Frankfurt, Februar 2022
Hier folgt Teil 2 unserer Erinnerungen an das Out in the Green-Festival am 18. und 19. Juli 1987 zwischen Babenhausen und Schaafheim. Solltest Du den ersten Teil verpasst haben, klicke hier.
Leicht verschnupft und frisch ausgeruht nach einer Nacht in der heimischen Koje stürzten wir uns bei weit angenehmeren Temperaturen ins Getümmel des zweiten Veranstaltungstages, welcher einige Line-Up-Wechsel zu vermelden hatte. Vorher allerdings kamen wir nicht drum herum, in der (leider seit Jahrzehnten schon nicht mehr existenten) Wurst- und Burgerbude nahe dem 2014 gesprengten AfE-Turm der Frankfurter Universität ein rustikales Frühstück zu verzehren. Ob dies wegen unserer besonderen Verbindung zu den dort hergestellten Orient-Sandwiches geschah oder weil uns die Reispfanne auf dem Konzertgelände am Odenwaldring zu fettig und zu teuer erschien, kann ich nach 35 Jahren nicht mehr nachvollziehen.
Foto oben: Eric Bloom von BLUE ÖYSTER CULT filmt das Publikum. Alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern!
Zweifelsfrei wurden wir jedoch später Zeugen der Auftritte nachfolgender Musikanten, zum Beispiel MGM. Diese drei Buchstaben standen für die Herren Neil Murray, Mel Galley und Bernie Marsden. Das war insofern etwas Besonderes, da es von dem nur kurzfristig existenten Trio keine veröffentlichten Aufnahmen gibt. Als Fan der DEEP PURPLE-Nachfolger WHITESNAKE waren mir diese Personalien selbstverständlich bekannt: Alle drei veredelten mit ihrem Saitenspiel den Sound der britischen
Bernie Marsden
Instituton, bevor deren Boss David Coverdale den Verlockungen des US-Marktes erlag und seine blueslastige Hardrock-Truppe in eine toupierte Hairmetal-Combo von der amerikanischen Westküste verwandelte. Dazu arrangierte er Songs um, die Gitarrist Bernie Marsden mitgeschrieben hatte – welcher vor seiner Zeit bei WHITESNAKE bereits als Gitarrist von UFO oder PAICE ASHTON LORD Ansehen erwarb. TOTO-Sänger Bobby Kimball war ebenfalls Teil dieser Formation – ob das an diesem Tag jedoch ebenso der Fall war, vermag ich nicht zu sagen. Mein Foto-Tagebuch vermerkt zu
Neil Murray
diesem Auftritt harsch, dass die Musik „völliger Schwachsinn“ gewesen sei, was sich leider nicht überprüfen lässt. Gemessen an der Tatsache, dass ich allen drei Akteuren hinter den Buchstaben MGM großen Respekt entgegenbrachte (und es noch tue) bin ich jedoch geneigt, meinem 35 Jahre alten Urteil zu vertrauen.
Noch mehr Respekt anschließend für Nils Lofgren, der bereits als 17-Jähriger in der Band von Neil Young spielte und es (mit Unterbrechungen) immer noch tut. Ebenso wie für Bruce Springsteen. Sein Gitarrenduell mit Young bei „Like A Hurricane“ 1982 beim 5th Golden Summernight Concert auf den Wiesbadener Rheinwiesen gehört in meine Top Ten-Liste der heftigsten Gänsehautmomente auf Live-Konzerten. Neben seinen Engagements bei diesen Rock-Giganten fand er in den 80ern noch Zeit für ein paar Soloalben, deren Sound
Nils Lofgren
eher semi gealtert ist. „No Mercy“, seine kommerziell erfolgreichste Nummer, funzt aber immer noch gut und war auch Teil seines größtenteils akustischen Sets an diesem frühen Nachmittag, dessen Setlist man hier nachlesen kann. Verzichtete der agile Gitarrist deswegen auf seinen legendären Salto beim Spielen? Leider kann ich mich daran nicht erinnern. Freue mich diesbezüglich auf jede Unterstützung mittels der Kommentarfunktion.
Auch über die Frage, ob wirklich beide an diesem Tag auftretenden Headliner (zumindest meines Herzens), die den DOORS-Klassiker „Roadhouse Blues“ auf ihren kultigen Live-Doppelalben in ihr Repertoire überführten, diesen an Tag 2 des Out in the Green kredenzten, herrschen Erinnerungslücken bei mir vor. BLUE ÖYSTER CULT taten das, sagt Setlist FM hier – mein Fotoalbum bestätigt dies mit einer zeitnahen Notiz. Eine solche fehlt aber bei den am
Blue Öyster Cult
frühen Abend auftretenden STATUS QUO. BÖC scheint dies sehr wichtig gewesen zu sein, speiste sich ihr Set, welches ohnehin nur aus sieben Stücken bestand, gleich mit zwei Coverversionen. In diesen sieben Stücken ließen sie nichts anbrennen und hauten eine komprimierte Anleitung zur Ekstase unters Volk, inklusive der legendären Harley auf der Bühne. In den 80ern waren BÖC eine der fleißigsten und mitreißendsten Live-Bands auf den hiesigen Bühnen, bis die New Yorker sich Anfang der Neunziger extrem rar machten und bis zum Sweden Rock 2012 nur noch in ihrer Heimat präsent waren.
