Nachtleben, Frankfurt, 12.12.2013
Albert Koch war es, glaube ich, der letztens einen Leserbrief im Musik Express beantwortete indem es darum ging, was vom Geschriebenen im Blatt überhaupt Relevanz hat im Vergleich zu Bla oder Blubb, die doch viel wichtiger wären, etc. Ich weiß den Zusammenhang und den genauen Wortlaut nicht mehr, es wurde aber darauf verwiesen, dass aus allen popmusikalischen Strömungen Relevantes besprochen und vorgestellt wird. Da auch nach der Band LYNYRD SKYNYRD gefragt wurde machte der Journalist aber unmissverständlich klar, dass es da Ausnahmen gibt, also Musikrichtungen, die per se irrelevant sind. In diesem Fall also der Southern Rock.
Nun könnte man denken, ja der Koch halt, Elektronik-Musik-Experte und so, der mag das nicht, schon klar. Aber es ging ja nicht um Geschmack. Der süffisante Unterton, die Arroganz des Besserwissers war durch und zwischen den Zeilen mehr als spürbar. Wäre auch nicht weiter verwunderlich, wenn Herr Koch ein paar Ausgaben später nicht seinen Respekt und Liebe für die Musik von MOTÖRHEAD zum Ausdruck gebracht hätte – eine Band, die erst die Zeit
zu einer Marke für Hipster werden ließ und als deren Fan man vor 30 Jahren auch nicht grade als am Puls der Zeit lebend wahrgenommen wurde.Southern Rock, also. Je nach Lesart reaktionäres, flaggenschwingendes Pseudorevoluzzertum oder das beste Destillat aus Blues, Country und härterem Rock. Im Falle der 1975 in Jacksonville/Florida gegründeten MOLLY HATCHET und im Vergleich zu anderen Southernrock-Bands sogar ziemlich harter Rock, weswegen sie vor 30 Jahren auch im legendären Heavy Metal-Sonderheft vom ME erwähnt wurden. Metalmusikanten aus dem Süden der USA wie PANTERA sind, bzw. waren beinharte HATCHET-Anhänger. Und ich wurde 1980 auf die Band aufmerksam, weil „Beatin‘ the Odds“ im Musik Express (!) großartige Kritiken
bekam. Das Frank Frazetta-Cover zog mich, der ich nicht nur Freund der Musikrichtung, sondern auch der Comic-Reihe „Heavy Metal“ war, sowieso an, der Knaller aber waren die Gitarrenläufe in den ersten Sekunden des Titelsongs. Seitdem bin ich Fan, oder besser ich war es eine ganze Weile, bevor sich die Besetzung der Combo grundlegend änderte.„Beatin‘ the Odds“ und der Nachfolger „Take No Prisoners“, die Alben drei und vier in der Historie der Band, wurden gar nicht vom Originalsänger Danny Joe Brown eingesungen, wie ich erst später registrierte. Dieser musste wegen Diabetes eine Auszeit nehmen, kehrte aber 1983 zurück für mein HATCHET- Lieblingsalbum „No Guts… No Glory“. An diesem Werk stimmt
für mich alles: Großartige Rockmusik mit drei Gitarren und Texte, die vielleicht etwas naiv waren, aber zweifelsfrei bewiesen, dass musizierende Südstaatler nicht alle reaktionär sind und durchaus über ihren Tellerrand schauen können. Das von Dave Hlubek (rechts unten) geschriebene „Fall of the Peacemakers“, gewidmet John Lennon und dem damaligen Papst, avancierte in meiner Welt zur Hymne, ohne die eine Southern-Band einfach nicht auskommt (so wie „Freebird“ bei LYNYRD SKYNYRD oder „Ghost Riders in the Sky“ bei den OUTLAWS).Dank der damaligen Besatzungsmacht gab es auch genug potentielle Hörer in Deutschland, weswegen ich MOLLY HATCHET 1983 in Rüsselsheim sehen konnte, mit den OUTLAWS als Special Guest. Ein absolutes Konzerthighlight für mich, immer noch! Kaum zu glauben, dass das Album kommerziell floppte und eine suchende Band hinterließ, die eine der drei Klampfen mit einem Keyboard austauschte, den Sound verwässerte, auf AT 40 trimmte und es mir damit etwas schwer machte, Fan zu bleiben. Weniger beeindruckende Live-Visiten im Rhein/Main-Gebiet 1991 in Neu-Isenburg und 2000 in der Offenbacher Hafenbahn (die ich außerordentlich vermisse, mal nebenbei) taten
