4. Juli 2020 · 17:54
Little Suzys Smoke Shack BBQ, Münzenberg-Gambach, 3.07.2020
Dieser Tage Live-Musik zu erleben ist nicht einfach. Es gibt nur wenige Events und diese sind nicht selten unmittelbar nach Bekanntwerden aufgrund der durch die Corona-Abstandsregeln vorgegebenen Kapazitätsgrenze schon wieder ausverkauft. Oder man bekommt gar nicht erst mit wer irgendwo spielt, weil die Shows wegen der zugelassenen Höchstmenge an Publikum sowieso nur vor einer Handvoll Leute stattfinden dürfen, sodass auch gar keine Werbung für den Gig vonnöten ist. Umso erfreuter waren wir zu erfahren, dass das Garage-Rock-Duo NEW YORK WANNABES in der Wetterau auftreten würde. Also rein ins Auto und auf nach Gambach, einem Stadtteil der rund 50 Kilometer entfernt von Frankfurt liegenden Gemeinde Münzenberg. Die durch den monatelangen Verzicht auf Konzerte ausgehungerte Seele trieb uns und den Wagen Richtung Norden, nach einer Dreiviertelstunde Fahrzeit war der Weg geschafft.
Gebucht war die Darmstädter Band, über die wir in diesem Blog schon des Öfteren berichtet haben, für die Eröffnung eines Gastronomie-Betriebs mit dem klingenden Namen „Little Suzys Smoke Shack BBQ“ im Industriegebiet des Ortes. Die US-amerikanische Inhaberin Suzanne, in der Rhein/Main-Konzertszene keine Unbekannte, hatte den Start ihres „Original Kansas City Barbecue“ aufgrund der Corona-Krise verschieben müssen, doch nun konnte die Party samt dampfendem Grill, Budweiser-Bier und Unterhaltung durch zwei leibhaftige Musiker (!) statt Konservenbeschallung endlich steigen. Die NEW YORK WANNABES verzichteten auf ihre Gage, stattdessen konnte für das Lokal gespendet werden, um dessen durch die Pandemie entstandenen Einnahmeverluste etwas abzumildern.
Neben den deutschen Gästen waren zahlreiche Amerikaner aus der Umgebung gekommen, Shirts und Westen mit dem Aufdruck von Bands wie den GODDAMN GALLOWS und DEMENTED ARE GO verdeutlichten, dass hier durchaus ein musikinteressiertes Publikum vorhanden war. Für viele Besucher*innen (es dürften im Verlauf des Abends insgesamt etwa 150 gewesen sein) stand jedoch erst einmal das leibliche Wohl im Vordergrund. Und egal, ob nun „Dinosaur Beef Ribs“ oder „Pork Belly ‚Burnt‘ Ends“ geordert wurden – die Gäste schleppten im Self Service Einzelportionen zu ihren Tischen, die wahrscheinlich sogar für eine mehrköpfige Familie ausreichend gewesen wären. XXL – die Food-Ästhetik von jenseits des Atlantiks, nun auch zuhause in der Wetterau.
Die Show der NEW YORK WANNABES fand unter freiem Himmel auf einer improvisierten, ebenerdigen Bühne neben einem Gebäude statt, das in früheren Zeiten eine Kfz-Werkstatt oder eine Autowaschanlage beherbergt haben mag. Gegenüber den Musikern befand sich (neben der herrlich scheinenden Abendsonne) das Restaurant und an deren rechter Seite eine grasbewachsene Böschung, auf der die meisten der – spätestens zu Konzertbeginn vermutlich sehr satten – Zuschauer saßen oder lagen, mitsamt ihren Kindern, Kegeln und Hunden. Oberhalb des knapp zwei Meter hohen Hangs befand sich die Straße, auf der der Verkehr in Richtung des zehn Kilometer entfernten Lich floss. Wären dort statt VW Golf und 3er-BMW ein paar Pick-Ups, Trucks oder Chevrolets unterwegs gewesen, hätte das die Illusion, man sei irgendwo im mittleren Westen der USA an einem Highway-Imbiss gestrandet, sicher vervollständigt. Daran änderte auch der Lieferwagen mit großflächigen Fotos von glücklichen Rindern auf den Seiten nichts, der mitten in der Show zwischen Band und Publikum hindurchrollte und frisches Biofleisch aus dem Vogelsberg vorbeibrachte.
Soviel zu den Gegebenheiten vor Ort. Und wie lief nun das Konzert? Da wir schon häufiger über Auftritte der NEW YORK WANNABES berichtet haben (zuletzt hier im Februar 2020 als einen der letzten Gigs vor dem Corona-bedingten Lockdown), haben wir diesmal deren Sänger und Gitarristen Lucky und die Schlagzeugerin Sue gebeten, alles Weitere rund um die Show aus Musikersicht zu erzählen. Ihre Ausführungen lest Ihr in den nun folgenden Zeilen:
„Live spielen während der Pandemie. Wie kamen wir dazu? Nun, das ist schnell erklärt. Suzanne, die Inhaberin von „Little Suzys Smoke Shack BBQ“, ist so etwas wie unsere Bandfotografin. Wir kennen sie schon sehr lange. Es ist wohl nicht übertrieben, dass sie zu einem großen Teil für unser visuelles Image verantwortlich ist. Sie ist eine erfahrene Konzert- und Bandfotografin. Wir haben uns bei einer Show in Darmstadt kennengelernt, als wir mit POSSESSED BY PAUL JAMES gespielt haben. Sie mochte uns, wollte uns unbedingt fotografieren und mehr von uns wissen. Daraus wurde eine Freundschaft und seither ist sie regelmäßig auf unseren Konzerten und macht jedes Mal tolle Bilder. Laut Suzanne sind wir eine der wenigen Bands, die ihre Arbeit zu schätzen wissen und auch entsprechend für gute Stage-Fotos bezahlt haben. Die meisten Bands nutzen ihre Bilder und zahlen nichts dafür. Aber das ist eine andere Story. Das ist wohl einer der Gründe, weshalb Suzanne entschieden hat von Fotografie auf Imbissbuden-Besitzerin umzusatteln. Naja, und da wir mittlerweile gute Freunde sind und ihre hunderte Fotos von uns im Grunde unbezahlbar sind, wollten wir ihr etwas zurückgeben. Da war das Konzert für die Eröffnung ihres BBQ-Ladens und ihr Geburtstag genau das Richtige. Kleines Live-Konzert auf Hut und alle Spenden gingen direkt an sie und ihren Laden.
Wie war der Gig? Es war toll Freunde wieder zu treffen, die man lange vermisst hat, sich zu unterhalten und so zu tun, als ob alles normal wäre. Aber die Show war eher befremdlich, merkwürdig und unwirklich. Wie aus einem Science Fiction-Film. Als die Pandemie losging und sich über Nacht vieles schlagartig änderte, war uns die Bedeutung eigentlich nicht ganz so bewusst. Wir sind jahrelang regelmäßig aufgetreten, mehr als 500 Shows in zehn Jahren. Manche Jahre waren so heftig, dass uns Leute fragten, ob wir nebenher überhaupt noch arbeiten. Für so eine Kleinformat-Band im gesetzten Lebensalter haben wir sehr viel erlebt und gespielt. Europaweit, USA und so weiter. Der Höhepunkt unserer „Karriere“ war das Konzert mit MONSTER MAGNET im Februar diesen Jahres, mit allem was man sich erträumen kann.
Dann war es vorbei, quasi über Nacht. Wir mussten alle geplanten Auftritte absagen. Selbst unsere geplante US-Tour durch die Südstaaten in namhaften Clubs haben wir canceln müssen. Ein Jahr lang viel Arbeit, Organisation mit vielen Leuten, die wir dort kennen, um an gute Shows zu kommen. Es war unter Dach und Fach. Und dann Bumm, COVID-19. Am Anfang der Pandemie war es uns gar nicht so unrecht mal pausieren zu dürfen. Mal Ruhe zu haben. Wird schon wieder weitergehen, dachten wir. Wird es eventuell auch. Aber nur, wenn es eine allgemeine Impfung gibt. Wenn die Zukunft das sein soll, was wir in Gambach erlebt haben, ist Schluss mit lustig.
Und das waren ja noch ideale Bedingungen, weil es draußen war. Es war sogar gut besucht, etwa 150 Leute. Aber die waren überwiegend sitzend auf dem Gelände verteilt, mit gefühlten 20 Metern Abstand zu uns. Vor uns stand niemand. Wir haben quasi für uns alleine gespielt – kein Kontakt, keinen Applaus gehört, nichts vom Publikum mitbekommen. Wir sind ja auch keine Virtuosen, die sich ausschließlich am Gespielten erfreuen. Was wir machen ist mehr eine musikalische Darbietung, die komplett von Energie und dem Dialog von Band zu Publikum lebt. Wir sind nicht subtil oder feingeistig verspielt. Wir brauchen die Enge und den unmittelbaren Kontakt zum Publikum. Das macht uns aus. Das hat uns überhaupt irgendwo hingebracht. Und all das fehlt jetzt.
Wir können uns gar nicht vorstellen, wie das in einem Club aussehen soll. Mit Abstand von eineinhalb Metern zueinander, bestuhlte Rock’n’Roll-Konzerte? Wieviel Leute dürfen rein? Fünf bis zehn Meter Abstand von der Bühne, wegen Corona-Übertragung durch Tröpfchen? Wie soll das denn abgehen? Wir wollen das Ganze gar nicht zu schwarz sehen, wir sind aber realistisch. Für Bands wie uns sind 50 Leute in einem engen Club viel und davon lebt die Sache. Kleine, schmutzige, enge Clubs, relativ voll mit Verrückten, die sich zum Sound bewegen, sich nahe kommen und eben auch uns. Wir hatten Konzerte, da wurden uns Getränke und Pillen auf die Bühne gereicht. Wir haben schon nackte Männerhintern gesehen, Heiratsanträge bekommen und wurden ins private Wohnzimmer eingeladen, um weiterfeiern zu können. Wir bitten ausdrücklich darum, uns zu betatschen und vollzuquatschen. So und nur so machen solche Kleinformat-Konzerte Spaß.
Wir haben den Gig gerne gemacht, weil wir Suzanne lieben und zur Eröffnung einfach ’ne Band gehört. Wir haben viele Freunde getroffen, es war ein toller Abend. Aber das Konzert selbst war eine Zukunftsaussicht, mit der wir erst umgehen lernen müssen. Da hat einfach die Nähe zum Publikum gefehlt. Es war schwierig und irgendwie sinnlos so zu spielen. Uns tun alle Clubs und Bands leid, die unter solchen Bedingungen arbeiten und ums Überleben kämpfen müssen. Für die nahe oder ferne Zukunft gibt es wohl nur zwei Aussichten: Entweder es kommt bald eine Impfung für alle und es geht weiter wie vor Corona (falls es Clubs gibt, die bis dahin durchhalten) oder es ist rum mit live spielen. Zumindest für Bands wie uns, die von engen und schwitzigen Clubs leben. Das Risiko einer Ansteckung in kleinen Läden ist einfach zu hoch, das kann niemand verantworten.“
Links: https://de-de.facebook.com/newyorkwannabes/, https://www.instagram.com/newyorkwannabes/, https://newyorkwannabes.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/new+york+wannabes, https://www.facebook.com/LittleSuzysBBQ/
Text, Fotos & Clip: Stefan
Text: Sue & Lucky/NYW
Alle Bilder:
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