Waldstadion, Merkers, 14./15.06.2019
Wenn zum Schluss die Bullen kommen, dann ist das nicht selten ein Indiz dafür, dass die Party für die, die dabei sind, richtig gut war. Laut und wild ging es auch beim diesjährigen Rock am Berg Festival im thüringischen Merkers zu. Doch es war nicht die Polizei, die der 14. Auflage des kleinen und feinen D.I.Y.-Festivals etwa zwei Autostunden von der Frankfurter City entfernt ein Ende bereitete. Sondern DIE BULLEN, die Band aus dem hohen Norden, die als letzter Act über die Hauptbühne des Waldstadions tobte. Vorausgegangen waren dem drei Tage Live-Musik, die die ganze Bandbreite von Punk, Hardcore, Crossover, Ska, Indie-Pop und Hip Hop wiederspiegelte. Dazu gab es Info-, Merchandise- und Plattenstände sowie ein Veranstaltungsprogramm, das auch zahlreiche Vorträge, Filme und Diskussionsrunden einschloss.
Rock am Berg beschränkt sich eben nicht nur auf das reine Musikvergnügen, sondern bezieht auf allen Ebenen Stellung gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Sexismus und Homophobie. Eigentlich traurig, dass das, was für den gesunden Menschenverstand eine Selbstverständlichkeit sein sollte, immer wieder thematisiert werden muss. In Zeiten von AfD-Zuwächsen, Rechtsruck und rechtsextremistischen Mordanschlägen ist es
Festival-Besucher 2019
wichtiger denn je, klare Kante zu zeigen – insbesondere auch in Thüringen, wo Neonazis regelmäßig Rechtsrock-Konzerte organisieren und sich ausbreiten wie das Unkraut auf der Wiese. In einem solchen Umfeld alljährlich ein Festival von der Größe und Güte eines Rock am Berg (RAB) zu stemmen, dafür gebührt allen Beteiligten Respekt und Anerkennung.
Mein dritter Einsatz als Berichterstatter über das RAB für Rockstage Riot begann wegen zahlreicher Terminüberschneidungen leider erst am zweiten Tag. Die erste Band zum Einstieg in das Festival-Geschehen am Freitag war dann auch gleich ein echtes Brett: EMPOWERMENT, die Hardcore-Crew aus der Kesselstadt Stuttgart, sorgte mit ihrem metallischen Stop and Go-Hardcore
Empowerment
amerikanischer Ostküsten-Prägung schon mal für die ersten Mosh-Pits vor der Bühne. Die Formation konnte sich auf eine textsichere Fanbase verlassen, die die Lyrics aller aktuellen Hits wie „Noch immer für immer“ und von „Mensch zu Mensch“ mitgrölten.
Crowdsurfer im Bademantel bei Radio Havanna
Richtig angesagt sind inzwischen auch RADIO HAVANNA, die oft in einem Atemzug mit den DONOTS und BROILERS genannt werden und sozusagen als Früh-Headliner mit ihrem durchaus massenkompatiblen, melodischen Punkrock für mächtig Bewegung auf und vor der Bühne sorgten.
Radio Havanna
Kann man sich bei solchen Gelegenheiten gut anschauen und anhören, garantieren gute Festivalstimmung mit Bengalo und Konfettiregen. Seit ihrem Auftritt beim RAB vor drei Jahren haben sie noch eine Schippe draufgelegt.
Das musikalische Kontrastprogramm dazu lieferten dann die Rapper PÖBEL MC & MILLI DANCE mit ihrem DJ: fette Beats, Samples und Sprachgesang. Hip Hop, der schon mal gut groovend ins Bein ging.
Pöbel MC & Milli Dance
Hier hat die dicke Hose auch mal coole und intelligente Lyrics, kein Macho-Gelaber, keine Pseudo-Gangster-Attitüde. Von diesem Trio zur FRITTENBUDE war es ein gleitender Übergang: Die Beats im Tempo nach oben geschraubt und von einer kompletten Kapelle dargeboten, ergibt das den tanzbaren Elektropunk, den FRITTENBUDE zusammen mit ihrer Hamburger Schwesterband EGOTRONIC quasi kultiviert hat. Wo EGOTRONIC, die in den Vorjahren
Frittenbude
bereits beim RAB gefeiert wurden, von den Texten her mit einer Dampframme zu Werke gehen, sind die Fritten meist weniger brachial. Tracks wie „Die Dunkelheit darf niemals siegen“ luden zum Tanzen und Mitgrooven ein und treffen in der Analyse der Gegenwart den Nagel auf den Kopf. Erinnerte mich gelegentlich an die SLEAFORD MODS.