ihr übriges, MOLLY HATCHET waren für mich auch nicht mehr relevant.Das sind sie heute auch nicht wirklich, aber Relevanz ist nicht alles. Verlegt wegen mangelnder Nachfrage von der Batschkapp ins Nachtleben war ich wirklich auf alles von Kult bis Blamage eingestellt, als ich gegen 19 Uhr, dem offiziellen Einlass, in den Club trudelte. Eingelassen wurde dann gegen 20.30
Uhr, aus mir unbekannten Gründen. Die Band war wohl da, die Vorband ebenso, aber vielleicht war jemand zwischenzeitlich verschollen, wer weiß. Zeit, den Blick schweifen zu lassen. Kollege Marcus mokiert sich in diesem Blog ja oft über die „Hipster“ bei den Konzerten – nun, hier hätte er dabei sein sollen, es gab nämlich keine. Eher das Gegenteil.Ich fragte den Mann an der Kasse, ob es wohl sehr voll werden würde. Er bejahte. Das bedeutete aber nicht, dass Menschenmassen den Keller an der Konstabler verstopften, sondern die zahlreich mitgebrachten Bierbäuche und Doppel- bis Dreifachkinne. Dazu Rollstühle, Krücken und prallvolle Rucksäcke. Hip ist definitiv was anderes. Dafür gab es hier Fans satt – alles Leute, denen es völlig egal ist, ob die Band
gerade angesagt ist oder als Teil eines Trends wieder an die Oberfläche gespült wurde. Uninteressant. Dafür konnten die meisten Gäste fast alle Texte mitsingen.Nicht erkannt habe ich Gründungsmitglied und Verfasser meines HATCHET-Lieblingssongs Dave Hlubek, der nach langjähriger Erfahrung mit diversen Drogen dreimal soviel Körpermasse auf die Bühne brachte wie vor 30 Jahren und, glaubt man dem Gossip um die Band, in der Hierarchie
nicht viel zu melden hat. Offizieller Boss der Combo ist seit den 90ern Bobby Ingram, der routiniert bis gelangweilt die andere Bühnenseite bespielte. In der Mitte Sänger Phil McCormack, der den verstorbenen Danny Joe Brown 1996 beerbte (und das mit seiner Stimmlage sehr gut schafft) und auch nicht gerade aussah wie das blühende Leben. Am fittesten und spielfreudigsten wirkte das Rhythmus-Team, Bassist Tim Lindsey und Schlagzeuger Shawn Beamer, der sich bollywoodlike beim Spielen das Haupthaar aus dem Gesicht blasen ließ. Die Band stemmte einen 90 Minuten-Gig voller Highlights, der wohl genauso seit Jahren gespielt wird, bei der Klasse der Songs aber auch nicht zu beanstanden ist, incl. DIO-Hommage und „T for Texas“ (welches eben nicht im Original von LYNYRD SKYNYRD ist, sondern auch schon von Hank Williams gesungen wurde).Wäre statt Retro-Hardrock Southern Rock das Ding der Stunde, MOLLY HATCHET hätten die Reputation und die Kohle, die ihnen zusteht. So mag bei Koch und anderen Schreibern der Mief der Gestrigkeit über dieser Veranstaltung gelegen haben, sie machte auf ihre Art aber allen Anwesenden großen Spaß. Auch der Support, die mir bis dahin völlig unbekannten KICKHUNTER (links) aus Hamburg (bei denen bis vor kurzem wohl Markus Großkopf von HELLOWEEN mitspielte) machte Laune und zelebrierte einen mitreißenden Bluesrock, der noch weitaus enthusiastischer und beweglicher dargebracht wurde als der Southern Rock der Hauptband. Ich wäre bei beiden das nächste Mal wieder dabei, geht es mir körperlich nicht so wie dem mühsam die Treppe hinab schwächelnden Hlubeck. Aber vielleicht habe ich ja Glück und mir wird ebenso geholfen wie ihm, wer weiß das schon…
Links: http://www.mollyhatchet.com/, https://myspace.com/molly_hatchet, http://www.reverbnation.com/mollyhatchetband, http://www.lastfm.de/music/Molly+Hatchet, http://www.kickhunter.com/, https://myspace.com/kickhunter, http://www.reverbnation.com/kickhunter, http://www.lastfm.de/music/KickHunter
Text & Fotos: Micha
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