POISON RUÏN

Oetinger Villa, Darmstadt, 16.08.2024

Poison RuïnWenn man sich bereits seit den 1970er Jahren für Musik begeistert, fällt es oft schwer, neuen Bands und Trends etwas abgewinnen zu können – häufig ist es doch so, dass all das, was von jungen Bands geschaffen wird, Erinnerungen an musikalische Strömungen oder gar konkrete Acts aus vergangenen Dekaden weckt. Die Neuinterpretation muss zwar keineswegs schlecht sein, lässt jedoch in der Regel die Klasse und Innovation des Originals vermissen. Hin und wieder jedoch kommt es vor, dass eine Gruppe sich zwar auf lang bestehende Sounds bezieht, diese aber mit anderen Stilen und eigenen Elementen vermischt. Dies trifft auf POISON RUÏN zu, eine Formation aus Philadelphia, die 2020 von Gitarrist und Sänger Mac Kennedy ins Leben gerufen wurde. Das Multitalent schreibt – ähnlich wie Athenar von MIDNIGHT – alle Songs für sein Projekt im Alleingang und spielt diese im Anschluss selbst im Studio ein.

Kennedy zeichnet zudem für Konzept und Cover-Art von POISON RUÏN verantwortlich. Erschienen sind bisher das selbstbetitelte Debütalbum (2021), das zwei zuvor erschienene Cassetten-Veröffentlichungen vereint, der zweite Longplayer „Härvest“ von 2023 sowie – ganz aktuell – die Fünf-Song-EP namens „Confrere“. Mit den bisherigen Outputs sorgten POISON RUÏN weltweit für Begeisterung, sodass es nicht verwundert, dass das ebenfalls in Philadelphia ansässige Kultlabel Relapse (u. a. PIG DESTROYER, RINGWORM, INTEGRITY und EXHUMED) die Band unter seine Fittiche genommen hat.

Poison RuïnEin Teil der Faszination, die von POISON RUÏN ausgeht, ist den Cover-Artworks zuzuschreiben. Diese werden nämlich stets von einem Ritter im Kettenhemd geziert und würden eher vermuten lassen, dass es sich bei den Amerikanern um eine Metal-Band handelt. Kennedy verwendet das Image aber als Metapher auf unterschiedlichen Ebenen. Mal symbolisiert der Ritter den täglichen Kampf der Working Class, mal steht der Streiter für die Verteidigung der Demokratie und des Friedens. Kurzum, POISON RUÏN sind in vielerlei Hinsicht eine interessante Bereicherung des Underground-Genres. Die Spannung war also groß, als die US-Boys im Rahmen ihrer aktuellen Euro-Tour in der Oetinger Villa in Darmstadt Station machten.

Als Opener fungierten die Lokalmatadore LATEX, ein Wave/Post-Punk-Duo bestehend aus Gitarrist und Bassistin/Sängerin, das all das, was POISON RUÏN ausmacht, vermissen ließ. LATEX präsentierten sich musikalisch solide, zitierten aber lediglich große Vorbilder wie THE CURE, BAUHAUS, TUXEDOMOON und Poison RuïnJOY DIVISION, ohne dem Sound eigene Nuancen hinzuzufügen. Der weinerlich-monotone Gesang trug seinen Teil dazu bei, dass ich den Gig von der Theke aus genoss.

Gegen 21 Uhr betraten schließlich POISON RUÏN die Bühne und legten mit „Pinnacle of Ecstasy“, dem Opening-Track des fantastischen „Härvest“-Albums los, mit dem sie das Publikum sofort in ihren Bann zogen. Musikalisch lässt sich der Sound nur schwer einordnen. Das Label der Combo spricht von einer Mischung aus Punk, Post-Punk und Dungeon-Synth. Vergleiche zu Acts wie den WIPERS und HÜSKER DÜ sind sicher nicht von der Hand zu weisen, wobei die Songs zugleich auch durch ihre simple RAMONES-Attitüde bestechen. Diese Mixtur macht POISON RUÏN zu einer frischen, ungewöhnlichen Band, die nicht nur auf ihren Alben, sondern auch live großen Spaß macht.

Poison Ruïn

Auffällig war, dass der Synthie-Anteil, der auf den Alben viel zur Atmosphäre der Songs beiträgt, live kaum vorhanden war. Lediglich einige wenige Tracks wurden durch Keyboard-Intros vom Band eingeleitet, was zum einen atmosphärisch stimmig war und zum anderen dem Publikum in dem ausverkauften Club eine kleine Poison RuïnVerschnaufpause gönnte. Geboten wurden insgesamt 14 Songs, darunter eine Cover-Version des DEAD KENNEDYS-Klassikers „Moon Over Marin“, welche die eigenen Werke perfekt ergänzte. Musikalisch boten sich die Songs mal im Mid- und mal im Up-Tempo-Bereich dar und variierten zwischen finsteren Grabeshymnen wie „Resurrection II“ und Nackenbrechern wie „Torture Chamber“, die die Schar der Besucher in den ersten Reihen in eine tobende Horde verwandelten und sie letztlich völlig erschöpft, aber zufrieden in die Nacht entließen.

Abschließend kann konstatiert werden, dass POISON RUÏN ob ihrer vielfältigen Ausrichtung das Potential haben, zumindest ein etwas größeres Publikum als bisher anzusprechen, wobei der rumpelige Lo-Fi-Sound der bisherigen Veröffentlichungen nicht jedermanns Sache sein dürfte. Man darf gespannt sein, Poison Ruïnwie sich die Band weiterentwickelt. Wer den finsteren Keyboard-Sound mag, dem dürfte auch Kennedys Nebenprojekt SHADOW KNELL gefallen, das nur Dungeon-Synth und Dark-Ambient-Klänge enthält.

Links: https://latex.lnk.to/bio, https://www.instagram.com/latex.band/, https://www.poisonru.in/, https://www.instagram.com/poisonruin/, https://poisonruin.bandcamp.com/album/confrere, https://www.last.fm/music/Poison+Ruin

Text: Marcus / Fotos: Kai

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