MYRKUR & AMENRA

Zoom, Frankfurt, 3.05.2018

MyrkurAMENRA aus Gent/Belgien gastierten bereits im Januar in Aschaffenburg (wir berichteten hier). Der damalige Abend war besonders genug um die Formation nochmal in Frankfurt zu erleben, aber ganz ehrlich: Der Hauptgrund meines Erscheinens spielte im Vorprogramm. Die Dänin Amalie Bruun (links) hat es nämlich geschafft, mit ihrem Alter Ego MYRKUR (bzw. mit der Band MYRKUR, deren einziges Mitglied sie ist), die Black Metal-Szene 2014 aufzumischen, als die gleichnamige EP erschien. Und das in beide Richtungen.

Richtung 1: Hingabe und Feierei, oder: Endlich gibt es wieder jemanden, der was Neues zu sagen hat im Black Metal. Diese Meinung wird zum Beispiel im Terrorizer formuliert, der 2015 zu Protokoll gab, dass es (mit Ausnahme von Erik Danielssohn von WATAIN) in der letzten Dekade “zuwenig Leute gab, die Myrkurgleichermaßen Aufmerksamkeit generieren, wichtige Inhalte vermitteln und das ganze Genre nach vorne bringen” (übersetzt aus dem Englischen).

Richtung 2: Wer ist diese Hipster-Tussi überhaupt und was hat sie auf unserer Spielwiese zu suchen, bzw. auch: Darf die das? Muss man sich den Eintritt in unsere Metal-Welt nicht erstmal verdienen? Ein Anhänger letzterer Gedanken ist der von mir überaus geschätzte Alan Averill von u. a. PRIMORDIAL, der in seiner MyrkurKolumne “Nemtheanga’s view from the bunker” im britischen Zero Tolerance No. 72 (Frühjahr 2016) ätzt, dass MYRKUR, metalmäßig gesehen, ein “Fake” darstellt. Er begründet das mit einem Fashion-Spot, den sie für MTV gemacht haben soll. Er fragt ernsthaft, ob Amalie Bruun die Gitarre auf ihren Alben selber spielt und schätzt die Bedeutung der Werke, auf die der Terrorizer-Kollege steil geht (erste EP und erste LP) als praktisch nicht vorhanden ein (weil soundtechnisch sehr von ULVERs “Bergtatt”-Platte inspiriert). Averill geht sogar so weit, Bruun die Verantwortung dafür zu geben, dass Feminismus als solcher nicht ernst genommen wird.  Eine ganze Menge Ballast auf den Schultern, die einfach nur muszieren wollen und das, laut Selbstdarstellung Bruuns im Terrorizer, auch immer getan haben.

Klänge fabriziert die Dänin schon lange – bei den Streaming-Diensten findet man Aufnahmen unter ihrem Namen vom Anfang der Nullerjahre (sehr poppiges Zeug, nicht wirklich zwingend) sowie Aufnahmen des Duos EX COPS, bei dem Bruun den weiblichen Teil darstellt und der schon ein wenig Myrkurinteressanter daherkommt. Aufgewachsen in einer musikalischen Familie (Vater und Großmutter waren professionelle Musiker) voller Instrumente, berichtet Bruun im Terrorizer davon, schon als Kind Songs geschrieben und alles mögliche ausprobiert zu haben, ja, auch die Gitarre.

Sie fühlt sich selbst dem skandinavischen Folk und der Klassik am meisten verbunden und hat sich, soweit ich das beurteilen kann, niemals selber als Metal-Musikerin bezeichnet. Sie schätzt jedoch von Kollegen gerade in dieser Szene mehr respektiert zu werden als im Popzirkus und arbeitet deswegen auch gern auf ihren Veröffentlichungen mit solchen – als da wären z. B. der Produzent MyrkurKristoffer Rygg (von ULVER, na sowas) oder der Gitarrist Teloch (MAYHEM, NIDINGR). Rygg schrieb mit “Bergtatt” in der Tat Metal-Geschichte – wieso ist die Synthese aus Metal und Folk aber nur akzeptabel, wenn man vom Metal kommt und nicht vice versa? Amalie Bruun hat als MYRKUR den Black Metal-Kosmos jedoch nur gestreift, und die Lobeshymnen aus dem Terrorizer sind meiner Mahnung nach auch etwas zu hoch angesetzt, bei aller Liebe.

In der Zwischenzeit veröffentlichte MYRKUR ein Live-Album, das einen Metalgehalt von knapp 0 % aufweist und mit “Mareridt” ein Studio-Album, das sie lässig in der grenzenlosen Gesellschaft solcher großartigen Künstlerinnen wie ZOLA JESUS oder CHELSEA WOLFE verortet. Welche auf der Platte auch zwei MyrkurGastauftritte hat. Interessant ist aber, das die unfassbar beeindruckende Stimme MYRKURs eben beides kann: liebliches Gesäusel wie abartiges Gekeife. Als jemand, der eine wie auch immer geartete “Trueness” in der Kunst für verzichtbar hält, finde ich die Figur MYRKUR und ihr Werk faszinierend.

Alan Averill jedoch begeht mit seiner Argumentation in diesem Fall ein böses Foul: Selbst wenn man MYRKUR als unmetallischen Hipster-Fake bezeichnen möchte, ist es vermessen ihr dabei auch noch die (Mit-)Schuld am Chauvinismus der Welt zu attestieren. Feminismus nicht ernstnehmen wegen einer (nicht vorhandenen) Verfehlung einer einzelnen Frau? Das ist genauso infam, wie die Taten Einzelner als Rechtfertigung zur Ablehnung einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu nehmen.

MyrkurAuch im Fall MYRKUR sind es Männer (aber nicht Averill, der auch dafür kein Verständnis zeigt), die eine rote Linie der Kritik überquerten – Amalie Bruun so exzessiv beschimpften, sexuell belästigten und sogar den Tod wünschten, dass sie sich weitgehend aus den sogenannten sozialen Medien zurückzog. Weil sie MyrkurMusik macht. Musik. Zieht Euch das mal rein. Die Journalistin Kim Kelly, die auch schon beim Terrorizer gearbeitet hat und Alan Averill sehr als Mensch und Diskussionspartner schätzt, hat ihren Ärger über so etwas in einem Artikel für Noisey schön auf den Punkt gebracht (hier).

Die 50 Minuten Auftritt MYRKURs vor AMENRA hatten für mich also eine ganze Menge Subtext. Ihre drei Mitmusikanten in uniformierter Kapuzentracht wirkten bedrohlich – und ob sich hier Legenden der metallischen Zunft oder irgendwelche Mietheinis bewegten, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Zur ätherischen Wirkung der Protagonistin bildeten die Herren optisch und meist Myrkurauch akustisch einen heftigen Kontrast. MYRKUR selbst griff ab und an auch zur Gitarre und verstärkte damit mehr die Soundwand, spielte ihre Vokalkunst aber in beide Extreme voll aus.

Trotz meist abgewandten Gesichts merkte man ihr die ganze Zeit an, dass sie enorme Freude an der fabrizierten Musik hat – und allein das straft schon jeden “Fake”-Vorwurf Lügen. Am Ende gab es ein folkiges Duett in Form einer norwegischen Volksweise mit dem Schlagzeuger, bei dem MYRKUR synchron zu dessen Schlägen eine übergroße Handtrommel bearbeitete und zumindest bei mir Gänsehaut erzeugte. Die anwesende Fachfrau vom Metal Hammer fand es jedoch “lame”. Was solls, bleib ich halt allein mit meiner Verzückung.

Und dann kamen ja noch AMENRA. Die hörte ich mir gern an, spielten für mich an diesem Abend jedoch kaum eine Rolle. Sie hatten nach einer Stunde und 20 Minuten die Anwesenden extremst geplättet – trotz überall vorhandener Begeisterung kaum Applaus, nur viele offene Münder. AmenraDemzufolge gab es keine Zugabe; ein bekanntes Phänomen in Frankfurt, sowas. Vergleicht man den Januar-Gig in Aschaffenburg mit diesem hier, so gilt: In beiden Fällen gab es neun Stücke, acht davon identisch, in teils veränderter Reihenfolge. Ich hatte den Eindruck, dass die ruhigeren Parts die dominierenden waren – zartes Gezupfe nahm ich verstärkter wahr als die brachialen Abrisse, die Amenramich zunehmend anfingen anzuöden. Das kann aber auch an der Tatsache liegen, dass im Club Zoom im Gegensatz zum Colos-Saal die falsche Gerstenkaltschale angeboten wird. Oder ich innerlich immer mehr zum Hipster mutiere. Die meisten Stimmen nach dem Konzert zeigten sich aber von Frankfurt begeisterter als von Aschaffenburg. Egal, MYRKUR war endlich da. Und jetzt wird es verdammt nochmal Zeit für Chelsea Wolfe.


Links: https://www.myrkurmusic.com/, https://www.facebook.com/myrkur, https://myrkur.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Myrkur, http://www.churchofra.com/, http://amenra-official.tumblr.com/, https://www.facebook.com/churchofra, https://soundcloud.com/churchofra, https://amenra.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Amenra

Text & Fotos: Micha

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