Exzess, Frankfurt, 29.04.2016
Ein prima Punkrock-Package hatte Face Slap Concerts zum Ausklang des April ins Frankfurter Exzess gebracht, bestehend aus dem Headliner NIGHT BIRDS (rechts) aus New Jersey sowie den deutschen Support-Acts AUF BEWÄHRUNG und KICK IT!. Letztere verpassten wir leider, kamen aber pünktlich, um die Deutschpunks AUF BEWÄHRUNG zu erleben. Die Band, die in der Besetzung mit Archi, Henner, Maddin und Schmedder auf der Bühne des Bockenheimer Clubs stand, gibt es bereits seit gut zehn Jahren. Und sie war in dieser Zeit alles andere als faul: Mit u. a. „Pogo & Gesang“ (EP, 2008), „Sturmwarnung“ (LP, 2009), „Schnauze voll!“ (LP, 2012), „Zurück auf Start“ (EP, 2014) und „Nachtschatten“ (LP, 2016) hat das Quartett schon eine ganze Reihe an Veröffentlichungen aufzuweisen.
Ursprünglich aus „einem kleinen Örtchen bei Wismar in Mecklenburg-Vorpommern“ (Bandinfo) stammend, gibt die Combo nun Leipzig als Heimat-Standort an. Auf den ersten Releases wie „Schnauze voll“ fühlte man sich noch eher dem traditionellen Deutschpunk verpflichtet, wovon Stücke wie „Klau Dir Dein Leben zurück“ oder „Nazis auf’s Maul“ deutlich Zeugnis ablegen. Allerdings lässt sich AUF BEWÄHRUNG schon auf ihren früheren Alben nicht auf eindimensionale Politsongs reduzieren. Auch Tracks wie „Traum“ und „Sterne bringen“ (Achtung: Ballade!) haben ihren Platz und reflektieren das Leben im Allgemeinen und das sein Dasein reflektierende Individuum im Speziellen. Gekonnt, abwechslungsreich, gefällig. Notiz dazu am Rande: Wie auf der Homepage der Band zu lesen, stand das Album im Fokus der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ und wurde schließlich im Dezember 2013 nicht indiziert. Was jeden, der die Scheibe mal gehört hat, nicht wirklich wundern kann. Heiße Luft.
Das neue Werk „Nachtschatten“, das just vor zwei Monaten das Licht der Welt erblickte, ist mehr im Stil eines melodiöseren Punkrocks gehalten, und das steht der Combo ebenfalls gut zu Gesicht. Auch hier lässt sich die Band nicht in die Monotonie-Schublade pressen, die Mischung von politischen Songs wie „Es macht mir Angst“ („Euer Deutschland kotzt mich an“) und zuweilen sogar melancholische Gefühle thematisierenden Stücken wie „Bittersüss“ oder „Einfach wach“ bleibt Trumpf.
Natürlich rollten gestern Abend wieder einige mit den Augen, wenn es bei Deutsch gesungenem Texten nicht nur ums Saufen oder Hassen geht. Ich dagegen finde: Das Genre hat sehr wohl Platz für durchdachte Texte, sofern sie nicht über die Schwelle des Intellektuell-Verkopften gehen. Und, hey: Ich gehöre zu den Leuten, die auch ganz gern mal verstehen, was der Kerl da vorne in der Mitte ins Mikrofon schreit. Ein bisschen linke politische Agitation musste und durfte in den Ansagen dann auch nicht fehlen, in Zeiten erhöhten Zulaufs für populistische Rechtsparteien ist das ebenso okay wie nötig.
Insgesamt kamen die Jungs im Exzess gut an, was sich für sie hoffentlich auch am Merchtisch auszahlte. Zu erwerben gabs unter anderem die aktuelle LP „Nachtschatten“ in der auf 100 Stück limitierten Variante mit rotem Vinyl, tollem Artwork, Poster, Textblatt mit Linernotes und Download- Code. Ein weiterer Beweis dafür, wieviel Herzblut und Gehirnschmalz AUF BEWÄHRUNG in ihre Musik und ihre Outputs stecken. Ich habe mir jedenfalls ein Exemplar gesichert, und das rotiert jetzt erstmal hier.
