Nachtleben, 19.11.2008 – Interview
Die MURDER JUNKIES sind so etwas wie das „Last House on the Left“ des Punk. Ursprünglich als Backing-Band des berüchtigten Sängers G.G. Allin gegründet, der sein Publikum verprügelte, es mit Exkrementen beschmierte oder sich mit einer abgebrochenen Bierflasche selbst verstümmelte, sind die Amerikaner seit dem Tod ihres legendären Frontmanns 1993 längst nicht mehr „nur“ dessen Band. Sie sind eine der letzten bedeutenden Gruppen, die sich nicht in politisch korrekten Gefilden bewegt, sondern die ursprüngliche Bedeutung des Punks aufgreift und sich mit verbalen Attacken gegen alles und jeden richtet. „I’m your Enemy“ prangt in großen Lettern auf einem Shirt der Band und beschreibt recht genau deren Einstellung.
Momentan sind die MURDER JUNKIES auf Deutschland-Tour. Nach der Show im Nachtleben führten wir ein Interview mit dem Bassisten Merle Allin und dem Drummer Dino Sex, der seine Konzerte stets nackt bestreitet.
Hi Merle, hi Dino. Schön, euch wieder mal auf deutschen Bühnen zu sehen.
Dino: Du siehst aus wie Rick Wakeman von Yes!
Hmpf, das ist wohl mein Schicksal, ständig halten mich die Leute für irgend jemanden, den sie kennen. In letzter Zeit kamen gleich zwei Leute zu mir und haben mich gefragt, ob ich der Sänger von Cliteater sei.
Dino: Das ist cool.
Dies ist bereits eure dritte Europa-Tour und auch der dritte Sänger, den ihr präsentiert. Was ist mit den anderen Sängern geschehen?
Merle: Das mit den Sängern war bei uns ein echtes Problem. Es waren übrigens weitaus mehr als drei, den Anfang machte Jeff Clayton von Antiseen, der natürlich seine eigene Band nicht aufgeben wollte, Mike Hudson von den Pagans hat danach kurze Zeit bei uns gesungen, dann kam Mike Denied, ein Drogen-Junkie, der vermutlich inzwischen unter der Erde liegt, es folgte J.B. Beverly, der mittlerweile als Country-Sänger sehr erfolgreich ist, dann war Sonny Harlan an der Reihe und sogar FC Murder, unser jetziger Gitarrist, hat sich mal als Sänger versucht. Nun ist P.P. Duvay unser Sänger. Wie dem auch sei, diese Besetzung ist auf jeden Fall die bisher beste seit G.G.s Tod. Wir spielen jetzt seit längerer Zeit zusammen und haben bereits Songs geschrieben, um endlich eine neue Scheibe einspielen zu können. Das wird voraussichtlich im Frühjahr geschehen.
Gut zu hören, denn der Artikel auf Wikipedia unter eurem Namen stellt euch als reine Tribute-Band hin, die lediglich alte G.G.-Songs zum Besten gibt.
Merle: Fuck Wikipedia! Im Internet gibt es eine ganze Menge Bullshit über uns zu lesen, aber das geht mir alles am Arsch vorbei. Diesen Scheiß braucht echt kein Mensch, ich lese das erst gar nicht, es ist einfach Zeitverschwendung. Ich nutze das Internet nur, um dort Geschäfte zu machen. Youtube, Facebook und der ganze Schrott interessieren mich nicht.
Das heißt ihr seht euch nicht als reine Tribute-Band?
Merle: Bullshit! Klar werden wir immer G.G.s Songs spielen, aber wir haben bereits eine Scheibe mit eigenen Songs draußen und demnächst folgt die zweite. Der Grund, warum wir so lange kein neues Album eingespielt haben, lag einfach darin, dass wir nicht das Lineup zusammen hatten, mit dem es sich gelohnt hätte, Songs zu schreiben. Die bisherigen Sänger waren immer zu sehr mit ihren eigenen Bands oder mit Drogen beschäftigt. Doch nun steht das perfekte
Lineup und wie Du Dich heute selbst überzeugen konntest, haben wir live bereits fünf neue Songs gespielt. Wir haben noch viel vor und werden euch bald wieder heimsuchen.Echte Punk-Bands wie die Plasmatics, die Deadboys, Exploited, Fear oder Antiseen gibt es heutzutage kaum noch. Statt ihrer missbrauchen nun Pop-Bands wie Blink 182 oder Green Day den Begriff Punk, während andere meinen, dass es Punk sei, wenn man politische Botschaften in der Musik unterbringt. Wie denkst Du darüber?
Merle: All diese Leute haben nicht verstanden, wobei es um Punk geht, sie sollten sich Frauenkleider anziehen und mit Stofftieren bewerfen. Oder sie sollten in die Politik gehen und sich der Illusion hingeben, dass sie dort Großes bewirken könnten. Alles Bullshit! Genauso geht es mir am Arsch vorbei, wer bei uns Präsident wird. Mich interessiert so eine Scheiße nicht und genau deshalb sind die Murder Junkies auch authentisch. Wir müssen nicht irgendwelchen Trends folgen, damit wir drei Fans mehr haben, wir müssen uns nicht schminken,
damit auch Schwule auf uns abfahren, wir sind einfach unseren Wurzeln treu geblieben und machen das, auf was wir Bock haben. Leider gibt es viele Bands, die genau das nicht tun. Sie versuchen sich anzupassen, freundlich zu sein, nicht anzuecken und sich für Weltfrieden, Tiere und anderen Scheiß zu engagieren, weil das in bestimmten Szenen angesagt ist. Wir gehören keiner Szene an, wir machen unserer eigenes Ding!Dino: All die Bands, die du erwähnt hast, kannte ich früher gar nicht, ich höre eigentlich nur unsere eigene Musik – und die Lunachicks natürlich. Als mir Merle mal eine Scheibe der Deadboys vorgespielt hat, war ich schwer beeindruckt. Die hatten’s echt drauf!
Wie sieht Deine Definition des Punk aus?
Merle: Nun, ganz bestimmt hat sie nichts mit Politik zu tun. Für mich ist Punk eher eine individuelle Sache, in der ich das machen kann, worauf ich Bock habe, ohne dabei auf jemand Rücksicht nehmen zu müssen oder jemand gefallen zu wollen.
Dieser Tage gibt es viele Country-Sänger und -Bands, die weitaus mehr „Punk“ sind als viele Bands, die unter dem Begriff „Punk“ firmieren. Hank III, Bob Wayne oder Joe Buck sind nur einige Beispiele dafür und sogar G.G. hat damals eine Country-Scheibe eingespielt. Was ist das verbindende Elemente zwischen den beiden Musikrichtungen?
Merle: Es geht dabei weniger um die Musik, als vielmehr um die Einstellung. Hank III, der Enkel des großen Hank Williams, ist ein gutes Beispiel dafür, denn er tritt in die Fußstapfen seines Großvaters und thematisiert genau das, was ihn bewegt. Dabei macht er keine Gefangenen und spart keine Themen aus. Alkoholismus, Drogen, Gewalt, Armut, die Ignoranz der Musik-Industrie gegenüber seinem Großvater, all diese Themen finden sich in den Songs wieder.
Und obwohl sich seine Texte weitab des Pop- und Mainstream-Country bewegen, hat er dennoch einen Plattendeal mit Curb Records, einem der größten Country-Label der Staaten. Ich denke, dass er viele junge Country-Sänger beeinflussen wird und eine neue Generation von Outlaw-Country-Singern heranwächst.Hank III ist übrigens ein großer Bewunderer von G.G. Allin, wir sind mit ihm getourt und er hat erwähnt, dass G.G. ihn sehr geprägt hat, da er eben „echt“ war und sich nie irgendwelchen Trends angepasst hat. Er war ein Individuum und kein Marketing-Produkt, wie sie beispielsweise in den ganzen Casting-Shows der Musik-Industrie geschaffen werden. Auf seiner neuen Scheibe hat Hank übrigens den Song „P.F.F.“ (Punch Fight Fuck) meinem Bruder gewidmet.
Dino: Hank III ist großartig! Und musikalisch vielseitig. Neben seiner Country-Band hat er noch seine Punk-Band Assjack und zudem hat er mit Phil Anselmo die Hardcore-Band Arson Anthem gegründet. Man wird noch viel von ihm hören!
Ich weiß, dass Du viele alte Murder Junkies-Shows mit G.G. gefilmt hast, einige wurden bereits veröffentlicht, teilweise über Dich selbst, teilweise über den amerikanischen DVD-Publisher MVD. Was können wir noch erwarten?
Merle: MVD bringt jetzt im Frühjahr eine „Best of G.G. Allin“-DVD heraus, des weiteren ist über mich eine DVD zum 15. Todestag von G.G. erschienen, die zwei Gigs und einen Besuch am Grab von G.G. enthält. Absolute Pflicht für alle, die noch nichts über G.G. wissen, ist aber die Doku „Hated“ aus dem Jahre 1994, die von niemand geringerem als von Todd Phillips gedreht wurde, der mittlerweile Filme wie „Road Trip“ und „Starsky & Hutch“ gedreht hat.
Habt ihr eigentlich jemals einen eurer Songs zu einem Soundtrack beigesteuert? Der aggressive und dreckige Sound müsste doch bestens zu den zurzeit sehr angesagten Fake-Snuff und Torture-Porn-Filmen passen.
Merle: Einer unserer Songs findet sich tatsächlich in einem Film wieder. Lass mal überlegen, ich hab ihn zuhause liegen, habe ihn aber noch nicht gesehen. „Penace“… Sagt Dir das etwas?!
„August Underground’s Penace“? Von Fred Vogel?
Merle: Ja, genau! Ich sehe, Du kennst Dich aus! In dem Film sind wie vertreten, das war’s dann auch schon. Wenn man Musik wie wir macht, stehen die Leute nicht gerade Schlange, um uns für einen Soundtrack zu gewinnen. Ich hab den Film ehrlich gesagt nie gesehen, aber er liegt bei mir zuhause rum. Ist er gut?
Sagen wir’s mal so, ihr passt ganz gut in den Film rein…
Merle: Okay, vielleicht sollte ich ihn doch mal anschauen.
Eure Band würde sich doch bestens als Cast für ein Roadmovie eignen, im Stile von „Natural Born Killers“…
Merle: Gute Idee, zahlst Du uns die Produktion?
Äh… nein!
Merle: Siehst Du, genau das ist das Problem. Ideen gibt es viele, aber es ist nicht gerade so, dass die Filmproduzenten täglich an meiner Tür klingeln.
Links: http://www.ggallin.com/, http://www.myspace.com/murderjunkies
Interview & Fotos (3): Marcus / Fotos (11): Kai
Mehr Bilder: