Tilburg/Frankfurt, 17. April 2021
Hier folgt der zweite Teil unserer Berichterstattung zum Roadburn Redux 2021 über den Festival-Samstag.
Wer, angefixt vom gestrigen Gemetzel von REGARDE LES HOMMES TOMBER, Lust dazu hatte konnte sich zum späten Frühstück vorerst exklusiv einer Filmdokumentation über das französische Black Metal-Festival Feux de Beltane namens „Nous Sommes Les Nouvelles Chimères“ widmen. Live-Musik gab es fast zeitgleich mit einer Schalte ins UT Connewitz nach Leipzig, aus der es eine Premiere zu bestaunen gab: Der „Doom-Folk“-Liedermacher Conny Ochs, der einem größeren Publikum durch zwei 2012 und 2015 mit SAINT VITUS‘ On-Off-Stimme Wino veröffentlichte Alben vertrauter wurde, verbündete sich zu dem Projekt TRIALOGOS mit Tobias Vethake (aka Sicker Man) sowie Karla Wenzel (aka Kiki Bohemia).
Beides Multiinstrumentalist*innen und in der Vergangenheit beschäftigt mit dem Schaffen von Film- oder Theatermusik nebst eigenen Werken zwischen Pop und Avantgarde. Ochs sprengt das Liedermacher-Genre sowieso schon fast mit seinen ästhetisch am Metal orientierten Songs – verbunden mit den Live-Loops seiner neuen Mitstreiter und den abgefahrenen Cello-Sounds offenbarte sich die Premiere des Werkes „Stroh Zu Gold“ als das nächste Highlight des verlängerten Wochenendes. Das gemeinsame Album erscheint am 18. Juni.
Sammler von seltenen Erstauflagen wie Menschen, die das einfach vorher schon hören wollten hatten die Möglichkeit, während der Performance einen Code zu kopieren, mit dem man auf der Seite der Plattenfirma ein zeitlich begrenztes Vorkaufsrecht ausüben konnte. Allerdings nur, wenn man den Dienst PayPal nutzt. Schwamm drüber, das Geld war an diesem Tag auch nicht verkehrt in einen Lieferdienst investiert. TRIALOGOS sollte man im Hinterkopf behalten; ihre Darbietung war faszinierend und machte Lust auf mehr.
Black Metal aus Utrecht (NL) stand als nächstes auf meiner Timeline. WESENWILLE sind eigentlich ein Duo, bestehend aus dem Komponisten und Multiinstrumentalisten R. Schmidt sowie dem Schlagzeuger D. Schermann. Live wurde die Performance aus ihrem selbstbenannten Erstling neben dem frischen Zweitwerk „II – A Material God“ mit einigen Unterstützern aufgeführt, die das Duo zum Quintett anschwellen ließen. Kapitalismuskritik und das Kommentieren gesellschaftlicher Entwicklungen werden in beißende Gitarren-Attacken verpackt, die hier und da ins gemäßigte Gruftietum pendeln und häufig die beliebte Vorsilbe „Post“ zum Black Metal addieren. Eine stramme Darbietung, die trotz des Mehr an Personal ein wenig gleichförmiger klang als die differenziertere und ausdrücklich zu empfehlende Neuerscheinung.
Wir bleiben bei Black Metal-Duos aus den Niederlanden, switchen jedoch nach Eindhoven, um die ersten Stücke von DOODSWENS zu genießen sowie optisch zu erahnen, welche im Rahmen der Svart Sessions eine Kostprobe ihres im Oktober erscheinenden Debüts in fast völliger Dunkelheit gaben. Je mehr evil, desto weniger Licht halt. Was mich als Live-Fotografen an die technischen Grenzen meines beschränkten Equipments bringt war sogar als Screenshot eine Herausforderung. Nix von Post-BM im Gegensatz zu den Landsmännern vorher, sondern rohe und fiese Finsternis alter Schule. Ein Demo sowie eine Split gibt es bereits auf Bandcamp (hier) von Sängerin/Saitenbearbeiterin Fraukje van Burg nebst Drummerin Inge van der Zon, die mit RIOT PILL auch Punkrock spielt. Die Ladies zelebrierten eine Rawness vom Allerderbsten und lassen den Herbst geifernd erwarten; kurz aber Knaller war das.
Zum jetzigen Zeitpunkt hatte ich bereits mehr vom Festival nicht gesehen als mitverfolgt. Private Verpflichtungen zwangen mich zur Pause, die mich fast SOLAR TEMPLE verpassen ließen, das nächste niederländische Black Metal-Duo, welches live aus dem 013 übertragen wurde und die ich mir erst weit später zu Gemüte führte. Zweimal sogar, um genau zu sein. Was O (aka Omar Iskandr, der ebenso bei ISKANDR, TURIA oder DOOL auf die Saiten haut) sowie M (aka Mink Koops, u. a. noch bei FLUISTERAARS, GALG oder KNOEST zugange) da abrissen spottet jeder Beschreibung. Ich versuchs trotzdem: Das war der erste Auftritt ever von SOLAR TEMPLE, die Jungs spielten in dieser Form bisher nur in Proberaum und Studio miteinander.
Bisher von den beiden Erschaffenes findet man hier – flirrender Black Metal mit stark psychedelischer Schlagseite, erlesenes Zeug. Exklusiv (vorerst, hoffentlich) fürs Roadburn 2021 kreierten die beiden „The Great Star Above Provides“; ein orgiastisches, zweigeteiltes Machwerk, bei dem M häufig simultan für die Beats wie für Gitarrenwände sorgte während der zunehmend entrückt agierende O mit seiner Klampfenmalträtierung höhere Bewusstseinsebenen zugänglich machte, bis auch er vor vernichtenden Feedback-Loops auf die Drums eindrosch. Was für ein Trip. Ein Highlight des Festivals? Ja, aber es sind bereits so viele.
Gab es denn überhaupt nichts Mieses an diesem Wochenende? Wohl eher nicht, alles war letztlich aber auch nicht meine Tasse Tee. Die von vielen im Internet abgefeierten SPILL GOLD gingen so gar nicht an mich, die Brachialyoungster von KNOLL ließen mich ebenso gleichgültig zurück. Das liegt jedoch eher daran, dass die hier vertretenen Genres weniger meinem Gusto entsprachen und nicht an der fehlenden Klasse dieser Formationen. Audiosequenzen wie zum Beispiel der SULA BASSANA-Impro-Track auf Soundcloud waren dagegen auch bildlos ein Genuss und untermalten die wenige glotzfreie Zeit an diesem Tag; neue Videos wie der Einspieler von Jonathan Hultén entzückten nachhaltig und luden zum wiederholten Re-Watch ein.
Sula Bassana auf Soundcloud
Doch manch großer Erwartung wurde in der Tat weniger entsprochen, zumindest bei erster Begutachtung. Anna von Hauswolff beispielsweise gehört zu den Künstlerinnen, deren Werk ich überaus schätze und die trotz etlicher Touren unter ihrem Namen oder als Teil der SWANS immer im echten Leben an mir vorbei rauschte. Die Organistin wie Songwriterin supportete in fernerer Vergangenheit diverse Musikanten wie Lykke Li oder M. Ward, entwickelt sich in den letzten Jahren jedoch immer beeindruckender in Richtung einer orgelnden Goth-Queen, einer Barbara Dennerlein der Finsternis, die zunehmend sogar mit der Queen of Horror-Music, Diamanda Galás, mithalten kann.
BADA ist ein von ihr initiiertes Projekt mit einigen Menschen ihrer Begleitband, das vor einem Jahr in Tilburg hätte präsentiert werden sollen. 2021 begnügte man sich mit einem Dachstuhl irgendwo (wahrscheinlich) in Schweden. Eine Standkamera mit gleichbleibendem Bildausschnitt ließ das atmosphärisch dichte Werk vorüberziehen. Nur die kaum vorhandene Beleuchtung changierte etwas. Fünf Menschen spielten, einer fläzte sich im Vordergrund rum. Was genau da passierte konnte man nicht sagen, was eine sympathische Uneitelkeit verriet, die sonst gelungene akustische Aufnahme jedoch optisch eher semi präsentierte. Nach 35 Minuten dronigem Rauschen kurz vor Schluss wurde das Tempo schließlich angezogen und eine Psych-Gitarre brach sich zu mehr Rhythmus Bahn. Eigentlich hätte der Bandcamp-Link hier völlig ausgereicht.
Meckern auf hohem Niveau nennt man das, schlecht war hier immer noch nichts. Auch nicht die Tilburger AUTARKH, die bereits am Freitag ihr Debüt „Form In Motion“ ablieferten und an diesem Samstag als AUTARKH III in Trio-Besetzung ihre schon im Grundzustand elektronisch verfeinerten Extrem-Metal-Klänge dronelastiger sowie soundtüfteliger präsentierten. Der Longplayer überzeugte mich nach einmaligem Hören bisher nicht, weswegen der Freitag-Auftritt von mir ignoriert wurde – die reduzierte wie umgemodelte Fassung von Samstag, die erst zum Ende hin mit genretypischem Gekeife verziert wurde, war jedoch äußerst interessant.
DIE WILDE JAGD tauchte ebenso einen Tag nach ihrer ersten Performance ein zweites Mal auf, diesmal mit der bereits für 2020 eingeplanten Aufführung von „Haut“ – ein merkwürdiges Stück Musik, welches sich auf eine krautrockige Tradition zu beziehen scheint, die mir zumindest relativ unbekannt ist. Neben der nach wie vor beeindruckenden musikalischen Umsetzung zwischen dröhnenden Basslauten, Techno-Blubber sowie elektronisch generierten Field-Recordings werden Texte rezitiert wie „Ich wars, sagt die Wolke; Ich wars, sagt der Wind; Ich wars, sagt der Räuber; Ich wars, sagt der Prinz“ („Empfang“) oder „Oh! Sankt Damin! In Nähen fand ich ihn. An seinen Lippen hing der Dinge Lauf“ („Sankt Damin“).
Sind das Hermann Hesse-Zitate, Märchenvertonungen oder wundersames Retro-Bestreben? Die Musik ist dabei das Gegenteil von Retro, soweit ich das beurteilen kann. Letztlich klang das durchaus faszinierend und sah auch einmal mehr beeindruckend aus im 013. Wenn die Klangschale jedoch touchiert wird, fernöstliche Saitenklänge sich mit analogen Synthiesounds treffen und der „Aal im großen Wagen und der Bär im siebten Haus“ („Himmelfahrten“) erscheint, weicht die Entzückung bisweilen irritiertem Kopfkratzen. Ist „Simsalabim“ („Sankt Damin“) große Kunst oder das neue „Hurz!“ (hier)? Wenn ich das nur wüsste.
WOLVENNEST, ein Projekt aus Belgien mit sechs bis sieben konstanten Mitgliedern, spielte bereits in der Vergangenheit auf dem Roadburn Festival und veröffentlichte unlängst seinen zweiten Longplayer „Temple“, der am Sonntag komplett aufgeführt werden sollte. Einen Tag vorher versammelte das Kollektiv unter dem verkürzten Namen THE NEST diverse musikalische Hochkaräter um sich, um die Auftragsarbeit „Her True Nature“ aufzuführen. Wessen? Solange das Teil nicht in einer nachvollziehbaren Edition für zu Hause zu erwerben ist, ist das schwer zu beantworten.
Der Auftritt ist inzwischen nicht mehr streambar, im Gegensatz zu einigen anderen ist auch auf YouTube nichts zu finden. Okkulte Rituale, Geheimwissen oder esoterischer Kappes mag es am Ende sein, wer weiß das schon so genau. Zum Kern der WOLVENNESTschen Besetzung komme ich in Teil 3 über den Festival-Sonntag, konzentrieren wir uns hier auf die prominenten Gäste: Da teilten sich die Stimme von DOOL (Ryanne van Dorst), PRIMORDIAL bzw. DREAD SOVEREIGN (Alan Averill) sowie THE RUINS OF BEVERAST (Alexander von Meilenwald) das Mikro zusätzlich zu den WOLVENNEST-Organen; Gitarrenhexer Bones von DREAD SOVEREIGN unterstützte die mit drei Gitarren sowieso schon recht spektakuläre Saitenarmee der Belgier.
Vor allem Averill hängte sich mal wieder voll rein und gab die oberste Rampensau. Er sowie van Dorst bildeten häufig mit ihren Händen ein Dreieck über der Stirn, sowas wie die umgekehrte Merkel-Raute, nur gen Himmel gewandt. Das Ajna Chakra, aka das dritte Auge? Das allsehende Auge Gottes? Also ist Gott am Ende, wie schon häufiger vermutet, doch weiblich? Fragen über Fragen, auf deren Beantwortung Interessierte noch ein wenig warten müssen.
Der besondere Soundmix von WOLVENNEST, bestehend aus psychedelischen Ausschweifungen, doom-metallischer Schwere und Dunkelheit verströmender Raserei, fand hier eine Weiterführung mit extrem ins Gefüge passenden Gastbeiträgen von Künstler*innen, welche im Falle von Averill, Bones und von Meilenwald 2021 bereits mit eigenen Veröffentlichungen potentielles Futter für die Jahresbestenlisten schufen. Sehr beeindruckend war das, und durchaus mit komischen Momenten: So zum Beispiel der Beginn des „Rituals“, als der unter anderem von LA MUERTE bekannte Michel Kirby die Bühne standesgemäß einnebelte und dabei zahllose nach dem Vorglühen zerquetschte Dosen des Roadburn-Sponsoren Bavaria Bräu sichtbar wurden.
Exklusives wie bisher Ungehörtes schloss sich an mit HAUNTED PLASMA, einer Premiere von Svart Records. Hier ist wieder fettes Namedropping angesagt: Da wäre zum einen Timo Kaukolampi, Komponist vor allem von Soundtracks sowie Teil der Elektro-Rockband K-X-P an Gitarre und Elektronik. Drummer Tomi Leppänen engagiert sich ebenso bei K-X-P. Juho Vanhanen addiert Gitarrensounds, man mag ihn auch als Teil der GRAVE PLEASURES oder ORANSSI PAZUZU. Vokale Unterstützung dazu gabs von Ringa Manner (u. a. RUUSUT, eine finnische Elektro-Popband) sowie Mat McNerney, der alles mögliche macht: Folk mit HEXVESSEL, Retrowave mit CARPENTER BRUT, Post-Punk mit GRAVE PLEASURES, Black Metal mit THE DEATHTRIP neben etlichem mehr.
Von HAUNTED PLASMA gibt es noch eine Weile gar nichts zu hören außerhalb dieser Festivaltage – kein Bandcamp, kein YouTube, nix. Sehr schade. Stellt Euch einen Mix der genannten Referenzen vor, kosmische Musik aka Krautrock noch dazu; abgefahrene, düstere Soundscapes illustrieren einen immer panischer werdenden Wald-und-Wiesen-Horror-Streifen. Kein Metal, aber krasse Gitarren mitunter. In den sozialen Medien schlugen die Finnen ein wie die sprichwörtliche Bombe, bis zur Vertiefung der Eindrücke müssen wir jedoch warten, genau wie bei THE NEST.
Zum Runterkommen empfahl sich eine Nachsichtung des knapp halbstündigen Videos der US-Amerikaner von WAYFARER, welches vorher parallel zum Live-Auftritt von THE NEST gezeigt wurde. Die Black Metaller aus Denver haben den ortstypischen Americana-Sound à la WOVEN HAND verinnerlicht und geben musikalische Geschichtsstunden im höchst eigenen Soundgewand. Black Metal mit Cowboyhut und Dampflok, das ist mal was Anderes. Spirituell wie spacig wurde es zu später Stunde noch genug, aber das gehörte streng genommen zum veranstaltungsärmeren Sonntag, mit dem wir uns im abschließenden dritten Teil befassen. Stay tuned.
Da wir bei einem Online-Konzert logischerweise nicht selbst fotografieren können, verwenden wir für diesen Post Footage aus den Live-Streams der Veranstaltung. Wir veröffentlichen das Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung des Roadburn Festivals. Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden.
Link: https://roadburn.com/, https://www.roadburnredux.com/
Text: Micha