Nachtleben, Frankfurt, 7.05.2019
Manchmal ist es reizvoll, auf gut Glück ein Konzert zu besuchen, bei dem man keine Ahnung hat ob einem das Gebotene überhaupt zusagt oder nicht. Beim Gastspiel von NERVOSA aus São Paulo (Brasilien), die gegenwärtig durch die Clubs touren und ihre Kollegen REZET aus Schleswig als Warmmacher dabei haben, traf das auf mich zu, obwohl die musikalische Grundrichtung durchaus klar war: Thrash Metal, est. 1983. Kann man live in der Regel nix falsch machen, in meiner Welt. Auf Platte schon, weswegen ich mir vorher nichts von den beteiligten Bands anhören wollte, um mir den hoffentlich stattfindenden Spaß nicht zu verderben. Ernsthaft: Selbst bei den ganz Großen des Genres, die ich immer noch regelmäßig live aufsuche, öden mich aktuelle Tonträger in der Regel an und ich komme über ein- oder zweimaliges Hören nicht hinaus. Ausnahmen wie KREATOR (immer) sowie OVERKILL (manchmal) bestätigen diese Regel. Ich habe es dann trotzdem gemacht, ausgerechnet bei der Vorband REZET. Ergebnis? Mal so gesagt: Kurz vor dem Auftritt war meine Motivation, im Frankfurter Nachtleben zu erscheinen, auf dem Nullpunkt. Aber ich fühlte mich verpflichtet, dienstlich (Fotopass) wie sozial (Kumpels). Und dafür bin ich im Nachhinein äußerst dankbar.
REZET eröffneten pünktlich um 20 Uhr mit dem Gitarrengeschmeichel ihres, auch auf dem aktuellen Longplayer verwendeten Intros „Behind Glass“ (kam vom Band), gefolgt von „Treadmill To Hell“ (kam live). Guter Song, der auch als erste Single veröffentlicht wurde – catchy, aber nicht cheesy. Im Gegensatz zu „Alone“ auf dem Album – mein Grund, beim Vorhören den Kanal zu wechseln. Damit hört mein Gemecker aber auch schon auf, live wurde der Käse nicht gespielt und die restlichen Tracks des Tonträgers wissen durchaus zu überzeugen. Live erst recht.
Das Quartett, das auch schon seit 2004 in wechselnden Besetzungen unterwegs ist (einzige Konstante ist der Sänger/Gitarrist Ricky Wagner) und damit ganze sechs Jahre länger als der Headliner der Tour, hatte Bock und hing sich von Ton Eins an richtig rein, trotz (noch) diverser Lücken im Auditorium. Die allerdings rasch geschlossen wurden, allein schon durch die zunehmende Bewegungsintensität. Vier Songs vom aktuellen Player wurden zu Gehör gebracht von insgesamt elf Stücken.
Sympathisch (aber in diesen Zeiten vielleicht auch bitter nötig) war Wagners Anti-Rassismus-Ansage sowie die Bezeichnung NERVOSAs als Freunde – diesbezüglich gibt es jedoch im stark Punk-beeinflussten Thrash weit weniger Konfliktpotential als im sonst von mir präferierten Black Metal. Eigentlich sollte es doch selbstverständlich sein, dass eine deutsche Band freundschaftlich verbandelt sein kann mit einer aus Brasilien sowie mit anderen aus der ganzen Welt.
Zum Abschluss ihrer knapp 45 Minuten Spielzeit zollten REZET noch einer Legende des Teutonen-Thrash Tribut: „Dead City“ von VIOLENT FORCE, die neben diversen Demos 1987 nur ein Album veröffentlichten, durch eine Live-Sequenz im TV-Film „Verlierer“ (1986) aber einen gewissen Kult-Status innehaben. Die Szene gibt es hier zu sehen – achtet mal darauf, welch‘ Prominenz da so, mehr oder weniger „schauspielernd“, durch die Halle torkelt. Klasse. Seit 2010 kann man VIOLENT FORCE AND FRIENDS ab und an live erleben – bestehend aus zwei der damaligen Musiker und eben REZET. Passt.
Wie bereits beschrieben – was NERVOSA angeht, war ich Novize. Ein Bekannter, der das All-Girl-Trio in der Vergangenheit in Mannheim sah, beschrieb vor allem Gitarristin Prika Amaral als Heldin des Touralltags, die einen früheren Auftritt unter Einfluss einer akuten Lebensmittelvergiftung absolvierte. Sie stand ihn durch – erst danach ging es ab in die Klinik. Belege dafür fand ich nicht, habe aber auch keinen Grund, an den Schilderungen zu zweifeln.
NERVOSA starteten mit zwei Liedern ihres aktuellen, dritten Albums „Downfall of Mankind“ – und, oh Mann, ich war ihnen gleich verfallen. Was für ein unfassbares Brett – 16 Songs lang, in 70 Minuten. Nun hatte ich das enorme Glück, direkt vor Bassistin/Sängerin Fernanda Lira zu stehen, die über weite Teile allein für die Showelemente zuständig war. Amaral auf der anderen Bühnenseite wirkte reservierter und taute erst im letzten Drittel der Spielzeit etwas auf – Drummerin Luana Dametto (seit 2017 dabei) ließ mimisch bis auf einige amüsierte Blicke zur Frontfrau nicht viel Aktivität erkennen. Dafür verdrosch sie so tight und kraftvoll ihr Schlagzeug wie ein morbides Uhrwerk – Highspeed, pausenlos.
Und Fernanda Lira? Mir fiel es schwer, den Blick in den 70 Minuten abzuwenden von ihrem Antlitz – eine solche Bandbreite von „bösen“ Gesichtsausdrücken habe ich noch nicht erlebt, evil Blackmetaller my arse. Dazwischen aber die konstante Belustigung, ist alles nur Spaß hier – ‚good friendly violent fun‘ eben. Was für ein Workout auch. Growlend, kreischend, Bass spielend, rumturnend sowie die Leute animierend – für solche Leute wurde der Begriff Rampensau erfunden. Und musikalisch? Theoretisch hätten die Ladies auch das Telefonbuch runterbeten können und ich würde ihnen trotzdem huldigen, aber der Hochgeschwindigkeits-Rumpel-Thrash alter SODOM-Schule, der ja auch immer ein bisschen schwarz wie todesmetallisch daherkommt, überzeugte auf ganzer Linie. Live mehr als auf Scheibe (Alle gehört nach dem Gig. Oft.), zugegeben. Aber auch dort in der richtigen Stimmung.
Ebenfalls bei NERVOSA in Songtexten, Samples (Martin Luther King vor „Raise Your Fist!“) sowie Ansagen: Plädoyers für mehr nettes Miteinander und gegen Ausgrenzung oder Rassismus. Kein Wunder, NERVOSA sind davon besonders betroffen, seitdem der Faschist Jair Bolsonaro Regierungschef von Brasilien ist. Auf der Bühne und im Pit, der zweimal von Stagedivern besprungen wurde (einer war REZET-Gitarrist Heiko Musolf, der bewegungstechnisch vorher bei seiner Band ebenfalls keine Gefangenen machte) dominierten Spaß und Party, fortgesetzt am Merchstand, bei dem NERVOSA wie wohl immer für Fotos sowie Gequatsche zur Verfügung standen. Respekt nach solch einer konditionellen Leistung. Jeder, der gestern dabei war und am 7. Juli Zeit hat, fährt an diesem Tag nochmal zu NERVOSA in den Mannheimer 7er Club. Besonders, wenn man wie mein Bekannter von Fernanda Lira höchstselbst dazu eingeladen wurde. Widerstand zwecklos. Ich verneige mich.
Links: http://www.rezet.de/, https://www.facebook.com/rezetband, https://www.reverbnation.com/rezet, https://www.last.fm/de/music/Rezet, http://nervosaofficial.com/, https://www.facebook.com/femalethrash/, https://soundcloud.com/nervosathrash, https://www.reverbnation.com/nervosathrash, https://nervosa-brazil.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Nervosa
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder:
Schöner Bericht, der meinen Eindrücken vom Münchner Gig im Backstage nahezu 100%ig entspricht (zumindest bezüglich NERVOSA).
Kleine Korrektur am Rande: Die Lebensmittelvergiftung letztes Jahr hatte Fernanda, nicht Prika. Zitat Frl. Lira: „I had food poisoning followed by apocalyptic diarrhea right before the show.“ 😉
Danke für den Hinweis und das Lob. Liebe Grüße, micha
Toller Bericht. Ja, nervosa haben den Laden wirklich zerlegt und auf ganzer Linie überzeugt. Da will man mehr – mehr Alben, mehr Konzerte. Definitiv eine Konzertempfehlung an alle metal heads – hingehen! Unbedingt!