NORSK FESTIVAL, Teil 2 – SANDRA KOLSTAD, HANNE HUKKELBERG, ARVE HENRIKSEN

Mousonturm, Frankfurt, 15.-19.10.2019

Hanne HukkelbergHier folgt der zweite Teil unserer Berichterstattung zum NORSK Festival im Frankfurter Mousonturm. Teil 1 findest Du hier.

Ich muss gestehen, dass das Meiste, was in den Tagen nach Jenny Hval beim NORSK Festival geboten wurde, mir bis dahin komplett oder zum großen Teil fremd war. Eine Ausnahme bildet der Gitarrist Eivind Aarset, der am Freitag unter der Ägide des Trompeters Arve Henriksen als Teil eines Quartetts den „Nordic Jazz“ repräsentierte und u. a. im vergangenen Jahr mit seinem Spiel das Zusammentreffen der norwegischen Jazz-Ikone Nils Petter Molvær mit den jamaikanischen Rhythmus-Legenden Sly & Robbie veredelte (Kurzbericht hier). Außerdem die Multiinstrumentalistin Hanne Hukkelberg (Foto oben), die den Mittwoch im Lokal des Mousonturms beschloss.

Nach der Performance von Jenny Hval im Theatersaal (Bericht dazu im ersten Teil) ging es für Interessierte kostenlos im Lokal weiter. Nur wenige Gäste der Hauptveranstaltung entschlossen sich zu bleiben, was aus Platzgründen ganz gut war. Die Entschwundenen verpassten allerdings etwas, denn die Sets von Hukkelberg sowie vorher Sandra Kolstad waren beide ziemlich eindrucksvoll.

Sandra KolstadKolstad stammt aus Oslo und lebt gegenwärtig, wie so viele kreative Menschen aus der ganzen Welt, in Berlin. Sie macht Popmusik – inhaltvolle und nicht ohne Schrägheiten im Sound, der bei ihr jedoch immer tanzbar wie eingängig wirkt. Darüber hinaus komponiert die klassische Pianistin Theatermusik – und eine Performance mit drei Literaten gab es am Donnerstag auch noch zu sehen. Am Mittwoch spielte sie allein knapp eine Stunde elektrisches Piano, überzeugte gleichermaßen mit Stimme, Charme sowie Witz und bezauberte mit ihren Liedern, die weit davon entfernt sind nur Plattitüden zu verbreiten.

Sandra KolstadVon einem Solo-Auftritt in der Schirn wusste sie zu berichten („Munchs letzte Nacht“, 2012), sprach von guten wie von schlechten Beziehungen und von ihrem

Sandra Kolstad

Glauben an die Kraft der Utopie („Anything is possible“, so Kolstad). Das Publikum wusste das zu schätzen – als die Künstlerin zum Ende hin anbot, entweder etwas Älteres, vielleicht Bekanntes aber unbedingt Harmonisches zu präsentieren oder den neuen Song „Hydra“ (Clip dazu unten), dessen mythologische Bedeutung als Allegorie zu verstehen ist, wurde geschlossen um „Hydra“ gebeten. Oder um beides, was aus Zeitgründen jedoch nicht möglich war. Spät wars, und Hanne Hukkelberg sollte ja noch kommen. Sandra Kolstad hat seit diesem Auftritt aber mindestens einen Fan mehr.

Hukkelberg frönt mit ihren Liedern gerne der Elektronik und macht das schon eine ganze Weile. Außerdem hat sie einen Metal-Hintergrund (sie sang vier Jahre bei den Doomern FUNERAL und kurz bei den Prog-Grufties UNSPOKEN NAMES, die es jedoch nur zu einem Demo brachten), komponiert ebenfalls Hanne HukkelbergTheater- und Filmmusik, hat ein Studium des Jazz abgeschlossen und spielt solchen ebenso wie Folk oder Americana. Mit den zwischen Americana bis Jazz pendelnden WILCO spielte und tourte sie (Offenbach, 2010) und strapazierte mit

Hanne Hukkelberg

ihrem elektronischen Sound die Geduld der auf Gitarren fixierten Anhänger des Headliners. Im Mousonturm fand sie sich ausschließlich vor Fans wieder – auch die Ladies, die den Abend vorher gestalteten (also Kolstad, Hval, Wang, etc.), ließen sich die Gelegenheit nicht nehmen, Hukkelberg in solch intimen Rahmen zu erleben und lauschten der „an Jazz geschulten Stimme, den Samples von Alltagsgeräuschen (und der) verwegene(n) Rhythmik“ (Musikexpress zum neuen Album „Birthmark“). Schön wars.

Richard WayneNachdem am Donnerstag Abend zum größten Teil getanzt werden konnte (Todd Terje legte auf) offenbarte der Freitag ein paar Highlights, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Diesmal begannen die Veranstaltungen bei freiem Eintritt im Lokal.

Richard Wayne

Bereits um kurz nach 17 Uhr wurde dort ein Buch vorgestellt, welches die später im Theatersaal auftretenden Nordic Jazz-Meister nicht nur zum Thema hatte, sondern diese auch gleich als Teil des Publikums versammelte. Ein Buch, das aus derselben Quelle gespeist wurde wie die Beiträge in diesem Blog: Liebe zur Musik sowie die Versuche, diese Liebe respektvoll in Bild wie Schrift weiterzugeben.

Adriana CarcuAdriana Carcu (Worte) und Richard Wayne (Bilder) taten dies eben in Buchform – ihr Werk heißt „Das Lied aus dem Norden“ (Pop-Verlag, Ludwigsburg) und geht in der Rezeption der Musik andere Wege als dies in der Regel der Fall ist.

Adriana Carcu

Carcu lässt sich inspirieren und beschreibt literarisch u. a. die Suche zum Auftrittsort des verehrten Nils Petter Molvær; Wayne verzichtet auf die übliche Art der Live-Fotografie und nähert sich den Akteuren auch außerhalb der Bühne – durchaus respektvoll, wovon die Anwesenheit des später im Theatersaal musizierenden Quartetts bei der Lesung zeugte. Jedoch auch nicht ohne anfängliche Unverschämtheiten. Über das richtige Verhältnis dieser beiden Pole plauderte ich noch mit Wayne nach der Buchvorstellung, bis der nächste Programmpunkt anklopfte.

Das war eine Veranstaltung über die junge, norwegische Literaturszene am Beispiel dreier Frauen – einer Autorin von Short Stories (Roskva Koritzinsky) neben zwei Poetry-Slammerinnen, Anna Kaisa Partapouli sowie Jeannine Masika Lukusa. Partapouli sprach leidenschaftlich über ihre Leute, das indigene Volk der Samen, die im nördlichen Teil Schwedens, in Norwegen sowie Jeannine Masika LukusaFinnland bis Russland leben. Auf samisch. Teilweise vor einer Videoinstallation mit englischen Untertiteln. Wegen Literatur war ich ja eigentlich nicht hier – die Vorträge von Lukusa jedoch

Jeannine Masika Lukusa

entpuppten sich als ein besonderer Höhepunkt. Die multilinguale Künstlerin präsentierte zwei Beiträge, in denen sie neben sprachlicher wie inhaltlicher Finesse ihre Stimme zum Instrument machte. Unterschiede in der Betonung, Geschwindigkeit sowie der Höhe des Vortrags setzten auch rein musikalisch Akzente und ließen die Anwesenden an ihren Lippen kleben. Das beschriebene „Dilemma“ im Umgang mit einer Freundin, die in einer missbrauchenden Beziehung steckt, wirkte (zumindest bei mir) noch lange nach.

Øyvind RimbereidDa die typischen Herbstseuchen auch vor Musikern nicht Halt machen, mussten zwei Programmpunkte im Lokal am Freitag gestrichen werden – Ersatz wurde, natürlich, auf der Buchmesse gefunden, auf der sich in

Øyvind Rimbereid

diesem Jahr naturgemäß viele Norweger aufhielten. Brit Aksnes, die in der gesamten Woche die diversen Veranstaltungen im Lokal moderierte, musste sich nicht nur auf außerplanmäßig erschienene Autor*innen einstellen sondern sie darüber hinaus mit dem Thema konfrontieren, welches im Mousonturm an erster Stelle stand – der Musik. Das hatte teilweise recht komische Dialoge zur Folge. Auch hier gab es ein Highlight: Øyvind Rimbereid las nach der Befragung Auszüge aus Øyvind Rimbereid & Arve Henriksen„Solaris: korrigiert“ – ein 40-seitiges (!) Gedicht in erfundener (!!) Sprache.

Øyvind Rimbereid & Arve Henriksen

Zu meinem Erstaunen war davon mehr verständlich, als es ein Gedicht in Rimbereids Heimatsprache gewesen wäre. Dies wurde unterstützt durch die sanfte Trompete von Arve Henriksen (siehe Videoclip). Noch ein Kerkelingscher „Hurz“-Moment oder große Kunst? Immerhin gab es den Norwegischen Kritikerpreis für Literatur 2004 dafür.

Zum Abschluss meiner persönlichen NORSK-Woche wurde noch einmal in den Theatersaal gebeten: Arve Henriksen bediente mitsamt seiner Stimme insgesamt vier Instrumente, darunter ziemlich winzige Trompeten. Eingerahmt von den Elektronik-Tüftlern Erik Honoré und Jan Bang sowie Arve HenriksenGitarrist Eivind Aarset an seiner Seite erschuf das Quartett einen meditativen Sog, der, Post-Rock-Bands nicht

Arve Henriksen

unähnlich, sanfte Stimmungen verdichtete bis zu erlösenden Eruptionen. „Sakral“ nannte das der Rezensent der Frankfurter Neue Presse und hörte darüber hinaus auch noch Zitate von Bach. Letzteres blieb mir verborgen, nicht aber die überwältigende, spirituelle Stimmung des perfekten Zusammenspiels.

Arve Henriksen

Erik Honoré, Arve Henriksen, Eivind Aarset, Jan Bang

Jede Menge großer Tonkunst wurde in diese Woche gepackt, an deren letzten Tag noch dem originären norwegischen Folk gefrönt wurde. Ein Verdienst von Kurator Markus Gardian sowie der im Überfluss vorhandenen Kreativität an der Spitze Europas. Vielleicht lässt sich so etwas im Zusammenhang mit anderen Gastländern der Buchmesse wiederholen. Noch schöner wäre es aber, wenn Norwegen im kommenden Jahr wieder Gastland wäre – wir hätten da nämlich einige schwarzmetallische Empfehlungen…

Links: https://sandrakolstad.com/, https://www.facebook.com/sandrakolstadmusic, https://www.last.fm/de/music/Sandra+Kolstad, https://hannehukkelberg.com/, https://www.facebook.com/hannehukkelberg/, https://www.last.fm/de/music/Hanne+Hukkelberg, http://www.arvehenriksen.com/, https://www.facebook.com/arvetrompet/, https://www.last.fm/de/music/Arve+Henriksen

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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