Museumsufer, Frankfurt, 25.08.2024
Lange ist es her, dass ich ein Museumsuferfest besucht (zuletzt 2019) und noch länger her, dass ich darüber berichtet habe (2016). Zeit, mich mal wieder auf einem der größten deutschen Feste – erwartet wurden an den drei Tagen rund eine Million Besucher – umzutun, die ein oder andere Band kennenzulernen und ein paar bekannte Acts erneut spielen zu sehen. Die beste Rock- und Punkmusik gibt es, von wenigen Ausreißern abgesehen, nur noch nahe des Eisernen Stegs auf den beiden Bühnen der Frankfurter Kultkneipe Feinstaub. Ein großes Podium für die vorhersehbar am meisten Publikum anziehenden Formationen, sowie einen kraftvollen Steinwurf entfernt ein kleines Podest mit fast schon familiärer Atmosphäre stehen zur Verfügung. Das alles ist nicht neu, schon seit dem Jahr 2010 schwitzen dort rund 40 Bands von Freitag bis Sonntag in der sengenden Sommerhitze. Ich erwähne es dennoch, da es die „Feinstaub-Bühnen“ in den vergangenen fünf Jahren auf dem Museumsuferfest, kurz auch MUF genannt, aus Finanzierungsgründen nicht gab. Welcome back – wir haben euch vermisst!
oben: Wolfbird Twins, rechts: Gosolow, unten: Highest Primzahl on Mars
Über alle teilnehmenden Bands zu berichten ist ein Ding der Unmöglichkeit, es sind schlicht zu viele. Über nicht wenige haben wir im Lauf der Jahre auch schon in Clubs oder bei ähnlichen Veranstaltungen geschrieben. Dennoch fällt es immer wieder schwer, eine Auswahl zu treffen, wen man sehen und über welche Auftritte man eine Review verfassen könnte. Ich entschied mich, meinen Fokus diesmal auf den Festival-Sonntag zu legen, an dem sich unter dem Slogan „FFM Jam – Stoner Heavy Rock“ auf der kleinen Bühne ausschließlich lokale Rockbands den Staffelstab übergaben. Aus den im Tagesverlauf dort aufspielenden sieben Acts pickte ich drei heraus: das Trio GOSOLOW, das Duo WOLFBIRD TWINS sowie das Quartett HIGHEST PRIMZAHL ON MARS.
Jede Gruppe hat 40 Minuten Zeit, sich dem Publikum zu empfehlen. Danach findet eine kurze Umbaupause samt Soundcheck statt, damit jeweils nach insgesamt einer Stunde die nächste Gruppe pünktlich ihren Gig beginnen kann. Zum einen gibt dieser verlässlich eingehaltene Zeitplan eine gewisse Planungssicherheit, auf der anderen Seite müssen die Bands häufig genau dann aufhören, wenn es am schönsten ist, Zugaben ausgeschlossen. Großer Vorteil der häufig wechselnden Bühnenbesetzungen ist aber letztlich, dass die Musikfans möglichst viele Acts kennenlernen können, um diese bei anderer Gelegenheit mit einem längeren Set zu sehen.
GOSOLOW durften als dritte Formation des Tages um Punkt halb Fünf ran. Das Power-Trio, bestehend aus Lutz (Gitarre), Fabian (Bass) und Moritz (Schlagzeug) hat in den letzten Jahren gehörig Erfahrung, auch auf größeren Bühnen, gesammelt. Erst vor zwei Wochen eröffneten sie im Schlachthof Wiesbaden für die Doom-Legende THE OBSESSED, auch KING BUFFALO (ebenfalls aus den USA) und die Schweden-Rocker KAMCHATKA konnten sie schon supporten. Daneben sind GOSOLOW in kleineren bis mittelgroßen Clubs sowie auf Straßenfesten und mit schöner Regelmäßigkeit auch bei der Rödelheimer Musiknacht (wir berichteten hier) zu finden.
Die drei Freunde haben sich dem instrumentalen Heavy- und Stoner-Rock verschrieben, seit der Gründung 2017 ist mit „Muto Rumore“ (2022) allerdings erst ein Tonträger erschienen, und der nur digital und auf MC. Letztere konnte man nach dem Gig erstehen, die Musik liebevoll in D.I.Y.-Manier auf Hörspiel-Cassetten kopiert. Mein Exemplar trägt den aufgedruckten Schriftzug „Masters of the Universe – Höhle des Schreckens (5). Eine Studio EUROPA-Produktion“. Originell.
Die 40 Minuten Spielzeit auf dem MUF reichten nicht einmal aus, das Album zu spielen, von dem die Tracks „Kintobor“, „The Dentist“ und „Punxsutawney“ bei mir zum Favoritenkreis gehören. Ich weiß nicht, welche Lieder dem Rotstift zum Opfer fielen und welches neue Songmaterial Eingang in die Setlist fand, aber das war bei einem Kurzauftritt wie diesem eigentlich auch egal. Es galt, die Musik zu verinnerlichen, sie aufgrund der gegebenen Umstände im Eiltempo auf sich wirken zu lassen. Frei nach dem Bandmotto „go so low … and your mind will follow“ stellten sich beim Publikum mit wachsender Konzertdauer folgende bekannte Nebenwirkungen ein: Erst schüchternes Kopfnicken, später heftigeres Kopfschütteln mit Haareinsatz. Aus anfänglich zaghaftem Beinwippen wurde schließlich ungestümes Zucken der Gliedmaßen, im besten Falle. Ich sah das Trio zum dritten Mal und bei mir funktioniert das Fallenlassen in die Abgründe zwischen laut und leise, schnell und langsam, von zurückhaltend bis wütend, richtig gut. Blickte ich mich aus der ersten Reihe nach hinten um, schien das auch bei vielen anderen Besuchern der Fall zu sein. Wer die Wechselwirkung von Aktion (auf der Bühne) und Reaktion (bei sich selbst) überprüfen möchte, kann die Band am Abend des 31. August bei einem Straßenfest an der Frankenallee/Ecke Hufnagelstraße im Frankfurter Gallusviertel erleben.
Unmittelbar anschließend stand das Duo WOLFBIRD TWINS auf dem Spielplan. Auf dem Programmflyer angekündigt als „HeavyStonerSludgeDoom“, wurde mir an meinem Platz direkt vor einem der Lautsprecher ziemlich schnell bewusst, was die kommende Dreiviertelstunde für mich bereithalten würde: Durch das Wummern der Tieftöner hervorgerufene, dumpfe Schläge in die Magengrube und flatternde Klamotten, gepaart mit einer seltsamen Mischung aus Fluchtreflex (dem ich nach ein paar Liedern und erfolgtem Fotoshooting nachgab und mich weiter hinten einsortierte) und Neugierde auf das, was da auf mich und die anderen Zuseher zurollen sollte.
Wie sich herausstellte, handelt es sich bei den WOLFBIRD TWINS um eine gut geölte Dampfwalze, die die Gehörgänge der Freunde von Doom Metal und Sludgecore mit klebrigem, heißen Teer in Form von fetten Riffs und noisigen Klängen planierte. Da rauschten die Ohren und der Bart – insbesondere der des Gitarristen und Sängers Andreas „Bird“ Vogel, der die eine Hälfte der Band darstellt. Sein Kompagnon Micha ist deutlich jünger, könnte alterstechnisch – wie unlängst beim Duo THE CRAMBONES gesehen – der Sohn des Frontmanns sein (ist es aber nicht), und bearbeitete sein Schlagzeug mit nimmermüder Akribie.
