Oetinger Villa, Darmstadt, 28.09.2024
Aktuell ist die Darmstädter Oetinger Villa „the place to be“, wenn es darum geht, junge Bands aus den Bereichen Punk, Hardcore, Crossover und Post-Bums (der Begriff soll stellvertretend für alle anderen Musikrichtungen stehen) live zu erleben. Am gestrigen Abend teilten sich gleich vier illustre Acts aus drei Ländern die Bühne: NIKI LAUDA FIREFIGHTERS, die WEAK TIES, die GOGOPONIES und als Headliner die australischen Crossover-Thrasher PIZZA DEATH, die mit einem besonderen lyrischen Konzept aufwarten, doch dazu später mehr. Da es mal wieder keinen Vorverkauf gab, waren wir pünktlich um 19 Uhr vor Ort, um uns den Eintritt zu sichern. Doch entgegen vieler zuletzt ausverkaufter Konzerte (u. a. HAMMERHEAD und POISON RUIN) hatten sich gegen Sieben gerade mal 20 Leute im Club eingefunden. Bei Konzertbeginn sollten es etwa 60 sein.
Den Auftakt machte die Berliner Combo NIKI LAUDA FIREFIGHTERS – kurz N.L.F.. Sie existiert erst seit einigen Jahren, gastierte aber bereits mehrere Male in unseren Gefilden, unter anderem im Frankfurter
Niki Lauda Firefighters
Dreikönigskeller (mit WÜT) und in der Frankfurter AU (mit SCHEISSE MINNELLI und DEVIL’S HOUR). Letzterer Auftritt kam nicht von ungefähr, denn der Basser Eric ersetzte einige Jahre den Ur-Basser Dash bei SCHEISSE MINNELLI, bis dieser wieder zu der Formation zurückkehrte. Ein ebenfalls bekanntes Gesicht bei N.L.F. ist der Shouter Hänz Hazard, den geneigte Metalheads von den recht bekannten Thrashern REACTORY kennen dürften.
Musikalisch geht die neue Truppe in eine ähnliche Richtung: Die Jungs selbst beschreiben ihren Stil als Hardcore Skate Thrash oder High Octane Hardcore. Crossover-Thrash trifft es wohl ganz gut, die Wurzeln des Quartetts dürften im Metal liegen, dargeboten wird das Ganze mit Punk-Attitüde und einer ordentlichen Hardcore-Kante. Der relativ hohe, keifende Gesang wiederum weckt eher Assoziationen ans Metal-Genre. Kurzum, musikalisch liefern N.L.F. eine explosive Mischung extremer Stile, die sich – seit diesem Jahr – auch in der Optik der Band widerspiegelt. Die Berliner traten in feuerroten Overalls auf, eingeleitet wurde der Gig durch das Schwenken der von Autorennen bekannten Zielflagge.
Die Show machte dem Label „High Octane“ alle Ehre, Sänger Hänz war ständig in Bewegung, peitschte das Publikum an und freute sich, dass N.L.F. als Opener spielten, damit sich die Jungs im Anschluss volllaufen lassen und die anderen Acts in Ruhe genießen konnten. Es war ein rasanter Auftritt, den das Quartett hinlegte und der zugleich den Beginn einer mehrstündigen, feucht-fröhlichen Party markierte. Am Merch-Stand wurde übrigens das Debütalbum als USB-Stick in Feuerlöscherform angeboten (Foto in der Slideshow unten) – eine nette Idee und ein Gimmick, das man nicht alle Tage sieht.
Als zweite Truppe des Abends präsentierten sich die Bielefelder WEAK TIES, die mir bis dato gänzlich unbekannt waren. Eine kurze Recherche im Internet verrät, dass diese bereits seit 2014 aktiv sind und dass 2016 ihre erste EP erschien. Und das ist interessant, denn aufgrund der gebotenen Kombination aus brachialem, schnellen Hardcore und einer Frontfrau hätte ich eher vermutet, dass man auf den seit geraumer Zeit in den USA kursierenden
Weak Ties
Trend aufgesprungen ist, der von Acts wie GEL, BRAT, BUGGIN und SCOWL initiiert wurde. Die jedoch traten erst ab den Jahren 2019/2020 in Erscheinung und somit haben die Bielefelder den späteren Trend bereits vorweggenommen. Ein weiterer Unterschied zu den genannten US-Bands besteht in der Länge der Songs. Liegt die durchschnittliche Dauer einzelner Titel der Amerikaner jeweils bei zwei bis drei Minuten, halten die WEAK TIES ihre Stücke noch kürzer, nur wenige Tracks überschreiten die Marke von einer Minute. Die Songs waren daher rasend schnell, sehr kurzweilig und stets geprägt vom Hardcore-Getrümmer der Backing-Band und den angepissten Schreien von Sängerin Laura, die – wenn sie zwischen den Tracks mal etwas sagte – mit einem zuckersüßen Engelsorgan sprach. Diese Diskrepanz machte ebenso Spaß wie die Divergenz zwischen der glasklaren, sägenden Gitarre und den dreckigen, rauen Vocals. Somit waren die WEAK TIES mit ihrer Mixtur aus Hardcore und Power-Violence für mich die Überraschung des Abends.
Act Nummer drei waren die aus Mailand stammenden GOGOPONIES – eine All-Girl-Band, die wohl bereits mehrfach beim britischen Rebellion Festival zugegen war, die ich mir dort aber aufgrund des dämlichen Namens nie angeschaut hatte. Nun aber gab es für mich kein Entkommen mehr und so beäugte ich ungläubig das, was sich auf der Bühne abspielte.
Da standen vier Frauen in grünen Overalls, die sich mit Kriegsbemalung geschmückt hatten und musikalisch eine Melange aus Hair Metal der Marke MÖTLEY CRÜE, Punk-Rock ähnlich den SVETLANAS und diversen poppigen Ingredienzien lieferten. „Fit Metal“ nennen die Ladies ihren Stil und tatsächlich konnte man aufgrund der ununterbrochenen, sportlichen Aktivitäten von Shouterin Carol auf der Bühne annehmen, dass man hier zu einem Fitness-Programm animiert wurde. „Pizza, Boobs. Destroy!“ lautet das Motto der Italienerinnen, die jeden Auftritt in anderen Kostümen bestreiten.
Gogoponies
Mir war das alles etwas zu aufgesetzt, zu gewollt und zu fehl am Platze. In einem Hardrock- oder Hair-Metal-Package gemeinsam mit STEEL PANTHER wäre das Quartett sicherlich besser aufgehoben gewesen. Vor einem Punk-Publikum wirkten die Bestrebungen, die Anwesenden in der Manier von ZDF-Fernsehgarten-Künstlern zum Mitklatschen zu bewegen, doch etwas arg bemüht. Dennoch lieferte das Set gelegentliche musikalische Highlights, beispielsweise die aktuelle Single „Peperoni Pizza“, in der die Frage aufgeworfen wird, warum eine Pizza mit scharfer Salami in den USA Pepperoni-Pizza und nicht Pizza mit scharfer Salami heißt – Gourmet-Philosophie des Wahnsinns. Zudem musste man konstatieren, dass die Damen nichts unversucht ließen, Party-Stimmung zu verbreiten. Angefangen bei Schildern, die die Zuschauer zum Mitgrölen animieren sollten über Ausflüge ins Publikum, eine Wall of Death und einen inszenierten „Sharknado Circle Pit“ war alles vertreten.
Im Gegensatz zum Gros des Publikums wollte der Funke bei mir nicht überspringen. Zu bieder, zu konventionell und abgedroschen kam das Ganze musikalisch daher und für einen Metal-Act sind die Vocals von Carol als eher ambitioniert zu bezeichnen. In einem Punkt waren die GOGOPONIES aber die Gewinnerinnen des Abends: das Merchandise. Während der Headliner PIZZA DEATH gerade eine lausige CD am Merch-Stand liegen hatte, glänzten die GOGOPONIES mit Vinyl-Scheiben in Pizza-Kartons, Picture-Discs im 10-Inch-Format, verschiedenen Ausgaben eines eigenen Magazins, das unter anderem Bilder der just absolvierten Japan-Tour präsentierte sowie Taschen, T-Shirts, Postern, Feuerzeugen, Aufklebern und vielem mehr.
