The Cave, Frankfurt, 22.11.2019
Ich war im Cave und habe NICHTS gesehen – sorry, wenigstens ein Wortspiel mit dem ungewöhnlichen Namen musste an dieser Stelle sein. NICHTS ist eine Düsseldorfer Kultband, die im Jahr 1981 aus der legendären Deutschpunk-Combo KFC hervorging. Gitarrist Michael David Clauss alias Micki Matschkopf und Schlagzeuger Tobias Brink hatten sich kurz zuvor mit dem KFC-Frontmann Tommi Stumpf überworfen und gingen fortan eigene Wege. Dabei war Düsseldorf zu Beginn der Achtziger Jahre in musikalischer Hinsicht einer der kreativsten Orte des Landes: Neben KRAFTWERK waren dort MALE bzw. deren Nachfolger DIE KRUPPS sowie MITTAGSPAUSE (unter anderem mit Gabi Delgado-López, später DAF) und DER PLAN ansässig – um nur einige zu erwähnen.
Alle Genannten – der KFC inklusive – inspirierten sich gegenseitig und schufen dabei eine neue Stilrichtung, die später mit dem Begriff „Neue Deutsche Welle“ definiert wurde. Einen weiteren Einfluss dürften die Hamburger ABWÄRTS und die in Limburg an der Lahn ansässigen THE WIRTSCHAFTSWUNDER gehabt haben. Aus all diesen Stilen und Strömungen schufen NICHTS einen ganz eigenen Sound, der sich zwischen Punk und Wave bewegte und, was ungewöhnlich für die damalige Zeit war, mit einer Sängerin aufwartete. Andrea Mothes war die Freundin (und spätere Ehefrau) von Drummer Tobias Brink.
Bereits mit ihrem ersten Album „Made in Eile“ im Jahr 1981 – die Scheibe wurde in nur vier Tagen eingespielt – ernteten NICHTS durchweg gute Kritiken. Der Sound war deutlich vom Punk geprägt und Songs wie „10 Bier zuviel“ und „Scheisse“, letzterer war ein bis dato nicht veröffentlichtes Werk aus KFC-Tagen, machten dies auch textlich deutlich. Doch das Debüt bot auch poppige Lieder mit Hit-Potential wie zum Beispiel „Radio“. Und da Bassist Chris Scarbeck Beziehungen zum Westdeutschen Rundfunk hatte, gelang es ihm, den Track einem der Produzenten der damals populären TV-Show „Bananas“ (moderiert u. a. von Frank Zander, Olivia Pascal und Herbert Fux) vorzuspielen. Der war begeistert und lud die Formation ein, ihr Stück „Radio“ in der September-Ausgabe der Sendung zu präsentieren. Der Rest ist Geschichte.
Durch den Auftritt in der ARD wurden NICHTS über Nacht bekannt und verkauften bis zum Ende des Jahres 50.000 LPs und Singles. Bereits das zweite Album „Tango 2000“ (1982) erschien beim Major WEA und lieferte mit dem Titelsong den größten Hit der Band, der bis heute auf unzähligen Neue Deutsche Welle-Samplern vertreten ist und auch regelmäßig bei Dark Wave-Discos aufgelegt wird. Doch bereits ein Jahr nach der Gründung von NICHTS und auf dem Höhepunkt des Erfolges hatte Clauss keinen Bock mehr. Der Sound war ihm zu eingefahren, er wollte etwas Neues starten und verließ die Combo, die mit einem neuen Gitarristen weitermachte und mit „Aus dem Jenseits“ 1983 noch ein Werk veröffentlichte, bevor sich die Gruppe auflöste.
Weiter ging‘s erst 26 Jahre später, als Clauss die Anfrage erhielt, ob er die Truppe nicht für einen einmaligen Festival-Auftritt reformieren möge. Der Gitarrist willigte ein, stellte kurzerhand ein neues Lineup auf die Beine und hat dabei wohl Blut geleckt, denn seither touren NICHTS nicht nur gelegentlich wieder. 2011 entstand mit „Die Zeichen stehen auf Sturm“ auch ein weiteres Album. Nachdem die Düsseldorfer bereits vor einigen Jahren im Frankfurter Club The Cave gastierten, ich sie damals allerdings verpasst hatte, wollte ich den gestrigen Abend nutzen, um festzustellen, wie sich der NDW-Sound der Achtziger im Jahr 2019 anfühlt.
