Rödelheim, Frankfurt, 21.05.2016
Hier nun der zweite Teil unserer Berichterstattung zur Rödelheimer Musiknacht 2016. Solltest Du den Beginn verpasst haben, klicke hier.
Der Nachmittag und Beginn des Abends ist erfolgreich gewuppt, die Füße qualmen. Aber noch stehen einige Bands auf meiner Liste, die es zu sehen gilt. Also auf zum Solmspark, vor dessen Kiosk (bei uns in Frankfurt auch Wasserhäuschen genannt) sich die BLUE BLISTERING BARNACLES angesagt haben. Die Rockcombo K.O.D. entgeht mir aufgrund der getauschten Auftrittszeit leider, aber das ist nicht zu ändern. Als ich am Eingang des Parks ankomme, spielen die Barnacles schon, um sie herum hat sich eine große Menschentraube gebildet.
Dargeboten wird Irish Folk, verwendet werden nur akustische Instrumente. Mit Bandleader Peter (Gitarre), Martin (Gitarre und Trommel), Gurvan (diverse Flöten) und Diana (Akkordeon) sind heute vier der fünf Mitglieder angetreten, lediglich Geiger Ingo fehlt. Ich stelle fest, dass sowohl die Musik als auch die Performance des Quartetts beim Publikum ausgezeichnet ankommen. Die Blue Blistering Barnacles gibt es, in wechselnder Besetzung, schon seit 23 (!) Jahren, und diesen Erfahrungsschatz merkt man ihnen in jeder Sekunde an. Erwachsene Zuhörer zucken mit den Gliedmaßen, Kinder hüpfen wild herum. Kein Wunder, gilt doch der Folk von der grünen Insel als die Gute-Laune-Musik schlechthin. Die Atmosphäre im Park bei bestem Wetter tut ein Übriges für prima Stimmung in der langsam hereinbrechenden Abenddämmerung.
Mir gefällt besonders, dass hier die übliche “Musiker-auf-der-Bühne-Publikum-davor”-Trennung aufgehoben ist. Die Künstler stehen in der Mitte, wenden sich tanzend und ihre Instrumente spielend mal in diese Richtung, mal in jene, und irgendwie hat das Ganze sowieso etwas von einem Veitstanz um ein Lagerfeuer (das es aber natürlich heute im Park nicht gibt). Zwischendurch wird auch mal ein Song a cappella zum Besten gegeben und die Kehle mit einem Schluck aus dem Flachmann befeuchtet. Echt irisch, eben… Und ich bin froh, ein bisschen flüssigen Proviant im Rucksack zu haben, denn wer schonmal die Rödelheimer Musiknacht besucht hat, der weiß, dass Kioskschlangen seeehr lang sein können.
Bliebe noch die Frage zu klären, was es mit dem extravaganten Bandnamen auf sich hat. Rein wörtlich übersetzt, könnte es sich um “blaue, Blasen bildende Rankenfusskrebse” handeln, was nicht sehr wahrscheinlich klingt. Ich tendiere eher zu der Theorie, nach der sich der Name vom Ausspruch “Billions of blue blistering barnacles!” der Comicfigur des Captain Haddock aus der “Tim und Struppi”–Reihe ableitet. Der wurde auf Deutsch mit “Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“ widergegeben, was der Sache schon wesentlich näher kommt. Solltet Ihr die Combo mal live erleben – und ein Besuch ist hiermit ausdrücklich empfohlen – fragt einfach mal nach…
Ich setze jetzt zum Endspurt an: Ein letztes Mal quer durch den Stadtteil. Das Ziel ist die Künstlerkommune Fritz deutschlanD e.V., in dessen Keller der letzte Auftritt des Abends auf mich wartet: Johnny Torpedo’s Rockin’ Shanty Show.
Der Mann mit der Quetschkommode ist in der Region wahrlich kein Unbekannter, wir haben in diesem Blog ja auch schon mehr als einmal über ihn berichtet. Also: Pünktlich da sein und den Weg in den kleinen Raum die Treppe herunter nicht zu spät antreten. Denn der wird sicher proppenvoll und wer das Oberdeck nicht rechtzeitig verlässt und wegen Überfüllung nicht mehr unten reinkommt, den straft Meeresgott Neptun.
Ich habe Johnny Torpedo im Lauf der vergangenen Jahre schon in allen möglichen Besetzungen gesehen, mal allein, mal im Duo, mal mit dem stimmgewaltigen Fiskecore, mal ohne, mal als Trio mit Gitarre und Kontrabaß. Das heutige Line-Up ist allerdings neu: Neben den bewährten Kräften Mr. “Skip” Jack Tuna an den sechs und Stiggy Hoo-La an den vier Saiten ist diesmal auch der Trompeter Garry Zaro an Bord. Und der passt für meine Begriffe ausgezeichnet sowohl zur Musik als auch zur Show.
Fortan schmettern Johnny und seine Crew ein knappes Dutzend ihrer Seemannslieder, beginnend mit “You Gimme the Creeps” über die beliebten “Cast the Anchor” und “Shipwreck Blues” bis hin zum “Rockin’ Sailor” und der “Shark Attack”. Die Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Keller nimmt gefühlt mit jeder Minute zu und schließlich meine ich, mich im Bauch eines Bananendampfers nach Übersee zu befinden, wo die Kapelle für Zerstreuung während einer langen Überfahrt sorgt. Oder liegt die Vorstellung daran, dass die obligatorische Rumflasche schon bald nach Beginn des Auftritts geöffnet wird und in den ersten Reihen der Gäste herumwandert? Nein, denn ich ließ die Buddel vorbeiziehen. Alles echt – eine schön schwitzige Atmosphäre bei schummrig-rotem Licht. Absolut passendes und kaum zu toppendes Ambiente. Als Zugabe gibts dann für das begeisterte Publikum mit “Blitzkrieg Bop” noch ein feines RAMONES-Cover.
Und wie schon häufiger nach einer Rockin’ Shanty Show werde ich auch diesmal von einem mir unbekannten Besucher angesprochen (warum fragen die eigentlich immer mich?), wo man denn Tonträger des eben Gehörten erstehen könne. Ich muss dies mal wieder verneinen, es gibt schlichtweg keine, und ernte einen verwunderten Blick. Also, die Aufnahmen zu einem Album stehen einfach an. Um es mal mit Chuck Berry zu sagen: Go, Johnny, go!
Mit dem letzten Hall der Zugabe endet auch meine lange Rödelheimer Musiknacht 2016, zumindest was die Live-Musik betrifft. Manch eine/r zieht nun noch weiter in die nahegelegene Au, wo zu später Stunde ein Solikonzert für ein anderes Projekt stattfindet oder lässt sich auf einer Aftershow-Party in der Raumstation von DJs beschallen. Ich kann nur alle ermutigen, sich die Veranstaltung, die im kommenden Jahr hoffentlich zum siebten Mal stattfinden wird, selbst vor Ort anzuschauen, sich dabei entweder vorher seine persönlichen Rosinen aus dem Programm herauszupicken oder sich einfach ein bisschen treiben zu lassen. Für (fast) jeden Musikgeschmack ist etwas dabei und die Auftrittsorte haben nicht selten ein besonderes Flair. Danke an alle Künstler, Organisatoren und Sponsoren, die das jedes Jahr aus Neue möglich machen. Wir sehen uns wieder 2017.
Links: http://www.barnacles.de/, https://www.facebook.com/The-Blue-Blistering-Barnacles/, https://myspace.com/barnacles, http://www.johnny-torpedo.com/, https://www.facebook.com/JohnnyTorpedoShow/, https://myspace.com/johnnytorpedo1
Text, Fotos & Clips: Stefan
Alle Bilder: