Offenbacher Capitol aber konnte man Zeuge werden einer Oldie-Show, die keinen negativen Beigeschmack verdiente und von vorne bis hinten großen Spaß machte. Sehr feiner Abend, der nächstes Jahr mit größerer Besetzung hoffentlich in der Nähe wiederholt wird.
Links: http://www.michaelschenkerhimself.com/, https://www.facebook.com/MichaelSchenkerRocks/, https://soundcloud.com/themichaelschenkergroup, https://www.last.fm/de/music/Michael+Schenker+Group
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: