A Blast From The Past! – Roskilde-Festival 1988-1995

Frankfurt, März 2022

Roskilde-Festival 1995Das Musikfestival im dänischen Roskilde gehört zu den größten weltweit. Sicher habt Ihr schon davon gehört oder seid vielleicht selbst schon dort gewesen. Ich hatte das Vergnügen, zwischen 1988 und 1995 mit dänischen und deutschen Freunden insgesamt sieben Mal dabei zu sein. Unzählige Bands sind in dieser Zeit dort aufgetreten, doch es soll in dieser zweiten Folge unserer neuen Reihe „A Blast From The Past!“ weder um die Künstler*innen noch um deren Musik gehen. Vielmehr möchte ich versuchen, mit Hilfe von zwanzig fotografischen Impressionen und ein paar Kommentaren ein bisschen von der Atmosphäre rüberzubringen, die seit 1971, als das Event zum ersten Mal stattfand, sämtliche Besucher*innen für sich einnimmt. Und das Beste ist: Wer sich angesprochen fühlt und das auch mal erleben möchte – einfach hinfahren, denn das Festival gibt es ja noch!

Alle Fotos lassen sich wie immer per Mausklick vergrößern.

Allerdings haben sich die Dimensionen in den vergangenen Jahrzehnten etwas verändert: 1988 lief das Festival mit etwa 60.000 Gästen über drei Tage auf vier Bühnen, der Eintrittspreis betrug umgerechnet 45 Euro. Im Jahr 2019 lag die Besucherzahl bei 130.000, es gibt inzwischen sieben Bühnen, auf denen bis zu acht Tage musiziert wird und man muss für ein Ticket rund 300 Euro berappen.

Roskilde-Festival 1995

Die Zigarette zwischen den Gitarrensaiten eingeklemmt – so lässig wie das ganze Festival selbst präsentierte sich das Willkommensplakat des Jahres 1995. Einer der Hauptsponsoren – Gesundheits- und Präventionsbeauftragte raufen sich die Haare – war damals der Kippenproduzent Prince Denmark.

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Ein Blick auf das Vorfeld der „Orange Stage“, die zwischen zwei gigantischen Boxentürmen hinten sichtbar wird. Weiter vorn stehen Lautsprechermasten zur Beschallung von denjenigen, die bei einem Fassungsvermögen von 60.000 (!) Menschen nicht ganz vor die Bühne können (oder lieber gechillt hinten stehen).

Roskilde-Festival 1995

Die Bühne mit dem ikonischen orangefarbenen Überbau wurde im Jahr 1978 von den Veranstaltern gekauft und ist seitdem das Markenzeichen des Festivals. Zuvor wurde sie von den Rolling Stones auf deren Europatournee genutzt. Hier spielen in der Regel die ganz großen Stars, Headliner und Publikumsmagneten.

Roskilde-Festival 1995

Zuschauer*innen pilgern zur Hauptbühne. Deutsche Gäste stellten in den Neunzigern mit rund 15.000 Musikfans (etwa 20 Prozent aller Besucher) die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe nach den einheimischen Dänen. Später ging der Anteil der Deutschen, wohl aufgrund der Preisentwicklung, zugunsten von Schweden und Norwegern zurück.

Roskilde-Festival 1995

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Aussicht von einer Fußgängerbrücke auf einen – kleinen – Teil der Zeltstadt in der Nähe des Konzertgeländes. Das gesamte Areal mit den damals 20.000 bis 30.000 Zelten kann nur aus der Luft fotografiert werden. Bei jedem Festival konnte man an den Merchständen aus dem Helikopter gemachte Bilder kaufen – schaut mal im Netz, die Dimensionen sind gigantisch.

Roskilde-Festival 1995

Um diese Konstruktion wurden wir beneidet: Meine festivalerfahrene dänische Peer Group brachte 1988 ein paar Holzlatten mit, schraubte diese auf eine Länge von rund sechs Metern aneinander, montierte zwei Baustellenlichter Roskilde-Festival 1988obendrauf und buddelte das gesamte Gebilde in einem zuvor im Wiesenboden ausgehobenen Fundament ein. Bereits zur Dämmerung begannen die beiden Lampen durch die eingebauten Fotozellen zu blinken, sodass man den Standort unserer Zelte schon aus mehreren hundert Meter Entfernung innerhalb von tausenden anderen ausmachen konnte. Das brachte uns viel Lob von den umliegenden Nachbarn ein, denn sie profitierten ebenso davon, dass sie nun nachts im „angeheiterten“ Zustand ihre Behausung ohne Komplikationen wiederfinden konnten. Zum Glück machte dieses (zugegebenerweise mit etwas Aufwand verbundene) Beispiel nicht Schule – sonst hätte man sein Zelt vor lauter blinkenden Lichtern doch wieder nicht gefunden…

Roskilde-Festival 1995

Von vielen Besucher*innen auf dem Zeltplatz herbeigesehnt: Der „Poop Truck“ genannte Reinigungswagen für die Dixi-Klos mit dem Mann am Saugschlauch, der die Fäkalien aus den Vorratsbehältern in den Wagen pumpte. Manch eine/r versuchte seinen Verdauungszyklus so einzurichten, dass sie/er immer in den Genuss frisch abgesaugter WCs kam. Sonst konnte das, gerade bei Hitze, ganz schön stinken. Aber so ist das eben bei großen Musikfestivals.

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Das Roskilde-Festival war immer auch ein Ort, an dem sich Künstler*innen austoben und ihre Kreationen aufstellen konnten – wie zum Beispiel 1988 dieses auf mit alten Fernsehern befüllten Säulen stehende, fahnenbewehrte Monster. Auf Infotafeln oder in den Programmheften wurden die Werke und Intentionen von deren Schöpfer*innen vorgestellt.

Roskilde-Festival 1988

Im Hintergrund ist ein Tuborg-Truck zu sehen, der frische Getränke für die durstige Konzertmeute anlieferte. Anfang der Neunziger Jahre wechselten die Veranstalter Biermarke und Sponsor von Tuborg zu Carlsberg. Das Bild unten zeigt einen zur Nachmittagszeit noch übersichtlichen Andrang an einem der Stände von Carlsberg.

Roskilde-Festival 1995

Uns war der Wechsel des Bierproduzenten egal: Schmeckt ja beides. Da die Helfer*innen an den Ständen des Roskilde-Festivals traditionell ehrenamtlich arbeiten und alle Überschüsse gemeinnützigen Organisationen zugute kommen, hieß es bei uns immer: „Saufen für den guten Zweck!“

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Diese aus drei jungen Männern bestehende Gruppe hatte sich dem Anschein nach schon vor Erreichen des Festivalgeländes überdosiert und genehmigte sich rund um ihre Bierkiste ein Mittagsschläfchen am Rande des Weges. Beim von der Sonne verwöhnten Festival 1995 dürfte dies einen veritablen Sonnenbrand

Roskilde-Festival 1995

zur Folge gehabt haben. Und Nein: Das Foto ist nicht gestellt und ich kenne keine der abgebildeten Personen. Was auch auf die beiden oberkörperfreien Besucher auf dem folgenden Schnappschuss zutrifft, die 1993 ihren Rausch ausschliefen. Szenen wie diese gehörten zum Festivalbild, die Nachwirkungen Roskilde-Festival 1993exzessiven Alkohol-Konsums liefen aber zumeist glimpflich ab, da (meiner Erinnerung nach) an den Ständen keine Getränke ausgeschenkt wurden, mit denen man sich sogleich abschießen kann (auf dem Zeltplatz konnte man sich diese aber natürlich dennoch zuführen). Ende der Achtziger Jahre durfte man übrigens noch eigenes, mitgebrachtes Bier auf das Konzertgelände mitnehmen, ab etwa 1990 war dies verboten.

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Dass man mit dem Wetter auch Pech haben konnte, haben wir mehr als ein Mal erlebt. Skandinavien ist eben nicht die Karibik. Besonders nass war es im Jahr 1991. Über mehrere Tage anhaltende starke Regenfälle sorgten dafür, dass sich die ansonsten grüne Wiese in einen riesigen Schlammteppich verwandelte.

