Frankfurt, Januar 2022
Da es aktuell nix gibt, was man sich live-technisch gönnen könnte, blicken wir mal wieder zurück – und das in Form einer neuen Reihe mit dem Titel „A Blast From The Past!“. In Folge 1 geht es um das Out in the Green-Festival, das am 18. und 19. Juli 1987 am Odenwaldring nahe dem südhessischen Babenhausen stattfand. Zurück in die Achtziger also – sie sind ohnehin das meist zitierte Jahrzehnt ever, so mein subjektiver Eindruck. Streng genommen geht es sogar noch weiter in die Vergangenheit – hatten doch die meisten Akteure, die an diesem Wochenende den Acker zwischen Babenhausen und der Gemeinde Schaafheim bearbeiteten, ihre größte Zeit bereits hinter sich. Einige andere dagegen konnte man danach nur noch mit dem Feldstecher in größeren Arealen bewundern, wiederum andere gar nicht mehr.
Foto oben: Joe Cocker. Alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern!
Die Out in the Green-Reihe entstand in Deutschland nach dem Ende der Golden Summernight Festivals, die während der Siebziger Jahre auf ähnliche Art dem Gitarrenrock frönten. Darüber hinaus startete es 1987 als immer noch existentes Festival mit diverserem Line-Up in der Schweiz. In Deutschland fand das Open Air in ähnlicher Form nur noch wenige Jahre statt, spätere Veranstaltungen mit diesem Titel waren weitaus kleiner angelegt und selten mit internationalen Formationen.
Trotz einiger legendärer Namen im Billing lief der Vorverkauf für dieses Festival wohl eher so semi – anders ist es kaum zu erklären, warum Tickets kurzfristig von der Tagespresse verlost wurden. Die Konkurrenz in diesem Jahr war auch nicht gerade klein: Am Loreley-Felsen fand das erste von vielen Bizarre-Festivals mit zeitgemäßerer Gitarrenmusik statt. Und die Monsters of Rock bäumten sich noch einmal auf, bevor die Marke 1988 wegen Vandalismus endgültig verbrannte (zumindest in Deutschland). Rock am Ring war als musikalischer Gemischtwarenladen noch in der Orientierungsphase und bot einige personelle Überschneidungen mit dem Out in the Green. Dieses punktete jedoch gerade durch seinen Anachronismus, bei dem Charts-Kompatibilität keine Rolle spielte und ein dankbares Publikum versuchte, etwas Woodstock-Feeling in die Achtziger zu retten.
Enter Kumpel Stefan, der das Glück hatte zwei von der Presse verloste Tickets zu ergattern. Wobei uns Rockfreaks wirklich nur EIN Name auf der Eintrittskarte wirklich einlud: STATUS QUO. Der Rest interessierte uns kein Stück. Lohnte es sich also, den Weg in die südhessische Pampa anzutreten, vor allem bei dem mehr als bescheidenem Wetter am ersten Tag sowie wenig erbaulichen Vorhersagen zum zweiten? Nun ja.
„Als erstes spielten HOB GOBLIN, die wir glücklicherweise fast vollständig versäumten.“ schrieb ich damals mit der typischen Arroganz eines 22-Jährigen in mein Fototagebuch, aus dem alle hier veröffentlichten Bilder entnommen sind. Weiter: „Wir nutzten die Zeit, in der wir diesem -z-e-n-s-i-e-r-t- ausgesetzt waren, für einen kleinen Einkaufsbummel, bei dem uns von (Hasch-)Pfeifen über Monsterbilder und Lederhüte bis zu Werner-Comics alles angeboten wurde, was der Freak so braucht. Anschließend machten wir uns auf die Suche nach einem akzeptablen Ruheplatz (häh?) – und dann harrten
Lick
wir der Dinge. Und sie kamen recht mies. Die nächste Band hieß LICK, kam aus Aschaffenburg und klang auch so…“. Damit verlasse ich zunächst meine Original-Notizen von 1987, denn sie werden in puncto Überheblichkeit erstmal nicht angenehmer. Den regionalen Openern stand ich wohl weniger offen gegenüber, wie es scheint. Überprüfen kann ich mein harsches Urteil von damals nicht mehr – Bands aus Prä-Internetzeiten, die sich zudem mit etlichen anderen den Namen teilen, haben es schwer im Nachhinein wahrgenommen zu werden.
Bekanntere Musikanten waren vor meiner Abscheu jedoch ebenfalls nicht sicher. Ich zitiere wieder mein Tagebuch, die Großen können das sicher eher ab: „Dann kam Roger Chapman – und nicht nur das: Es fing auch noch tierisch an zu pissen und hörte den Rest des Tages über kaum noch auf. Die Musik trug nicht dazu bei die Laune zu verbessern: Tausend mal gehörter 08/15-Rhythm & Blues, den langsam jeder satt haben müsste. Aber nein: Jedes Jahr Chappo-Open Airs und tausende Kneipen, die allabendlich
Roger Chapman
seine Live-Platte spielen reichen immer noch nicht aus, Chapman mal ein Auftrittsverbot auszusprechen“. Dabei hatte ich das Live-Album selber. Aber es stimmt: In den späten Achtzigern gab es in Deutschland einen Chapman-Overkill, der mir seine Musik madig machte bis zum heutigen Tag. Vielleicht wird es Zeit für einen erneuten Hörversuch, ist ja jetzt ein paar Tage her.
Noch nicht über hatte ich den folgenden Udo Lindenberg mit seinem PANIKORCHESTER, den ich sechs Jahre zuvor bereits zweimal sah (unter anderem als Headliner eines Festivals gegen den Bau der Startbahn West in der Frankfurter Festhalle) und von dem ich die eine oder andere Scheibe besaß. Zu diesem Zeitpunkt war mein Interesse an ihm trotz Grundrespekts bereits etwas abgekühlt (ein Zustand, der sich umgekehrt proportional verhielt zu den immer größeren Hallen, die er bespielte). Im Tagebuch 1987 liest sich das so: „Dessen Musik törnt mich ja
Udo Lindenberg
nun schon seit Jahren (!) nicht mehr, aber neben seinen Verdiensten um die deutschsprachige Rockmusik kommt man auch nicht drumrum seine Persönlichkeit zu schätzen. Wer von der heutigen Deutsch-Rock-Generation erzählt schon kritisch über „Scheiß-Nazis“, wenn er bei Dieter Thomas Heck spielen will?“ Stabil war Udo schon immer, selbst wenn sich das in Schrottsongs äußerte wie „Wozu sind Kriege da?“, welchen er, glaube ich, hier auch zum Besten gab. Neben Knallern wie „Straßenfieber“ oder „Sie brauchen keinen Führer“. Letzterer ist in seiner Grundaussage leider aktueller denn je.
Was ich 1987 über den nun folgenden Joe Cocker geschrieben habe, zitiere ich hier nicht – das ist mir äußerst peinlich sowie in seiner vernichtenden Arroganz schon fast justiziabel. Mit Coverbands hatte ich es noch nie und die Formation um den Woodstock-Veteranen speiste ihr Programm zu 90 Prozent aus fremden Kompositionen (die Setlist gibt es hier). Das ist seinen Fans zu Recht völlig egal, aber zu denen gehörte ich nie, selbst wenn seine berühmte
Joe Cocker
BEATLES-Interpretation „With A Little Help From My Friends“ ein Highlight des Woodstock-Soundtracks darstellt. Auf dem Odenwaldring kam diese jedoch schwachbrüstig daher und im üblen Sinne verzweifelt, so mein damals formulierter Eindruck. Geschmackssache. Marvin Gaye sollte aber nicht jeder covern dürfen, dazu stehe ich heute noch.
Der erste Tag des Wochenendes war bisher alles andere als ekstatisch (Kumpel Stefan sah das meiner Erinnerung nach ähnlich). Der Abschluss versöhnte jedoch mit allem, von feuchten Schuhen über lokale Opener bis zu fragwürdigen Coverversionen. Als letzter Act betrat die Formation um die Bluesrock-Legende Rory Gallagher die Bühne. Der nach einer Organtransplantation 1995 mit 47 Jahren leider viel zu früh verstorbene Gallagher veröffentlichte 1987 nach fünf Jahren Pause mit „Defender“ endlich ein neues Album. In den Jahren von 1977 (in dem er
Rory Gallagher
Deutschland sowie Europa in der ersten Rockpalast-Nacht im Fernsehen schwer beeindruckte) bis 1982 erschienen etliche, meist hochklassige Werke mit zunehmendem Hardrock-Einschlag, verbunden mit exzessiven Tourneen. Neben diesen war er regelmäßig auf Sommer-Festivals zu Gast und beehrte weitere Male den Rockpalast. Gallagher live war eine absolute Macht voller Spielfreude, die Konzerte toppten seine Scheiben um einiges, egal ob er nun akustischen Blues auf der Gitarre oder Ukulele zockte oder eben den treibenden, bluesigen wie melodiösen Hardrock auf seiner berühmten Stratocaster.
Das war 1987 bei Babenhausen nicht anders, bei dem zwei Stücke des beworbenen, neuen Drehers die üblichen Verdächtigen aus Blues-Covern von Son House oder Muddy Waters sowie Live-Favoriten wie „Shadow Play“ oder „Bad Penny“ umrahmten (siehe die Setlist hier). Am Start neben Gallagher war sein dienstältester Partner am Bass, Gerry McAvoy, welcher später mit seinem Projekt BAND OF FRIENDS die Erinnerung an Rory sowie sein Schaffen aufrecht erhält (unsere Review dazu hier). Die Jahre an der Flasche forderten bereits ersten Tribut von dem Axtschwinger – ich nahm ihn jedoch einmal mehr als energiegeladene Rampensau wahr, die verzückt im Spiel aufgeht und damit jede Gestalt im Publikum zum Mitspringen animiert. Es war meine letzte Begegnung mit dem irischen Nationalhelden, vor dem selbst Jimi Hendrix allerhöchsten Respekt hatte (ein diesbezüglich schönes Zitat befindet sich am Ende eines Nachrufs hier). Seine Live-Sternstunden im Rockpalast gibt es auf DVD, seine Live-Alben sind allesamt zu empfehlen.
Der Ausflug hatte sich also mehr als gelohnt. Es stand jedoch noch ein zweiter Tag an, der uns nach einer Nacht im heimischen Bett bevorstand. Es sollte ein sehr interessanter werden. Alles dazu hier!
Text & Fotos: Micha
Schön, nochmal was über das OITG ’87 zu lesen.
Wir waren damals nur den 2. Tag dort – in erster Linie wegen Status Quo – waren jedoch von der angenehmen Athmosphäre und dem vielfältigen LineUp sehr angetan.
Ob es damals von Meat Loaf vor dem Auftritt von Quo unbedingt noch ein Rock’n’Roll-Medley gebraucht hat, habe ich jedoch bis heute nicht verstanden… 😉
Die größte Überraschung waren für uns Barclay James Harvest, die – bei mir als Schmusebarden abgespeichert – mit ihren 2 Schlagzeugen einen sehr druckvollen Auftritt hingelegt hatten.
Es war ein schöner Tag… ein tolles Festival… mit tollen Erinnerungen!
Sehr schöner Bericht, auch wenn`s um Hippiekacke geht (war selbst mal einer)! Gute Idee mit der „Blast from the Past“-Reihe! Freue mich auf die Fortsetzung!