Exzess, Frankfurt, 17.03.2018
Jede Phase Deines Lebens begleitet ein bestimmter Soundtrack. Sei es ein ganzes musikalisches Genre wie Rock, Heavy Metal, New Wave oder was auch immer. Oder seien es nur einzelne Lieblings-Bands, deren Platten eine Weile nicht mehr von Deiner Seite weichen. Die meisten Favoriten oder ihre Stilrichtungen kommen und gehen wieder, aber einige bleiben für immer. Ich zum Beispiel habe seit jeher ein Faible für den Punk. In jungen Jahren hörst Du das aggressive, „rebellische“ Zeug gerne – SLIME, NORMAHL, TOXOPLASMA, die „Schlachtrufe“-Sampler oder die „Soundtracks zum Untergang“. Aber legt man sich diese Scheiben heute noch auf? Man mag die in fortgeschrittenem Alter zwar immer noch, klar, schon aus nostalgischen Gründen. Aber die Zeiten, in denen man sich mit dem Sixpack vor die Anlage setzte, die Lautstärke aufdrehte und vielleicht sogar noch mitgrölte, gehören doch lange der Vergangenheit an. Und irgendwie hat mans auch über, jahrzehntelang was über Bullenschweine, die Revolution (die eh nie kommt) und das Saufen zu hören. Aber deswegen mit dem Punk abschließen? Niemals. Man muss sich halt andere Bands suchen. Welche, die der eigenen aktuellen Lebenssituation näher sind als die Krakehler von damals.
Eine habe ich im vergangenen Jahr kennengelernt: PANIKRAUM aus Mönchengladbach. Das Quartett legte im Herbst 2017 einen famosen Auftritt als Support von DER REST im Offenbacher Waggon hin. Leider konnte ich die Jungs bei ihrem nächsten Gig im Rhein/Main-Gebiet in der Wiesbadener Kreativfabrik nicht erleben. Doch gestern waren sie nun im Rahmen der schönen Veranstaltungs-Reihe „The Lights Are On!“ im Frankfurter Exzess zu Gast. Dort stellten sie, einen Tag nach der offiziellen Release-Party in den Gladbacher Stöhrsound Studios, ihr Debüt-Album namens „Kopfkino“ vor.
„Düster-Punk“ steht auf dem Konzertflyer. Das kann man als subsumierenden Begriff zwar gelten lassen, aber dahinter steckt noch einiges mehr. Was macht diese Combo anders, und das so gut, dass mich ihre Lieder sofort einfangen konnten? Zum einen: Die Musiker. Drei von ihnen spielen altersmäßig in meiner Liga und befinden sich, um den Gedanken von vorhin wieder aufzugreifen, mutmaßlich in einer ähnlichen „Lebensphase“. Bandkopf ist Sänger und Gitarrist Alex, vermutlich einigen bekannt als Mitglied von DIE STRAFE, die 2017 ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert haben. Schlagzeuger Nico trommelt sonst bei EA80, die schon seit 1979 existieren. Den Vierer komplettieren Gitarrist Markus und „Youngster“ Jasper am Bass, der seit März 2017 PANIKRAUM angehört.
Zum anderen: Die Texte. Wenn man sich das Textblatt von „Kopfkino“ anschaut (liegt der Platte bei), würde man sicher nicht vermuten, dass diese Zeilen von einer Punkband stammen. Da hat sich jemand im stillen Kämmerlein Gedanken gemacht (womit ich nicht sagen möchte, dass sich die Schreiber anderer Combos keine Gedanken machen, aber hier sind es eben andere, vielschichtigere): Da wird Persönliches verarbeitet, in der Hauptsache Zwischenmenschliches. Manches weckt auch Assoziationen zu anderen Formationen, die ganz woanders unterwegs sind: Lyrics wie z. B. die des Stücks „Garten“ könnten genauso aus der Feder von FEHLFARBENs Peter Hein stammen. Und die Texte lassen, soweit ich das deute, Interpretationsspielraum zu. Zwischen den Zeilen. Aber das Wichtigste ist: Sie funktionieren. Zusammen mit dem Punkrock von PANIKRAUM, zusammen mit der Stimme von Frontmann Alex. Meine Highlights im gestrigen Programm und auf der Scheibe: „Unbekannt“, gleich als Opener gespielt, sowie „Meinung Macht“ und „Eskalation“.
