Waggon, Offenbach, 13.07.2017
Viel ist im Netz über die Gruppe PRIMABOY, die auf ihrer Facebook-Seite Frankfurt, bei Reverbnation Neu-Isenburg und in ihren Promo-Texten (die seit Jahren immer wieder wortgleich Verwendung finden) die Wetterau als Herkunft angibt, nicht zu erfahren. Abgesehen von einigen unregelmäßigen Einträgen in der Timeline auf Facebook, ein paar Tracks zum Reinhören (die meisten bei Myspace) sowie den Terminen der anstehenden Shows hält man sich mit Informationen gerne bedeckt. Wahrscheinlich wäre selbst das Kommunizieren der Gigs nicht nötig, denn Auftrittsdaten der Band machen sowieso per Mundpropaganda die Runde, und wer PRIMABOY einmal live gesehen hat, der kommt in der Regel wieder.
Nun war erneut der Offenbacher Waggon an der Reihe, wie schon vor gut zwei Jahren. Ich sah die Combo zuletzt im Juli 2016 beim „Summer Trash Bash“ im Frankfurter Club „Das Bett“. Damals im Rahmen eines kleinen Festivals, gestern durften die Jungs in dem kleinen, wunderbaren Venue am Mainufer einen Headliner-Gig absolvieren. Dies taten PRIMABOY zu dritt mit Chris Bible and the Book am Mikrofon, Dietrich Skrock an der Gitarre und Gerd Böhme am Schlagzeug. Der (ehemalige?) Vierte im Bunde, Stefan Gröninger am Keyboard, fehlte. Ich weiß nicht, ob er ausgestiegen ist, jedenfalls wird er auf der Facebook-Seite nicht mehr aufgelistet, in der „Artist-Bio“ auf Reverbnation dagegen schon. Nichts Genaues weiß man net, auch in diesem Punkt sind Infos schlicht nicht existent. Verbrieft ist hingegen, dass die Musiker auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken, drei von Ihnen u. a. in der in unseren Breiten noch gut in Erinnerung befindlichen Formation KAKTUS INTERRUPTUS.
„Wir sind alt, und wir sind krank“, so lauteten die die gestrige Show einleitenden Worte des Frontmanns Chris. Doch was dann folgte, war das genaue Gegenteil: Ein Auftritt voller Elan, der seinem Semester alle Ehre machte und von dem sich manch Jungspund eine Scheibe abschneiden sollte. Kongenial unterstützt von seinen Mitstreitern gebärdete sich der Sänger wild, ächzte, krächzte, stöhnte, hüpfte, gestikulierte, klammerte sich an bauliche Gegebenheiten der Örtlichkeit, tobte in seinem orange glänzenden (nach kürzester Zeit schweissnassen) Hemd durchs Publikum, ließ sich auf den Boden nieder und machte sogar Ausflüge bis nach draußen auf die den Waggon umrundenden Planken. Hier und da kam zudem eine Posaune zum Einsatz, um dem Ganzen noch einen Extrakick zu geben. Unkonventionell, anarchisch, stets authentisch und keine Sekunde langweilig.
Die Lieder: Fast alle schwerst tanzbar, mit mitreißendem Beat und klangvollen Namen wie „The ThrowAwaySociety“, „Are We Landing Now“, „Mama‘s Cake“ oder „Riding on a Holiday Romance“ ausgestattet. Zu verorten irgendwo in einer undefinierbaren Schnittmenge von freaky Garage Rock, crazy Punk und spooky Wave, die von der Band selbst „Psycho Bump“ betitelt wurde. Der Funke zum Publikum sprang, das überraschte kaum, binnen weniger Minuten über und wäre der Waggon nicht ein tonnenschweres Monstrum aus Eisen und Stahl, er wäre ob der vielen tanzenden Leiber bestimmt hin- und her geschwankt und vielleicht sogar aus den Schienen gesprungen. Die Atmosphäre der überaus gut besuchten Veranstaltung bringt der folgende, ziemlich trashige D.I.Y.-Videoclip vielleicht ganz gut rüber:
Was macht nun die Faszination von PRIMABOY aus? Hege ich im Grunde gegen alle Heißmacher-Texte von Veranstaltern ein gesundes Misstrauen (was liest man da nicht alles: Jede Band eine „Sensation“, jede Show eine „Explosion“ und natürlich alles zusammen „the Next Big Thing“ oder „der heiße Scheiss“ schlechthin), so sind die Zeilen, mit denen Auftritte von PRIMABOY angeteasert werden, anders. Und darüber hinaus so treffend formuliert, dass ich mir gestatte, sie hier fast ungekürzt zu zitieren: „Die drei Blutsbrüder aus der Wetterau machen Ernst. Diese Brüderschaft entspringt einer fremden und seltsamen Welt. Unbeeindruckt von den vorbeiziehenden Trends und Moden, keiner noch so schillernden Verführung erlegen, ziehen sich PRIMABOY immer wieder von allem und jedem zurück, um ungestört am Ausbau des eigenen Universums zu basteln. Zurückgezogenheit als Mittel der Selbstbestimmung und des souveränen Umgangs mit den eigenen Ideen und Inhalten. Seit Jahren funktioniert diese unhippe Bandphilosophie und bringt diese wunderbar eigenbrödleri-schen Songs hervor. Bei unzähligen Live-Auftritten hat die Band zu einer Qualität des Zusammenspiels gefunden, die ihre Auftritte für den Zuschauer zu einer Reise in verborgene Tiefen der Freude und des Entsetzens werden lässt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Scrollt man auf der Facebook-Seite von PRIMABOY unter „Community“ bis ins Jahr 2013, findet sich dort die Frage „Gibts Euch noch?“, beantwortet von der Band mit: „Uns wird es immer geben!“. Darauf hofft die gesamte Fangemeinde dieser ungewöhnlichen Formation. Mich eingeschlossen. Ein großer Konzertabend fand gegen halb Eins im Waggon seinen Abschluss. „Alt und krank?“ Mitnichten. Wenn so alt und krank aussieht, dann bitteschön: Her damit!
Links: https://de-de.facebook.com/primaboy/, https://myspace.com/primaboy, https://www.reverbnation.com/primaboy
Text, Fotos & Clip: Stefan
Alle Bilder: