Nachtleben, Frankfurt, 15.08.2019
Eine Stunde vor Einlass gibt es noch keinerlei Anzeichen auf das später im Keller des Frankfurter Café Nachtleben stattfindende Konzert der aus Houston, Texas angereisten Combo OCEANS OF SLUMBER – keine Warteschlange aus euphorischen Metal-Fans, keine Badges, Kutten oder Shirts, die darauf hinweisen, dass hier demnächst etwas Besonderes geschehen wird. Nur Touristen mit Koffern und entspannte Café-Gäste, noch eher Heißgetränken sowie Kuchen frönend als einem Feierabendbier. Bis auf das verliebt kuschelnde Pärchen am hintersten Tisch – er, ein Berg von einem Kerl mit ausladender Haarpracht und sie, die die ihrige modisch halbiert trägt – mit Glatze auf der rechten Kopfhälfte neben meterlangen Dreads auf der anderen.
Er, das ist Dobber Beverly – einzig verbliebenes Gründungsmitglied der seit 2011 existierenden Formation. Sie, das ist Cammie Gilbert, die seit 2014 mit ihrem Gesang den Gesamtsound von OCEANS OF SLUMBER nicht nur veredelt, sondern auch zum Unikat macht in der Welt des Prog-Metal. Wie des Doom-Metal. Und des Rocks ganz allgemein, speist sich der Sound des Sextetts doch auch aus Versatzstücken des Blues, Gospel, Folk, Jazz sowie Southern-Rocks. Dass Beverly und Gilbert ein Paar sind, das sich in der Band fand zwischen dem zweiten Album „Winter“ (2016) und dem aktuellen, dritten „The Banished Heart“ (2018), ist inhaltlich von Bedeutung auf eben diesem, auf dessen Cover Gilbert ein/ihr blutendes Herz in der Hand hält.
Startet das Album noch mit verbitterter Abrechnung in Richtung eines verflossenen Partners, so breitet sich im Laufe der Platte Hoffnung aus, dazu Erkennen und Dankbarkeit. Abgeschlossen wird das Werk, welches nur noch in Teilbereichen den progmetallischen Ursprung der Band offenbart, mit einer sparsam instrumentierten Gänsehaut-Version des aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Folk-Klassikers „Wayfaring Stranger“, der unter anderem auch schon von Johnny Cash, Emmylou Harris oder Steve Earle intoniert wurde.
Folkig startete auch der Abend pünktlich um 21 Uhr, nachdem hauptsächlich Black Metal aus der Konserve die in nicht allzu großer Anzahl erschienenen Gäste unterhalten hatte. 40, maximal 50 Leute bevölkerten den Club, damit genug um einige geschlossene Reihen zu bilden, die jedoch ausreichend Luft boten um den Standort zu wechseln oder mal ein Getränk zu besorgen. Falls man sich der Intensität der Vorträge, die nun folgen sollten, denn überhaupt entziehen mochte.
Der Künstler, der als Erstes allein mit Gitarre auf der Bühne stand, nennt sich THE DEVIL’S TRADE und stammt – wie so viele in den vergangenen Jahren, die reduzierte Arrangements pflegen – eigentlich aus der Metal-Ecke: Dávid Makó sang knapp fünf Jahre bei der ungarischen Metal-Band STEREOCHRIST (die zum Beispiel TESTAMENT in Europa supporteten) und außerdem bei den Sludgern HAW, was er unter Umständen sogar immer noch tut. Vor OCEANS OF SLUMBER tourt er solo mit diversen Gitarren und Effektgeräten, mit denen er sich zum Teil selbst begleitet – er kreiert jedoch auch minimalistische Rootsmusic mit einem Banjo, durch dessen Resonanzkörper er eine beeindruckende Gesangsleistung ablieferte.
Die teilweise auf ungarisch, hauptsächlich jedoch auf englisch dargebrachten Stücke fußen sowohl auf europäischen als auch auf amerikanischen Songtraditionen und bieten inhaltlich Stoff, den man gern nochmal zuhause in Ruhe nachhört: Ein Lied widmete Makó seiner Schwester, die noch vor seiner Geburt verstarb; in einem prangerte er die Geschichtsvergessenheit junger Leute an und warb dafür, den Großeltern öfter bei ihren Lebensgeschichten zuzuhören. Eine kurzweilige, intensive halbe Stunde war das: Menschen die gerne die Solo-Ergüsse von Wino hören oder dem Schaffen von beispielsweise Emma Ruth Rundle verfallen sind, sollten unbedingt mal die Bandcamp-Seite von THE DEVIL’S TRADE aufsuchen.
Niemand durfte später ernsthaft erwarten, dass die um 22 Uhr auf der Bühne stehenden OCEANS OF SLUMBER noch etwas von ihrem 2013 erschienenen Debüt-Album „Aetherial“ spielen würden – eine nette Platte, fürwahr, aber nur eine Fingerübung für die späteren beiden Großtaten. Eingetütet außerdem von einer komplett anderen Besetzung, sieht man vom Taktgeber Dobber Beverly ab. Der spielt laut den Metal Archives gegenwärtig in noch sieben (!) weiteren Bands, darunter bei den empfehlenswerten, räudigen Schwarzmetallern NECROFIER (Hörprobe hier). Der Keyboarder Mat Aleman (ebenso NECROFIER) ist seit 2018 dabei, die Gitarristen Jessie Santos und Alexander Lucian (auch Background Vocals aka Growls) sowie der Bassist Semir Özerkan (dito) erst seit diesem Jahr.
Naturgemäß dominierte „The Banished Heart“ die Setlist, vervollständigt von drei Tracks des Vorgängers „Winter“ (inklusive des MOODY BLUES-Covers „Nights in White Satin“). Zahlreich mögen die andächtig dem Dargebotenen lauschenden Gäste nicht erschienen sein – der Applaus nach knapp 70 Minuten war jedoch fulminant, jeder im Keller komplett überzeugt und positiv von dem Sextett eingenommen.
Eine Zugabe wurde lautstark gefordert – etwas, was in der Praxis bei Bands aus Übersee in den letzten Jahren immer konsequenter verweigert wird. Aus dem Keller kommt man jedoch nicht so ohne Weiteres raus, es gab keine Chance zur zugabenlosen Flucht. Also erschien Cammie Gilbert noch einmal, lockerer als zuvor und scheinbar ratlos überlegend, was man denn in so einem Fall noch machen könnte. Die Antwort war ebenso naheliegend wie wunderschön: Eine Strophe „Wayfaring Stranger“, a cappella dargeboten. Danke dafür. Beim nächsten Mal kommen wir wieder und bringen alle unsere Freunde mit.
Links: https://de-de.facebook.com/TheDevilsTrade/, https://thedevilstrade.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/thedevilstrade/, https://www.last.fm/de/music/The+Devils+Trade, https://oceansofslumber.com/, https://de-de.facebook.com/oceansofslumber/, https://oceansofslumber.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/oceansofslumber/, https://www.last.fm/de/music/Oceans+of+Slumber
Text & Fotos (17): Micha / Fotos (3): Nicole
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