KUWE, Wölfersheim, 21.04.2018
Aus der Kulturwerkstatt Wölfersheim – auch als Antik Café bekannt – hatten wir bereits 2014 (hier) berichtet, als SHAWN JAMES AND THE SHAPESHIFTERS dort gastierten. Am gestrigen Abend nun war der gemütliche Club Schauplatz des MURDER FESTS, das 2017 von der Band BLOW OUT ins Leben gerufen wurde. Der Grund dafür liegt auf der Hand, denn den maskierten Mannen, um deren Identität sich allerlei Mythen ranken, bieten sich nicht allzu viele Auftrittsmöglichkeiten, da sie aufgrund ihrer gewalttätigen und blutigen Show bereits aus vielen Clubs verbannt wurden. Das MURDER FEST bietet daher eine der raren Gelegenheiten, die Jungs live zu sehen. Als Support stehen dabei stets Acts auf der Bühne, die aus der näheren Umgebung stammen. Nachdem im vergangenen Jahr INSULTER, ROAD RAGE und EVERYDAY APOCALYPSE Teil des Packages waren, hatten BLOW OUT nun die Gießener Thrasher REFLEXOR und die in der Wetterau beheimatete Hardcore-Combo YOUNG‘N‘RESTLESS als Gäste eingeladen.
Letztere agierten als Opener und fielen mir zunächst durch ein T-Shirt auf, das am Merchstand angeboten wurde und in großen Lettern mit „Wetterau Bembelcore“ beschriftet war – eine nette Idee. Auch auf der Bühne wusste die Formation zu überzeugen, obgleich ich mich zunächst daran gewöhnen musste, dass Hardcore-Musiker anno 2018 nicht mehr wie ganzkörpertätowierte Straßenschläger, sondern eher wie Sparkassenbeamte und Hipster aussehen. Hatte man die Diskrepanz zwischen biederer Optik und Musik überwunden, so machte der Gig großen Spaß. Geboten wurde klassischer 2nd-Generation-Hardcore mit Metal-Kante und rauen Vocals in der Manier von MADBALL oder DEATH BEFORE DISHONOR. YOUNG‘N‘RESTLESS feierten gestern ihr zweijähriges Bestehen und der bisher einzige Output, die EP „Ruined“, sei an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Zum Abschluss gab‘s noch eine kleine Überraschung in Form einer Coverversion: Mit „Das Schlimmste ist wenn das Bier alle ist“ von DIE KASSIERER hätte ich beim besten Willen nicht gerechnet und in der Tat passte der prollige Saufsong so gar nicht zum Rest des Sets, war aber vielleicht ein Zugeständnis an die Veranstaltung, um weiter die feucht-fröhliche Partystimmung anzuheizen.
Als zweiter Act des Abends waren REFLEXOR an der Reihe, deren Sänger Consti zunächst seiner Aversion gegen Ansagen auf der Bühne Luft machte, schrie er doch minutenlang herum, wie sehr er es hasse, etwas sagen zu müssen. Zugleich forderte er das Publikum dazu auf, Sätze wie: „Halt‘s Maul und spiel!“ zu rufen, damit er endlich seine Fresse halten könne. Das Thema sollte er am besten nochmal in seiner Therapiegruppe zur Sprache bringen. Aber irgendwie passte der angepisste Frontmann ganz gut zum Sound von REFLEXOR, bei denen deutlich ein großes Vorbild herauszuhören war: SLAYER. Das Quintett bewegte sich technisch auf einem ansprechenden Level, der Shouter lieferte gelegentlich hohe Schreie, wie man sie von SLAYERS Debüt „Show no Mercy“ kennt und auch ansonsten wurde Thrash Metal auf internationalem Niveau geboten. Im Vergleich zu meiner letzten Begegnung mit der Band 2016 im Frankfurter Exzess (Bericht hier) hat diese spieltechnisch auf jeden Fall noch mal eine Schippe draufgelegt. Leider liegt von den Gießenern bisher erst erst eine EP namens „Revenge of the Mycosis“ aus dem Jahr 2012 vor, aber vielleicht geht‘s ja demnächst mal wieder ins Studio.