Ich bin sicher nicht der größte Fan des Genres, aber eine gewisse Faszination übt das schon aus, wenn sich da jemand an einer wunderbar schrammeligen Gitarre abarbeitet, ins Mikrofon schreit, grummelt und ächzt und dabei von einem kongenialen Partner am Drumset unterstützt wird. Die Songtitel lauten unter anderem „Rain on Earth“, „Skyhigh in Chaos“, „1000 Years in Rain“ und zeugen darüber hinaus davon, dass die Weltsicht der in „Bad Cash City“ (Facebook-Seite der Band) lebenden Künstler ähnlich düster sein dürfte wie deren Sound. Für mich eine musikalische Grenzerfahrung.
HIGHEST PRIMZAHL ON MARS, die derzeit mit ihrem Space-Psych-Kraut-Rock mindestens in der Region, wenn nicht darüber hinaus in aller (bzw. der Rockfans) Munde sind, darf man getrost als All-Star-Band bezeichnen. In dem Quartett mit Arun Kumar (Gitarre), Uli ‚Hank‘ Wagner (Gitarre), Frank Dietrich (Bass) und Gerd Böhme (Schlagzeug) hat jeder schon in mehreren anderen Formationen gespielt oder tut dies noch. Die gerade erst im Juli veröffentlichte Doppel-LP namens „Error Not Found“, Nachfolger der Debüt-CD „Escape From Moronia“ (2023), wurde von den Kritikern der Musikpresse gelobt und mit hohen Wertungen bedacht. Es ist in der Tat ein starkes Stück Vinyl geworden.
Zu sehen gibt es nicht allzu viel, die Herren von HPOM bewegen sich auf der Bühne getreu der alten Weisheit „Ein gutes Pferd springt nicht höher als es muss.“ nur in einem begrenzten Radius. Aber großes Gehopse oder Posing würde auch gar nicht zu der Musik passen, es würde nur ablenken vom Sound der Combo. Präsentiert werden intelligent arrangierte Psychedelic- und Spacerock-Stücke, die sich zuweilen erst langsam entwickeln, sich dann im Zusammenspiel der Musiker hochschaukeln, um schließlich irgendwann, manchmal unvermutet, zu kulminieren. Songs, die teils voller Improvisation sind und überraschende Wendungen nehmen. Lieder, denen man Zeit lassen muss, ihre Wirkung zu entfalten. Gelingt das, kann durchaus so etwas wie Magie entstehen.
Dafür reichen 40 Minuten Spielzeit natürlich nicht ansatzweise aus. Geflachst wurde im Publikum vor Beginn der Show, ob in dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster zwei oder sogar drei Lieder zu Gehör gebracht würden, haben die Songs der HPOM doch mitunter eine XXL-Länge. Unerwarteterweise war das Quartett dann tatsächlich ein wenig vor Ablauf der Uhr mit dem geplanten Set fertig, sodass noch ein (kurzes) weiteres Lied gespielt werden konnte. Letztlich dürfte für die Band beim Auftritt auf dem MUF aufgrund der Kürze der Zeit allerdings im Vordergrund gestanden haben, eine Kostprobe ihres Könnens zu geben und neue Anhänger zu gewinnen. Bei wem das gelungen ist und wer die Truppe mal in einem langen Set live erleben möchte, hat schon bald die Gelegenheit dazu: Am 13. September weiht sie die neue Halle 1 im Ostend mit einem Konzert ein und stellt dabei das (bereits erhältliche) neue Album offiziell vor. Wir sehen uns – sowohl dort als auch auf dem MUF 2025, sofern das Feinstaub dann wieder interessante und spannende Acts auf ihre Bühnen holt. Dank geht raus an alle Beteiligten für ein tolles Festival.
Links: https://www.gosolow.de/, https://www.facebook.com/Gosolow/, https://soundcloud.com/gosolow, https://gosolow.bandcamp.com/, https://www.facebook.com/wbt.band/, https://www.facebook.com/highestprimzahlonmarsofficial/, https://www.highestprimzahlonmars.de/, https://highestprimzahlonmars.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Highest+Primzahl+On+Mars
Text & Fotos: Stefan
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