Roskilde-Festival 1991

Wer nicht mit tauglichen Stiefeln ausgerüstet war, musste sein Schuhwerk anschließend wegwerfen. Mit dem Regen rückte allerdings auch die Festival-Gemeinde zusammen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich einmal mein Zelt nach absolviertem Konzert-Marathon mitten in der Nacht mehrere Roskilde-Festival 1991Zentimeter unter Wasser stehend vorfand, erhielt ich sogleich das Angebot von wildfremden Besuchern, in deren – trocken gebliebenem – Zelt die Nacht zu verbringen. Das war zwar eng, aber in Anbetracht der Umstände durchaus kommod. Retter in der Not. Zum Trocknen der durchnässten Sachen mussten die wenigen Sonnenstrahlen der Folgetage genutzt werden, was nicht immer funktionierte, sodass man auch mal in klamme Klamotten schlüpfen musste.

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Im „Supersex-Telt“ neben den Verkaufsständen auf dem Konzertgelände wurden die überwiegend jungen Besucher*innen 1995 über Themen wie HIV und Verhütung informiert. Die gezeichnete Marilyn Monroe oben rechts fragt ihren neuen Lover: „Er du sikker?“ (Bist Du sicher?).

Roskilde-Festival 1995

Wer sich genügend informiert fühlte, konnte sich ein paar Schritte weiter neben einer riesigen Präservativ-Skulptur an einer Kletterwand versuchen. Überhaupt wurde Entertainment auch abseits von Live-Musik beim Roskilde-Festival Roskilde-Festival 1995großgeschrieben: Zahlreiche Performances, Lesungen, Kabarett-, Kleinkunst- und Theatervorführungen luden zum Verweilen ein. Es gab einmal einen Mittelalter-Markt und natürlich jede Menge Stände mit coolem Chic und leckerem Essen, wie bei jedem größeren Festival. Und ab 1993 hielt sogar das Kino in einem 400 (!) Sitzplätze bietenden Zelt Einzug: Gezeigt wurden diverse Filmklassiker wie zum Beispiel „Bladerunner“ und „Clockwork Orange“. Ich habe Kino zwar bei einem Musikfestival nie gebraucht, aber für manche Besucher*innen war vielleicht die Abwechslung Trumpf. Fest steht nur: Langweilig wurde es auf dem riesigen Gelände nie, es gab immer etwas zu entdecken.

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Zurück zur Musik: Showtime 1991 im grünen Zelt (Green Stage), das im Jahr 2000 durch die „Arena“ ersetzt wurde. Diese fasst nun 17.000 (!) Zuschauer im Zeltinneren und auch damals wird die Kapazität kaum geringer gewesen sein. Die Innenfläche hatte die Maße eines Fußballfeldes. Ich habe nie ein größeres Zelt gesehen. Angeblich ließen sich Bands sogar vertraglich zusichern, wegen der besonderen Atmosphäre auf dieser Bühne auftreten zu dürfen.

Roskilde-Festival 1991

Nicht ganz so groß, dafür aber umso futuristischer mutet die Konstruktion des blauen Zelts (Blue Stage) an. Dort wurde vornehmlich Folkmusik präsentiert, ab 1988 auch zunehmend Weltmusik. Des Weiteren bot sie Formationen des 1981 in England gegründeten Programms WOMAD (World of Music Arts and Dance) einen Auftrittsort.

Roskilde-Festival 1995

In der am äußersten nordwestlichen Rand des Geländes gelegenen Spielstätte ging es meist etwas ruhiger zu als an der orangenen Bühne oder im grünen Zelt, auch war es dort selten überlaufen. Aber Achtung: Wer anschließend eine Show im grünen Zelt am südöstlichen Ende sehen wollte, sollte eine gute halbe Stunde Zeit einplanen, um dahin zu gelangen und sich einen Platz zu sichern.

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Noch einmal zurück zur Hauptbühne, der „Orange Stage“. Wer seine Freunde im Gedränge finden wollte, orientierte sich am besten an einer gut sichtbaren, mitgebrachten Fahne. In größeren Gruppen wurde diese abwechselnd gehalten und ermöglichte allen Nicht-Fahnenträgern, sich mit Fast-Food (zum Beispiel leckeren Hot Dogs) zu verpflegen und Getränke zu holen oder wegzubringen.

Roskilde-Festival 1995

Wer keine eigene Fahne zur Hand hatte, konnte auch nach fremden Fahnen in der Nähe seiner Clique Ausschau halten. Blöd nur, wenn diese dann unvermutet den Standort wechselten. Handys gab es damals nicht. Daher war es stets eine spannende Herausforderung, im Dunkeln und in nicht mehr ganz nüchternem Zustand seine Gruppe wiederzufinden.

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Roskilde-Festival 1995

Dies sind die letzten Fotos, die ich auf einem Roskilde-Festival geschossen habe: Besucher gehen 1995 nach Konzertschluss in der Abenddämmerung an den riesigen Lautsprechermasten und an rot leuchtenden Scheinwerfern vorbei, die die Ziffer „95“ formen.

Roskilde-Festival 1995Zwischen den Zahlen befindet sich das Logo der seinerzeit in Dänemark populären einheimischen Rockband „D*A*D“ (die sich nach einem Streit mit der amerikanischen Walt Disney Group nicht mehr „Disneyland After Dark“ nennen durfte). Diese spielte – soweit ich mich erinnern kann – seit Ende der Achtziger Jahre bei jedem Festival.

Ob ich noch einmal wiederkehre? Es ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, denn eine – inzwischen achttägige – Nonstop-Beschallung (2022 findet das Mega-Event vom 25. Juni bis zum 2. Juli statt) mutet man sich als Mittfünfziger normalerweise nicht mehr zu. Aber meine durchweg schönen Erinnerungen an die Zeit auf sieben Festivals möchte ich nicht missen.

Text & Fotos (18): Stefan
Fotos (2): Kai

Links: https://www.roskilde-festival.dk/en/, https://www.facebook.com/events/roskilde-festival-2022/, https://de.wikipedia.org/wiki/Roskilde-Festival , https://hoemepage.com/roskilde, https://www.br.de/puls/musik/aktuell/roskilde-festival-100.html

Die erwähnten Begebenheiten basieren auf meinem Erinnerungsvermögen; die Zahlen und Fakten auf den damals aktuellen Programmheften. Wenn Du über Deine eigenen Erlebnisse beim Roskilde-Festival berichten möchtest, nutze die Kommentarfunktion gleich hier drunter!

2 Comments

Filed under 2022, Allgemein

2 Responses to A Blast From The Past! – Roskilde-Festival 1988-1995

  1. Caren

    Sehr schön! Hab schon gesucht, ob ich irgendwo zufällig auf den Bildern bin, ich war selbst von 91-95 dort. Das Matschjahr war echt schlimm, ich hatte nur Lederklamotten mit und steckte mit Plastiktüten (ohne Socken) in den Stiefeln. Ich habe danach noch nie so viel Müll, eingedrückte zurückgelassene Zelte und verlorene Klamotten im Schlamm stecken sehen. Aber wir haben durchgehalten. —- Zur Klosituation sollte man vielleicht noch lobend erwähnen, dass Roskilde eines der wenigen Festivals war, die auch einige festinstallierte Spülklos hatte (das waren die Bretterbuden, das Festival-Gelände wurde ja nicht anderweitig genutzt, daher waren die fest an die Versorgung angeschlossen). Man musste zwar wissen, wo die stehen, aber das war eine echte Erholung 😉 Nach 95 wurde auch mir das ganze ebenfalls einfach zu groß & zu lang. Rein flächentechnisch musste man mittlerweile täglich viele Kilometer abreißen, um zu den Bühnen zu kommen, das ist alles sehr weitläufig geworden… Versuchen würd ichs trotzdem gern nochmal, wenn ich einen richtigen Camper hätte 😉 Rock on!

    • Stefan

      Hallo Caren,
      danke für Deinen Kommentar !
      Hut ab, dass Du nach dem Schlammjahr ’91 noch ein paar Mal wieder hingefahren bist. Vielen hätte das als Ersterfahrung wahrscheinlich gereicht 😉
      Die Spülklos habe ich nie gesehen – und ich hätte mich fraglos daran erinnert, wenn es der Fall gewesen wäre. Echt Luxus 🙂
      Viele Grüße
      Stefan