Schön, wenn man sich auf eine Band freut, die dann nicht nur lieferte, sondern die Erwartungen noch toppte: ADAM ANGST überzeugten auf ganzer Linie und sorgten für den Abriss des Abends. Der Fünfer aus Köln ging um einiges härter als auf ihren Platten zu Werke, hatte einen super Sound und ließ die musikalische Sozialisation der einzelnen Bandmitglieder an etlichen Stellen durchschimmern. Namedropping gefällig? FRAU POTZ, WATERDOWN, FJØRT, SCHRAPPMESSER – soll heißen, die Herren verstehen ihr Handwerk. Da paarten sich fette, schneidende Gitarrenriffs, treibender Beat und intelligente Texte mit Spielfreude und einem gewissen Entertainment-Faktor, der nötig ist, um die Menge vor der Bühne vollends in Bewegung
Adam Angst
zu versetzen. Frontmann Felix Schönfuss kann nicht nur singen, sondern gehört sicher auch zu den schillerndsten Figuren des Genres. So wechselten sich alte („Wunderbar“, „Ja, ja ich weiß“, „Professoren“) und neue Hits („Punk“, „D.I.N.N.“) der beiden Alben ab. Cool war auch der Übergang von „Alexa“ zu „Man spricht Deutsch“, den die Sprachsteuerung alleine und in ihrer typischen Manier regelte. ADAM ANGST machten eindrucksvoll deutlich, wer an dem Abend Chef im Ring war. Zugabe war Ehrensache und nach den „Splittern von Granaten“ gab’s noch ein Cover der BEATSTEAKS/ TURBOSTAAT-Co-Produktion „Frieda und die Bomben“. Das hat gesessen. CAPTAIN PLANET hatten danach einen schweren Stand den Abschluss des Konzerttages einzuläuten, doch die Band aus Hamburg machte das, was sie am besten kann, nämlich melodiösen Punkrock der neuen deutschen Prägung rauszuhauen.
Lichtspiele in der Abenddämmerung
Der Festival-Samstag begann für mich mit VAN HOLZEN, einem von der Fachjournaille als spannendster deutscher Act seit langer Zeit hochgelobten Trio. Bei so etwas bin ich immer skeptisch. Aus diesem Grund ging die Band bislang stets an mir vorbei, doch ihr Auftritt am Spätnachmittag war dann schon ein Pflichttermin. Und die Jungs lieferten: Brachiale, noisige Parts
Van Holzen
wechselten mit melodiöseren Sounds ab, sperrige Songstrukturen trafen auf eine Virtuosität, bei der man sich als langjähriger Konzertgänger fragte, in welchem Alter die Jungspunde wohl angefangen haben müssen, um ihre Instrumente so zu malträtieren, respektive so unerwartete Melodiebögen rauszuhauen. Sicher eine positive Überraschung des Festivals.
Dass es eigentlich nicht mehr als drei Leute benötigt, um eine coole Band zu sein, bewiesen
Lygo
auch LYGO im Anschluss. Das Trio aus Bonn steht für energiegeladenen Emopunk der neuen Schule á la PASCOW, LYVTEN und DÜSENJÄGER. Auch diese Sparte ist seit Jahren fester Bestandteil des RAB. Guter Auftritt, der relativ unspektakulär über die große Bühne ging und sich in einem kleinen Club sicher noch besser entfalten kann.
Dass FEINE SAHNE FISCHFILET, die selber vor zwei Jahren Headliner des RAB waren,
What We Feel
inzwischen auch in Moskau abgefeiert werden, das zeigten WHAT WE FEEL, die zum Ende ihres fulminanten Auftritts „Komplett im Arsch“ coverten – natürlich stilecht russisch mit Akkordeon. Der Song begann ruhig akustisch, bis dann das Hardcore-Gewitter losbretterte: Fette Gitarren, treibendes Schlagzeug, die Russen spielten den Hit um einiges härter als das Original. Nicht nur bei diesem Stück herrschte Mosh-Zeit, mit mächtig Bewegung vor und auf der Bühne. Vom ersten Ton an stand das Quintett unter Volldampf: 40 Minuten Hardcore-Power vom Feinsten.
Moscow Death Brigade
Ebenfalls Vollgas, ebenfalls ordentlich Pogo auf dem Platz und ebenfalls straight outta Moskau: Die Balaclava-Gang von MOSCOW DEATH BRIGADE setzte genau da an, wo WHAT WE FEEL aufgehört hatten – mit dem Unterschied, dass nun die Backtracks vom Band kamen und die Lyrics gerappt wurden. Wenn FRITTENBUDE Elektropunk sind, dann sind MDB mindestens Elektro-Hardcore, der zur Primetime am Samstagabend abgefeiert wurde: Zwei Rapper und ein DJ mit Sturmhauben in trashigen Jogginganzügen und jede Menge Bewegung im Pit. Staub wirbelte auf und Bengalos vernebelten zeitweilig die Sicht. Natürlich durfte das Bandmaskottchen, ein Krokodil, nicht fehlen: Bei dem Hit „Crocodile Style“ enterte ein Crew-Mitglied im Krokodil-Kostüm die Bühne und wirbelte über die Bretter.
Nach den Gästen aus der Ferne war es an den Lokalmatadoren FUCKIN‘ FACES, die ausgelassene
Fuckin‘ Faces
Festival-Stimmung am Köcheln zu halten. Deutschpunk der alten Schule, der an diesem Abend zum letzten Mal live präsentiert werden sollte. Viele Weggefährten aus den vergangenen Jahrzehnten waren deshalb gekommen, um der Combo bei ihrem allerletzten Gig einen gebührenden Abschied zu bereiten. Dem Hitfeuerwerk aus fast drei Jahrzehnten Bandgeschichte inklusive einem Cover von „Teenage Kicks“ folgte ein kleines Leuchtraketenfest am Himmel.
Butterwegge
Während dann auf der großen Bühne alles für den Headliner SONDASCHULE vorbereitet wurde, sorgte BUTTERWEGGE & BAND im Politbühnen-Zelt für Partylaune. Carsten Butterwegge, ein echtes Ruhrpott-Original, tatöwiert bis an die Halskrause und mit großem Mundwerk ausgestattet, ist so etwas wie der Frank Goosen des Punk: authentische, pfiffig-lustige Texte, dazu flotter Punkrock mit einer Prise Powerpop. Das machte Spaß und war großes Unterhaltungskino im kleinen Zelt.
Ebenfalls aus dem Pott, aber mittlerweile ein großes Ding sind SONDASCHULE aus Mühlheim/Ruhr mit ihrem Sound aus Punk, Pop und Ska geworden: Platzierungen in den Charts und die ganz großen Festivals wie Rock am Ring und Open Flair.
Sondaschule
Zum Glück aber haben die sechs Herren bei allen Erfolgen die Bodenhaftung nicht verloren und servierten ihren Fans beim Rock am Berg fast 90 Minuten Hit auf Hit, von „Amsterdam“, „Für immer nie nüchtern“ bis „Rip-Audio“ und „Waffenschein bei Aldi“. Das ging ins Ohr und ins Bein: Das Publikum tanzte ausgelassen und Crowdsurfer drehten ihre Runden über den Köpfen der Menge, die die Refrains mitsang. Zugaben, Feuerwerk und dann kamen bekanntlich: DIE BULLEN. Großartig, diese Konzeptband: Polizei-Uniformen, Blaulicht und
Die Bullen
Songs, die sich auf subtilere Weise als der bekannte SLIME-Gassenhauer mit der Thematik auseinandersetzen: „If the Cops are United“. Welch ein Festival-Abschluss. Das RAB 2019 war wieder ein echtes Fest, das schon jetzt Laune auf das 15-jährige Jubiläum im nächsten Jahr macht. Wir dürfen gespannt sein, was sich das sympathische Orga-Team dafür einfallen lässt.
Alle Bilder:
Links: http://www.rockamberg-merkers.de/, https://www.facebook.com/rockamberg
Text & Fotos: Todde Sindel, https://www.flickr.com/photos/12633166
Clips: beim Festival aufgenommen von Cpt. Kieck
Videoclips: