Offenbach, Juni 2018 – Interview
PRIMABOY ist zwar seit vielen Jahren eine nicht mehr wegzudenkende Konstante in der Musikszene des Rhein/Main-Gebiets (und darüber hinaus) – aber eine, über die man herzlich wenig weiß. Wer sind die Jungs – namentlich Chris Bible and the Book (links) am Mikrofon, Gerd Böhme (Mitte) am Schlagzeug und Dietrich Skrock (rechts) an der Gitarre – die mit ihren manischen Beats und Shows an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn jeden Laden zum Bersten bringen können? Wir baten PRIMABOY am Rande ihres Auftritts im Offenbacher Waggon ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Im Vergleich zu anderen Bands erfährt man von Euch im Internet relativ wenig. Ist das Absicht? Und was hat Euch dazu bewogen, dieses Interview mit uns zu machen, in dem wir Euch mal ein bisschen grillen?
Gerd: Bisher hat’s keinen interessiert…
Dietrich: Ach, das Internet und wir – wer etwas über uns veröffentlichen mag, fühle sich herzlich dazu eingeladen. Wer uns erleben will, der möge bitte einfach an den jeweiligen Ort kommen und uns genießen – oder es lassen, flüchten, uns lieben oder hassen oder wonach auch immer ihm der Sinn steht. Und Ihr schreibt so schön und seid uns allem Anschein nach sehr gewogen. Einen aus diesen Faktoren resultierenden Beitrag liest man – als minderschwerer Narzisst? – natürlich außerordentlich gerne!
Chris: Bevor es soziale Medien gab, ja da waren wir vertreten. Spätestens seit dem Tod von MySpace sehe ich keinen Sinn mehr darin, das Internet mehr als eine Suchmaschine zu nutzen. Wir sind zwar bei Facebook, aber ehrlich gesagt, ekelt es mich vor jeder Anmeldung. Euch schenken wir ein paar Worte, weil Ihr wisst was ihr macht und schreiben könnt und ich glaube auch nicht bei Facebook seid.
Das stimmt! Versuchen wir nun zu Beginn mal das Mysterium um Euren Bandnamen aufzuklären. Grundig hat ab den Sechziger Jahren Radios hergestellt, die „Prima Boy“ hießen. Hat die Namensfindung etwas damit zu tun oder wolltet Ihr einfach nur darauf hinweisen, dass Ihr verdammt nette Jungs seid?
Gerd: … das ist das Kofferradio, aber wie das zustande kam? Hab ich vergessen, zu lange her!
Chris: Habe ich in den Siebzigern meinem Bruder geklaut und es lag bei meinem ersten Mal mit in der Wanne… Es lief „Pale Blue Eyes“. Weg von pseudo-intellektuellen Namen und ich fand und finde den Underscore sehr geil.
Ich weiß, dass Ihr bereits einige andere Projekte am Start hattet oder immer noch habt. Vielleicht könnt Ihr mal kurz die Highlights Eurer musikalischen Vita für uns abreißen?
Gerd: Der Anfang: Mit Zwölf oder so hat mein Freund, der Pfarrersohn, sich die Schlüssel zur Kirche „geborgt“. Er hat dann auf der Dreimanualigen stundenlang das Intro von „Child in Time“ gespielt, und ich hab ihn mit ‘ner Pauke aus Jungschaar-Beständen begleitet. So musste ich dann im reifen Alter wie zwangsläufig bei den Gospel-Punks von den STRUGGS aufschlagen. Vorher schon mit Dietrich bei den SORGENBRECHERN. Später dann die DEAD CITY DOLLS, die sich nach vier legendären Gigs leider auflösten, danach ähnlich kurzlebige Bands wie APE TONES und TIKKI SPY CLUB. Aktuell noch DUO mit Spielzeugtrashnoiseelektropunk.
Dietrich: Gitarrenchor, Kirchenchor, Tanzmusik („Flamingos“), KAPELLE WEEDSCHUSTER, DIE SORGENBRECHER
Chris: Blockflöte zerhackt… Mit Elf die SEARCHING SPIDERS, SHAMROCK, COMBAT, ÜBERFRIERENDE NÄSSE, DEFIZITNY, ANUS PRESLEY (HOUSE WILLIAMS), AMAZING DISCOVERIES, HEINRICH WAR ALS KIND SCHON EINSAM, CONSEELERS…
In Eurer Bandinfo bezeichnet Ihr Euch als „die drei Blutsbrüder aus der Wetterau“. Habt Ihr Euch dort kennengelernt oder welchen Bezug habt Ihr zu der Gegend nordöstlich von Frankfurt?
Dietrich: Aich soi vo do. Kindheit und Jugend in Wölfersheim, bekannt aus Funk und Fernsehen – „das braune Kaff“ – verbracht.
Gerd: … bin Wetterauer h.c., den Titel habe ich erworben durch jahrelanges Proben in einer Scheune in Bauernheim, im Winter geheizt durch Kanonenofen mit einem 20 Meter langen Ofenrohr mit entsprechend schlechtem Abzug, was für die psychedelische Stimmung gesorgt hat.
Chris: Frühling in Bad Nauheim…
PRIMABOY gab es früher auch mal als Quartett. Was ist aus Eurem ehemaligen Keyboarder Stefan geworden? Es heisst ja, jede Band hat ihre Leichen im Keller…
Dietrich: Der Gute… Es kann nur einen geben! Aber er lebt.
Gerd: … glaube Primaboy war ihm nicht bizarr genug…
Ihr bezeichnet Euren Sound selbst als „Psycho Bump“. Spezifiziert doch mal bitte, was in diesem musikalischen Cocktail alles enthalten ist und wer Euch dazu inspiriert hat.
Gerd: VU, MC 5, LOOP, STOOGES, SUICIDE höre ich noch immer gerne, Platten für die Insel…
Dietrich: Einfach, tanzbar, geradlinig, kompromisslos. Lieder gegen die Langeweile. Keine Vorbilder. Das soll nicht großspurig klingen, sondern genau das ist es. Vorbildlich – oder?
Chris: KAKTUS INTERRUPTUS
Ich habe schon einige Shows von Euch gesehen, die mit den Worten „Wir sind alt und krank“ eingeleitet wurden. Da wird’s wohl Zeit für ein ärztliches Bulletin. Wie alt und krank seid Ihr wirklich?
Dietrich: 55, maßgebliche Störungen habe ich bereits in Deiner ersten Frage angegeben.
Gerd: Wer ist denn heutzutage noch gesund? Und alt bist du ab 30…
Chris: Halt alt und krank… Das aufzuzählen würde Romane füllen.
Während Eurer Auftritte gefällt mir der Thrill, niemals zu wissen, was Du, Chris, als nächstes anstellen wirst. Denkst Du Dir vor dem Gig irgendwelche Skurrilitäten aus oder kommt das alles erst mit dem Bühnen-Adrenalin?
Chris: Da ich jahrelang mit so einem Schauspieler in einer Band war, kann ich Dir sagen, dass ich mir niemals etwas vorher überlege. Das ist mein 2. 3. 4. Ich und die Zuschauer.
Gerd und Dietrich: Ihr bildet das musikalische Fundament des PRIMABOY-Sounds und bewegt Euch während der Gigs normalerweise nicht vom Fleck. Würdet Ihr auch gerne, wenn es denn möglich wäre, wie Euer Frontmann das Publikum teilen wie einst Moses das Meer?
Gerd: Hab als Trommler ja das Privileg sitzen zu dürfen und das kommt meinem Phlegma sehr entgegen.
Dietrich: Nein, es ist, so wie es ist, genau gut. Steht.
PRIMABOY während der Show, 2. Juni 2018
Wenn ich das richtig verstanden habe, wohnt Ihr relativ weit auseinander. Wie bekommt Ihr das mit den Proben hin – oder habt Ihr die gar nicht mehr nötig?
Dietrich: Ach… viel proben, sicher auftreten, wenig proben, weniger sicher spielen. Aber das merkt sowieso niemand. Wir machen, was geht. Zu zweit, zu dritt. Hauptsache egal.
Gerd: Von Ausnahmen abgesehen treffen wir uns in der Woche vor dem Gig…
Ich habe Euch bisher nur in kleinen oder maximal mittelgroßen Clubs auftreten sehen. Würde es Euch reizen, auch mal eine richtig große Bühne zu bespielen, etwa bei einem Festival? Oder fühlt Ihr Euch in dem – im positiven Sinne – „Nischendasein“ ganz wohl?
Gerd: Eigentlich sind kleine Locations unser Ding, am liebsten ohne Bühne. Allerdings, die Stimmung beim Jam Festival letztes Jahr mit Stagediving, schon geil!
Dietrich: Ich mag es, dabei zu sein. Nicht oben auf der großen Bühne. Habe es nicht mit dem albernen Rockstargehabe. Ich finde es am allerbesten, wenn die Leute mitmachen, 1:1, PRIMABOY und Gäste.
Chris: Niemals größer als die alte Batschkapp.
Spielen wir doch mal Wunschkonzert: Mit welcher Combo würdet Ihr gerne einen Abend die Bühne teilen? Und was würde denn da nach den Shows noch backstage abgehen?
Chris: SCREAMING LORD SUTCH und SCREAMING JAY HAWKINS und und und…
Dietrich: KID CONGO. Einzigartig, sympathisch, charismatisch. Dann Pizza und katastrophales Englisch… Rudi Carell wäre auch toll, allein wegen des katastrophalen Holländisch-Deutsch, aber das geht ja nun nicht mehr.
Gerd: THE COSMIC DEAD, anschließend lockerer Austausch über Bartpflege, schottischen Landwein und Nutzpflanzenanbau.
Chris, Du quälst ja im Verlauf der Shows gerne eine Posaune. Nun heißt es ja, wer an einem Instrument anständig improvisieren will, muss das eigentlich vorher mal richtig gelernt haben. Hast Du sowas wie eine Ausbildung an dem Ding?
Gerd: Hattest Du nicht mal ‘ne Stunde bei Emil Mangelsdorff?
Chris: Gerd, Du hast Recht…
Euer Tonträger-Output hält sich bisher in überschaubaren Grenzen. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der gerne eine schöne Platte hätte, die man sich auch zuhause anhören kann. Ist mal geplant, im Studio was einzuspielen?
Gerd: War bis jetzt nie ein Thema, denke bei unseren Auftritten ist die „Atmo“ immer so ein Ding, was man nicht auf Platte kriegt, im Studio schon gar nicht…
Dietrich: Von mir aus nicht. Wir sind live.
Auf Eurer Facebook-Seite beantwortet Ihr die Frage „Gibt’s Euch noch?“ mit den Worten „Uns wird es immer geben!!“. Können wir also davon ausgehen, dass Ihr spielt bis Ihr wirklich alt und krank seid oder sogar die Radieschen von unten beäugt?
Dietrich: Aber hallo!
Gerd: Solange es nur irgend geht…
Chris: Ja sicha!
Kurz vor Schluss nochmal was Nicht-Musikalisches: Gerd, im Vorgespräch hast Du mir erzählt, dass Du ein großer Fan des Autoren Douglas Adams bist. Am 25. Mai war wieder der „Towel Day“, an dem Adams gedacht wird. Wie hast Du den Tag begangen?
Gerd: Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen mit Handtuch, wie sich’s gehört! War wie jedes Jahr wieder mal der Einzige, und da mich sowieso alle für irre halten, hat auch keiner gefragt, wieso…
Nun habt Ihr es gleich geschafft. Jetzt bitte ich Euch nur noch um ein paar „famous last words“ für unsere Leser…
Chris, Dietrich & Gerd: Yippieh!
Vielen Dank für das Gespräch!
Links: https://de-de.facebook.com/primaboy/, https://myspace.com/primaboy, https://www.reverbnation.com/primaboy
Interview & Fotos (aufgenommen am 2.06.2018 im Waggon): Stefan
Alle Bilder vom Auftritt:
Einen Konzertbericht zu PRIMABOY vom Juli 2017 findest Du hier.
Long live the bump revolution!
Yipieeh!