Für die Review zur Show des Headliners NIGHT BIRDS übergebe ich nun an den Kollegen Marcus:
Die NIGHT BIRDS fielen mir erstmals 2011 durch ihre Single „Midnight Movies“ auf, wobei ich gestehen muss, dass ich die Scheibe damals hauptsächlich aufgrund des kultigen Horror-Artworks erworben habe. Beim Auflegen der EP hatte ich nicht wirklich viel erwartet, denn als Punk-Opa, der frühe 80s-Bands wie FEAR, GERMS und BLACK FLAG zu seinen Favoriten zählt, kann ich mit jungen Acts und deren Musik nur selten etwas anfangen. Bei den NIGHT BIRDS war dies jedoch anders, denn was da damals aus den Boxen dröhnte, klang wie eine Mischung aus CIRCLE JERKS, den ADOLESCENTS und AGENT ORANGE, dargeboten von jungen Männern mit viel Wut im Bauch. Seither bin ich den Jungs verfallen und habe den Tag herbeigesehnt, die New Yorker endlich einmal live erleben zu können. Nachdem die Band auf ihren bisherigen Touren das Rhein/Main-Gebiet ausgespart hatte, war es nun endlich soweit, die NIGHT BIRDS standen auf der Bühne des gut gefüllten Exzess.
Allerdings hatte Sänger Brian gleich zu Beginn des Konzerts eine schlechte Neuigkeit zu verkünden: Aufgrund eines Todesfalls in seiner Familie musste der etatmäßige Basser Joe Keller die Tour abbrechen, sodass kurzfristig ein Ersatzmann verpflichtet wurde, der in der Kürze der Zeit allerdings lediglich 13 Songs einüben konnte. Das war zwar schade, tat dem folgenden Live-Spektakel aber keinen Abbruch. Die Band und auch das Publikum vor dem Podest gingen ab, als hätte sie eine Horde Bettwanzen befallen – was in der Location nicht verwundern würde – und sie gezwungen, sich in ekstatischen Zuckungen zu üben.
Songtechnisch wurde ein Querschnitt der bisherigen drei Alben und diverser EPs, darunter auch zwei Tracks der eingangs erwähnten Single, geboten. Neben den schnellen, dreckigen Punk-Tracks gab es etwa in der Mitte des Sets ein Instrumental, das John Carpenters Titelmelodie des Films „Die Klapperschlange“ in Surf-Manier präsentierte und als nette Abwechslung zum restlichen Programm fungierte. Musikalisch klang all dies nach der eingangs erwähnten Mixtur aus diversen 80s-West-Coast-Acts, war hart, straight und schnörkellos gespielt, aber dennoch mit hymnenhaften, mitreißenden Melodien versehen und hier und da, ähnlich wie im Falle von AGENT ORANGE, mit gelegentlichen Surf-Parts gewürzt. Da die NIGHT BIRDS allerdings von der East Coast stammen, wo in der Regel härtere und finstere Gruppen beheimatet sind, macht sich auch diese Tatsache im Sound bemerkbar.
Kurzum, die New Yorker sind zweifellos eine der interessantesten und hoffnungsvollsten neuen Punk-Bands. Das sah wohl auch die recht bunt zusammengewürfelte Schar der Konzertbesucher so, die die NIGHT BIRDS mit Bierduschen, Slamdance und lautem Mitgegröle feierte. Leider war der Spaß bereits nach einer knappen Dreiviertelstunde schon vorüber. Zurück blieb ein geschafftes Publikum, das einen der bisher besten Gigs des Jahres gesehen hatte.
Setlist: Prognosis: Negative / Life Is Not Amusement For Me / Midnight Movies / Bad Biology / Golden Age Of TV / Escape From New York / Born To Die In Suburbia / Killer Waves / Sex Tape / Paranoid Times / Mutiny At Muscle Beach / New Cults / Left In The Middle
Links: http://aufbewaehrung.blogsport.de/, https://www.facebook.com/aufbewaehrung/, https://aufbewaehrung.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Auf+Bewährung, https://www.facebook.com/NGHTBRDS/, https://myspace.com/nghtbrds, https://night-birds.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Night+Birds
Text (AB): Stefan / Text (NB): Marcus / Fotos: Kai
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