Als nächstes standen die Line-Up-Änderungen an, über deren Gründe ich nichts weiß. ELP (eigentlich EMERSON, LAKE & PALMER, in den Achtzigern jedoch eher EMERSON, LAKE & POWELL) fehlten ebenso wie die gleichsam proggigen KANSAS, was mir als Ignorant solcher Töne durchaus zupass kam. Als Ersatz fungierten die legendären BAD COMPANY, die aber mit höchst unlegendärem Line-Up performten – ohne das Stimmwunder Paul Rodgers (der zu dieser Zeit mit Jimmy Page als THE FIRM kurzzeitig musizierte), sondern mit Ex-Ted Nugent-Stimme Brian Howe. Mit diesem versuchten BAD COMPANY mit profillosem A(merican)T(op)-40-Rock kommerziell zu punkten und vermasselten ihr Erbe damit komplett. Ich zitiere mein altes Foto-Tagebuch hier bewusst nicht, aber Recht hatte ich da schon.
Arme Prog-Fans. Erst substanzloser Kommerzkram als Ersatz für die ausgefallenen Hochkaräter und danach sogar noch einer, der seine aktuelle Platte von Frank Farian produzieren ließ. Ihr wisst schon, Frank Farian? Der Mann hinter BONEY M. und MILLI VANILLI? Dessen Breitwand-Disco-Sound mit Strohpuppen verkauft wurde, die gar nicht selber sangen? Naja, auf den nun folgenden MEAT LOAF traf das sicher nicht zu. Dessen 1986er-Album „Blind Before I Stop“ war jedoch dank Farian auf eine Art zeitgeistig, die Fans seiner Zusammenarbeit mit Jim Steinman den Kamm anschwellen ließ. Synthie-Drums (ubiquitär in den Achtzigern, die hatte sogar
Meat Loaf
Bruce Springsteen), anspruchslose Rhythmik, im Hall zugekleisterte Gitarren sowie ein weiblicher Background-Chor ließen einen fast vergessen, dass MEAT LOAF eigentlich ein Rock’n’Roll-Performer war – wenn auch einer, der nicht gerade dem Minimalismus frönte. Aber wisst Ihr was? Ich liebe diese Platte (zumindest die A-Seite), ebenso wie den Vorgänger „Bad Attitude“. Etwas, was ich nicht über die „Bat Out Of Hell“-Trilogie sage. Unter diesen Umständen war sein Auftritt ein Fest für mich, das „zweite Highlight des Tages nach BÖC“ sagt mein Tagebuch von 1987. Live fiel der ganze Farian-Rumms natürlich unter den Tisch, von Überproduktion war meiner Erinnerung nach nichts zu spüren. Das offenbarte einmal mehr die Klasse solcher Kompositionen wie „Execution Day“ oder „Rock’n’Roll Mercenaries“, wobei man wie so oft lieber den Mantel des Schweigens über die Texte des unlängst verstorbenen Republikaners Michael Lee Aday, wie MEAT LOAF eigentlich hieß, legen sollte. Das Rock’n’Roll-Medley am Schluss des Sets (hier) konnte als Versuch einer Standortbestimmung oder als Wiedergutmachung für den Farian-Sound auf Platte gewertet werden, wobei das natürlich verlorene Liebesmüh‘ darstellte bei dem Programmpunkt, der sich anschließen sollte.
Enter STATUS QUO: Beste Party-Rockband diesseits von AC/DC – und das mehrere Jahrzehnte lang. Abschiedstour der Kult-Ur-Besetzung 1984 (da sah ich sie erstmals weil ich dachte, ich sehe sie danach nie wieder); ab 1986 dann Neubesetzung, bei der die Frontleute Rick Parfitt und Francis Rossi mit frischem Personal ambitioniert weiter rockten. Auch hier kann man streiten über den Wert der meisten der folgenden Platten-Veröffentlichungen, aber live war das immer ein Fest, zumindest bis zum Ableben Parfitts 2016
Status Quo
bzw. der Hinwendung zu größtenteils akustischen Darbietungen ihrer Hits und zu eigen gemachter Cover. Die Begeisterung am Odenwaldring übertrug sich auch auf die Bühnenarbeiter, die den oft als stumpf gescholtenen Boogie-Rock der Briten mit ihrem Werkzeug auf dem Seitenturm unterstützten. Kein Wunder bei einer Setlist (hier), die Knaller wie „Whatever You Want“ zum Warmwerden kredenzte und mit Hits wie „Rain“ oder „Caroline“ den Sack zumachte. Und ja, auch John Fogerty wurde wie immer gecovert (in der breiten Wahrnehmung ist „Rockin‘ All Over The World“ längst ein STATUS QUO-Song) sowie der „Roadhouse Blues“ der DOORS, wenn Setlist FM die Wahrheit spricht.
Ich war inzwischen ziemlich durch, mein arrogantes 1987er-Ich hatte längst nichts mehr zu nörgeln und wir beide, Kumpel Stefan und ich, waren reif für die Heimreise. Was bedeutete, dass wir uns BARCLAY JAMES HARVEST zum Ende schenkten. Uns die anzuschauen wäre jedoch auch heute noch keine Option, dazugewonnene Altersweisheit hin oder her. Wer weiß, vielleicht entwickelt sich in ein paar Jahren diesbezüglich auch noch eine reuevolle Haltung.
Was habe ich vergessen, falsch abgespeichert oder eingeordnet? Hast Du andere Erinnerungen an das Festival? Dann gib uns ein Feedback mit der Kommentarfunktion unten.
Text & Fotos: Micha