Zumindest scheint die Popularität der Band ungebrochen, denn der Veranstalter meldete an diesem Abend „Ausverkauft!“. Gekommen waren hauptsächlich Zuschauer älteren Semesters, die vermutlich einst die Neue Deutsche Welle miterlebt haben, aber auch viele Leute aus der Frankfurter Punk-Szene. Als Opener fungierten einmal mehr DIE RADIERER, die in diesem Blog bereits hier und hier Erwähnung fanden und die ich diesmal nicht sehen konnte, da das Konzert mal wieder viel zu früh begann, weil ab 22 Uhr im Cave Disco angesagt war.
Ich erschien rechtzeitig zum Auftritt von NICHTS, die sich in folgender Formation in Frankfurt präsentierten: Mit von der Partie waren neben dem Gründer und einzig verbliebenen Originalmitglied Michael Clauss die Sängerin Sabine Kohlmetz, der Bassist Ufo Walter und der Drummer Björn Sondermann. Die beiden Letzteren sind auch bei den Thrashern ASSASSIN tätig, die wir 2018 beim Taunus Metal Festival erlebt haben (Bericht dazu hier).
Live machten NICHTS eine durchaus gute Figur und die Band hatte sichtlich Spaß daran, im ausverkauften Club zu spielen. Auch wenn es – vermutlich ob der wenigen Spielpraxis – hier und da etwas holprig zuging, so hatte dies einen gewissen Charme, der die Punk-Attitüde der Düsseldorfer unterstrich. Frontfrau Sabine präsentierte sich dabei stimmlich wie optisch ähnlich wie ihre Vorgängerin. Bandleader Clauss sorgte für die Ansagen und die Stimmung wurde durch die mitreißenden Songs generiert, die besonders die älteren Gäste noch aus den Achtzigern im Ohr hatten.
Damals gehörten NICHTS neben EXTRABREIT und IDEAL zum Standardprogramm auf den mit viel Mühe zusammengestellten Mix-Tapes, die man in der Schule mit Freunden tauschte. Die Stimmung im Kellergewölbe war ausgelassen, Band und Publikum feierten gemeinsam eine Punk-Party, die zu den besten des Jahres gehörte. Geboten wurden etwa zu gleichen Teilen Tracks der Alben eins, zwei und vier. Das dritte Werk, an dem Clauss nicht beteiligt war, wurde aus verständlichen Gründen ignoriert. Die Setlist ließ kaum einen Wunsch offen, wobei ich gern noch das KFC-Überbleibsel „Scheisse“ gehört hätte, das aber nicht gespielt wurde.
Unterm Strich bot der Gig eine nette Zeitreise in die Achtziger Jahre und die Erkenntnis, dass die Truppe damals verdammt geile Songs geschrieben hat. Die Stücke der ersten beiden Veröffentlichungen sind nahezu durchweg herausragend, das 2011er-Release ist solide, kann den Klassikern aber nicht das Wasser reichen. Doch das muss es auch nicht, denn NICHTS anno 2019 sind keine Band, die live spielt, um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten oder musikalisch neue Akzente zu setzen. Die Musiker haben schlicht Spaß daran, die alten Lieder gelegentlich live zu präsentieren und – wie der ausverkaufte Club bewies – die Zuschauer ebenso. Über ein weiteres Album würde ich mich dennoch freuen, denn ich denke, dass Michael Clauss sein Pulver als Songwriter noch nicht verschossen hat, da geht noch was. Also: Bitte neue Platte aufnehmen, vernünftiges Merch produzieren (es gab lediglich ein Shirt, eine Live-CD und ein Feuerzeug – leider kein Vinyl) und 2020 nochmal an gleicher Stelle spielen!
Links: https://www.nichts-band.de/, https://www.facebook.com/Nichts-Band/, https://www.last.fm/de/music/Nichts
Text: Marcus / Fotos: Kai
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