Stücke wie diese nehmen den Zuhörer mit auf eine kleine, emotionale Reise quer durch die Probleme der Gesellschaft und des menschlichen Seins, eingebettet in fetten Punksound, der hier und da Kanten von Rock und Ecken von Wave offenbart. Eine Reise durch das Kino im Kopf eben, mal mehr und mal weniger fiktiv. Wenn man sich auf so etwas einlassen kann, muss man diese Combo mögen. Den allermeisten Besuchern im gut gefüllten Exzess schien das zu gelingen.
Als Zugabe spielte Sänger Alex das Titellied der brandneuen Platte solo auf der Gitarre, ein würdiger Abschluss. Eine unmittelbar nach dem Gig durchgeführte, wie immer wenig repräsentative Kurzumfrage ergab so ziemlich alles zwischen wohlwollender Sympathiebekundung und euphorischer Begeisterung. Da ging (später) niemand enttäuscht nach Hause. Doch zunächst einmal war ja noch das Duo KLOTZS an der Reihe.
Setlist Panikraum: Unbekannt – Feuer – Folge mir – Iridium – Garten – Flucht und Verzicht – 2 Wege – Meinung Macht – Reflexion – Von allen Zwängen – Winter – Nicht sein – Zu spät, für was? – Eskalation – Nie wieder // Kopfkino
KLOTZS stammen aus Siegen und haben, im Gegensatz zu PANIKRAUM, schon eine recht lange Geschichte sowie zahlreiche Veröffentlichungen vorzuweisen: Seit 1996 wurden mehrere Singles und EP’s (darunter auch eine Split mit EA80) herausgebracht, die erste LP folgte 2001. Inzwischen sind fünf Langspieler erschienen, der aktuellste „Eine Stadt / Keine Stadt“ im vergangenen Jahr. Begonnen wurde als Trio, seit 2011 sind Ingo an Gitarre und Mikrofon und Sascha am Schlagzeug als Duo unterwegs, um ihre Spielart deutschsprachigen Noise-Rocks oder Noise-Punks (laut Flyer Post-Punk) unter das Volk zu bringen.
Um derlei Musik darbieten zu können, muss wohl auch ein wenig mehr an Technik her: Ein derartiges Arsenal an Effektgeräten am Gitarristenplatz habe ich noch nie gesehen: 20 an der Zahl tummelten sich, eng aneinandergeschmiedet, auf zwei Brettern. „Ich bin doch nur ein sündiger Sklave meiner Effektgeräte!“ rief der Frontmann dann auch während des Auftritts in Richtung Publikum und ein Schelm war, wer bei diesem Ausspruch nicht schmunzeln musste. Überhaupt gab es einige witzige Szenen im Verlauf der Show, etwa wenn Ingo von der Bühne stieg, die Besucherschar teilte wie Moses das Meer und inmitten des Publikums die Gäste direkt ansang. Oder wenn sich die beiden Akteure mal eben zwischen zwei Stücken verständigten, wer denn nun bei der Heimfahrt am Steuer sitzen würde.
Das Set speiste sich vorwiegend aus Tracks des 2017er-Albums, von dem neun der zwölf gespielten Lieder stammten. Lediglich zu Beginn brachte das Duo mit „Fliehkraft“ sowie den Titelsongs der Werke „Hinweis in eigener Sache“ (2015) und „Schwarzer Planet“ (2013) ein wenig älteres Material zu Gehör. Ein schön abwechslungsreicher Gig, mal derbe schrammelig, dann wieder mit beiden Füßen auf dem Bremspedal, das Tempo rausgenommen – um danach umso wilder Gas zu geben. Ich sah KLOTZS zum ersten Mal und es war unmöglich vorherzusagen, was im nächsten Moment passieren würde, sowohl was das Musikalische als auch die Interaktion der Jungs mit dem Publikum angeht. Irgendwie auch großes (Kopf-)Kino. Insgesamt ein toller Konzertabend im Ex mit zwei guten Bands, den passenderen Soundtrack für mich persönlich lieferte PANIKRAUM.
Setlist Klotzs: Fliehkraft – Hinweis – Schwarzer Planet I – Veränderung – Canyon – Mahlstrom – Eine Stadt / Keine Stadt – Deutschpunk 2.0 – Augenzeuge – Kleine Geheimnisse – Heile Welt I – Heile Welt II
Links: https://www.facebook.com/panikraum/, https://panikraum.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Panikraum, http://klotzs-band.blogspot.de/, https://www.facebook.com/klotzs, https://www.last.fm/de/music/Klotzs
Text & Clips: Stefan
Fotos: Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
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