Es war bereits nach Mitternacht als PIZZA DEATH aus Melbourne das Podest betraten und vor der Bühne deutlich weniger Leute vorfanden als noch bei den ersten drei Acts – vermutlich waren einige der Anwesenden auf Busse oder Bahnen angewiesen. Die Australier haben sich Hardcore/Crossover/Thrash auf die Fahnen geschrieben und passten somit stilistisch gut zu N.L.F., wobei PIZZA DEATH noch etwas extremer agieren und auch mit gelegentlichen Grunts und Growls aufwarten.
Pizza Death
Dass es die Jungs auf eine immerhin 13-tägige Europa-Tour verschlagen hat, bei der neben Deutschland auch Gigs in Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Norwegen auf dem Plan standen, haben PIZZA DEATH vor allem den GOGOPONIES zu verdanken. Wie mir Sänger Pat während eines kurzen Plauschs verriet, waren es die Italienerinnen, die mit ihm in Kontakt traten und ihn dazu aufriefen, mit ihnen durch Europa zu touren und die Pizza-Philosophie zu verkünden. Nachdem er und seine Mitstreiter zwei Jahre sparten, um sich die Flüge leisten zu können, war es schließlich soweit und PIZZA DEATH betraten erstmals europäischen Boden.
Aktuell blicken die Jungs auf ein Album („Slice of Death“) und eine EP („Reign of the Anticrust“) zurück, die lediglich drei Themen behandeln: Pizza, Tod und Tod durch Pizza – wenn das mal nicht ein illustres Konzept ist. Auf der Setlist fanden sich folglich Songs wie „Napalm Cheese“, „Tsunami of Salami“, „Mozzarella Massacre“, „Pizzapocalypse“ und viele andere durchgeknallte Tracks, die – ähnlich wie bei den WEAK TIES – selten die Eine-Minute-Marke überschritten. Die Musiker wuselten dabei wie Tasmanische Teufel über die Bühne, sodass es nicht verwunderte, dass der Gitarrist plötzlich beim Rückwärtslaufen über eine Verstärker-Box flog und auf dieser hilflos wie eine Schildkröte liegenblieb.
Im Laufe des Gigs wurde mit dem Publikum darüber diskutiert, ob Ananas denn nun etwas auf einer Pizza zu suchen hat oder nicht. Zu diesem Zweck teilten sich die Zuschauer in Gegner und Befürworter des Sujets auf und entschieden die Frage mittels einer „Wall of Death“ – großes Kino. Die dabei vom Sänger auf der Bühne zerschmetterte Ananas wurde nachfolgend von den Fans in der ersten Reihe verspeist.
Trotz der späten Stunde wussten PIZZA DEATH mit ihren One-Minute-Songs zu begeistern, nicht zuletzt wegen der vielen witzigen Erläuterungen, die Pat zu den einzelnen Liedern lieferte. Die Australier, das war deutlich sichtbar, hatten großen Spaß auf der Bühne und das verbliebene Publikum zeigte sich nicht minder begeistert. Summa summarum war’s ein kurzweiliger und unterhaltsamer Abend mit vier unterschiedlichen Acts, von denen ich mir den einen oder anderen sicher gern noch einmal anschauen werde. Jetzt aber habe ich erstmal Heißhunger auf eine Pizza…
Links:
https://nikilaudafirefighters.bandcamp.com
https://weakties.bandcamp.com
https://gogoponies.bandcamp.com
https://pizzadeathband666.bandcamp.com
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Text: Marcus
Fotos: Tobias Sibrai
Pizza-Grafiken: Pixabay/OpenClipArtVectors/Diskette96
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