Nun war die Zeit für den Gastgeber gekommen. BLOW OUT hatten bereits Anfang 2017 die Frankfurter Au blutrot gestrichen (mehr dazu hier), waren aber danach nur noch bei geheimen Logensitzungen von Satanszirkeln, Backyard-Wrestling-Shows und illegalen Fight-Club-Treffen aufgetreten. Beim MURDER FEST bot sich also nach gut einem Jahr erneut die Chance, das Mörderquartett mal wieder bei einem offiziellen Gig in Aktion zu erleben. Nach der 2016er-Single „Nagelhagel“ wurde inzwischen das Album „Sex Murder Punk“ eingespielt, das bis dato aber lediglich in digitaler Form vorliegt und auf der Bandcamp-Seite des Quartetts heruntergeladen werden kann – Labelanfragen sind willkommen.
Los ging‘s atmosphärisch: Bodennebel waberte über die Bühne und als Beleuchtung diente lediglich eine übergroße, flackernde Glühbirne, die über den Akteuren schwebte und den Saal wie den Tatort eines Jack-the-Ripper-Mordes wirken ließ. Als erster Song prasselte die Hit-Single „Nagelhagel“ wie ein kochender Schwefelregen auf das Publikum nieder und sorgte unter den etwa 150 Anwesenden für Ekstase. Die Fans waren teilweise selbst maskiert angereist, ein älterer Herr trug gar eine Cthulhu-Maske, murmelte unverständliche Beschwörungsformeln vor sich hin und führte einen Veitstanz vor der Bühne auf. In all dem Chaos begann der Bassist Abracadabra Asshole plötzlich Blut zu spucken und erwischte dabei nicht nur den Shouter El Gore, sondern auch ein paar Gäste in der ersten Reihe, die fortan schreiend und wie mit Säure beschüttet durch den Saal irrten.
Dies war erst der Beginn der fulminanten „Sex-Murder-Punk“-Show, bei der in den nachfolgenden 40 Minuten nicht nur diverse Einrichtungsgegenstände zu Bruch gingen, sondern auch einige der Zuschauer den Saal nur noch gestützt verlassen konnten. Getreu des Mottos „Good friendly violent fun“ (siehe das gleichnamige Live-Album von EXODUS) wurden den Anwesenden Tracks wie „Kacknesie“ (Videoclip dazu weiter unten), „Witching Wetterau Death Cult“, „Acid Breath“ und „Maggotomy“ in die Gehörgänge gelötet. Sänger und Basser unternahmen dabei stets aufs neue Ausflüge ins Publikum, um die pogende Horde gehörig aufzumischen.
Showtechnisch müssen sich die mysteriösen Maskenmänner somit nicht vor ähnlich gelagerten Acts wie GHOUL und ATTACK OF THE MAD AXEMAN verstecken und auch die finstere Mischung aus Black Metal und Hardcore, die nicht selten an INTEGRITY erinnert, wusste zu gefallen. Zu den aggressiven eigenen Songs gesellte sich schließlich noch ein Cover von CRO-MAGS („Hard Times“), das sich perfekt in die Setlist einfügte. Bleibt zu hoffen, dass das Album bald auf Vinyl erscheint und die Jungs sich nicht bis zum nächsten MURDER FEST Zeit lassen, um uns erneut heimzusuchen. Ohne Zweifel sind BLOW OUT einer der besten Live-Acts des Landes und ein längst fälliger Gegenentwurf zum derzeit kursierenden Pussy-Punk der Marke FEINE SAHNE FISCHFILET. In diesem Sinne, heil Satan!
Links: https://www.facebook.com/youngnrestlessband/, https://www.facebook.com/Reflexor/, https://reflexor.bandcamp.com, https://www.last.fm/de/music/Reflexor, https://www.facebook.com/blowout666mvrderpunk/, https://blowout-murderpunk.bandcamp.com/
Text & Fotos (3): Marcus
Fotos (22): Sabrina Adam, http://sabrinaadam.com
Clip: am Konzertabend aufgenommen von GENERATOR media
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