Colos-Saal, Aschaffenburg, 30.10.2018
Eigentlich ist Ross Friedman (rechts), Baujahr 1954, so etwas wie eine Rock ’n‘ Roll-Legende. Für einige Wissende. Da sich die Meisten jedoch nicht dazu zählen dürften, hier erstmal ein paar Sätze über die Vita des Gitarristen aus der New Yorker Bronx: Friedman ist Mitbegründer der legendären New Yorker Ur-Punker THE DICTATORS (unseren Bericht über deren Köln-Konzert 2014 gibt es hier). Mit denen spielte er bis 1981 drei Alben ein – nach der Reunion 1996 noch einige weitere. Später schloss er sich der französischen Band SHAKIN‘ STREET um das Model Fabienne Shine an, die unter anderem auch in Filmen wie zum Beispiel Roger Vadims Kultstreifen “Barbarella” von 1968 zu sehen ist.
Als SHAKIN‘ STREET während der “Heaven And Hell”-Tour von BLACK SABBATH eröffneten, machte deren Sangesgott Ronnie James Dio Friedman mit Joey DeMaio bekannt, einem Bassisten, mit dem Friedman gut harmonierte und mit dem er später diese Metal-Band gründen sollte, die, milde gesagt, anno 2018 einen mehr als zwiespältigen Ruf inne hat – die in den Achtzigern jedoch zu dem heißesten Scheiß zählte, den der zeitgenössische Metal zu bieten hatte. Vor METALLICA und SLAYER. Die Rede ist natürlich von MANOWAR.
Wer diese in Ledertangas und Fell auftretenden Gestalten nur von deren Besuchen der Stefan Raab-Show kennt, kann dieses wandelnde Klischee-Quartett höchstens als SPINAL TAP-mäßige Genre-Verarsche auffassen. Wer sich im Metal nicht auskennt und merkt, dass Bandboss DeMaio seinen “Death To False Metal”-Quark ernst meint; er seinen Sexismus, seine kulturelle Rückständigkeit sowie seine ausgeprägte Egozentrik nicht ein Jota ironisierend auslebt – nun ja, wenn diese Person Heavy Metal als Kunstform nicht anerkennt, dann ist das nachvollziehbar. Doch auch allen Insidern, die MANOWAR längst zu den Akten gelegt haben und ihr Geld lieber weniger beknackten Gestalten in den Hals werfen, ist eines klar: Die MANOWAR-Alben mit Friedman von 1982 bis 1988 sind “Der heilige Gral” (Deaf Forever). Auch heute noch nicht nur sehr gut hörbar, sondern essentiell und eigen.
Bei MANOWAR flog Friedman 1988 raus, eine Bitterkeit darüber ist in aktuellen Interviews mit ihm immer noch spürbar. MANOWAR selber, die immer noch regelmäßig große Arenen für noch größeres Geld füllen, spielen in der Regel gar nichts mehr von ihren Klassikern und berauben sich so freiwillig ihrer größten Hitdichte. Selbst schuld. Will man Klassiker wie “Battle Hymn” oder “Blood of my Enemies” hören, muss man sich für schmales Geld eine ROSS THE BOSS-Clubshow reinziehen. Dass sich das allemal lohnt, machte der gestrige Abend im Aschaffenburger Colos-Saal klar, trotz überschaubaren Andrangs. Sogar, wenn man auch die alten MANOWAR-Alben doof finden sollte. Alleine die beiden Begleitbands rechtfertigten die Anreise.
Vorhang auf für zwei Schwedenhappen, die zu den aufregendsten Traditionsverwaltern im zeitgenössischen Metal gehören: PORTRAIT aus Kristianstad und BULLET aus Växjö. Die den Reigen eröffnenden PORTRAIT gibt es seit 2005, Gitarrist Christian Lindell sowie Schlagzeuger Anders Persson sind Gründungsmitglieder. Sänger Per Lengstedt zelebriert die Messe seit 2008. PORTRAITs an MERCYFUL FATE/KING DIAMOND gemahnener Sound wäre ohne diesen Vokalisten schwer denkbar – bewältigt er KING DIAMONDsche Gedächtnis-Screams doch aus dem ff. Musikalisch fußen PORTRAIT mit nunmehr drei (exzellenten!) Alben auf dem Vermächtnis erwähnter Formationen – schaffen jedoch das Kunststück, gleichermaßen frisch und modern zu klingen sowie auch andere, dunkle Metal-Einflüsse zuzulassen. Doom- oder Black Metal-Freunde dürften ebenso ihren Spaß an diesem Quintett haben, welches von dem erst seit Kurzem dazu zählenden Gitarristen Robin Holmberg sowie dem Bassisten Fredrik Petersson komplettiert wird.
Eine knappe Dreiviertelstunde verwöhnte die Formation das willige, wenn auch nicht besonders zahlreich erschienene Publikum (Schätzungen variierten zwischen 100 und 150 Anwesenden). Das war jedoch wohl auf der ganzen Tour so – im Colos-Saal schloss man die Lücken obligatorisch mit Bistro-Tischen im Raum. Dieses Mal schien mir jedoch ziemlich viel solches Mobiliar am Start. Egal, optisch wirkte das Auditorium stärker als im kleinen Frankfurter Nachtleben, in dem PORTRAIT mit RAM früher in diesem Jahr aufschlugen. Beste Stimmung auf sowie vor der Bühne. Konnte das getoppt werden?
Es konnte. Wenn ich mich geißeln würde als Konsequenz einer zu langen Ignoranz gegenüber eines fantastischen Live-Acts, den ich theoretisch schon oft hätte erleben können, dann wären BULLET der perfekte Anlass dafür. Auch bei dieser Formation gibt es omnipräsente Einflüsse: AC/DC sowie ACCEPT werden als solche meist genannt, dementsprechend changiert der Sound der Combo auch zwischen feinstem Edelstahl und dreckigstem Stampfrock. Nochmal muss das Zitat von Joel o’Keffe (AIRBOURNE) hier aufgewärmt werden, dass es heute nur noch „drei großartige Bands gibt: BULLET, THUNDERMOTHER und AIRBOURNE“. Die Referenz war mir also bekannt. Trotzdem war das meine erste Begegnung mit dem agilen Fünfer, bei dem mich Frontmann Dag Hell Hofer am meisten beeindruckte. Teils mit seinem stoischen Blick, vor allem jedoch mit seinem fräsenden Sangesorgan.
Das aktuelle Album “Dust To Gold”, bereits das sechste, knallt vorzüglich und speiste auch die Setlist zum großen Teil – das erste Triple auf dem Podest war identisch mit dem des Drehers. Titel wie “Turn It Up Loud” oder “Highway Pirates” sprechen eine deutliche Sprache, laut Gitarrist und Gründungsmitglied Hampus Klang sollen “die Leute zu unseren Songs Partys feiern und sie auch nach dem siebten Bier noch mitgrölen können” (Rocks). Mission erfolgreich bestanden, kann man da nur attestieren. Fast eine Stunde lang wurde exzessiv mit diesem Headliner der Herzen gefeiert. Nächstes Mal ist Pflicht, sogar wenn BULLET dann wieder mit so einem Unsinn wie SABATON unterwegs sein sollten.
Selbst wenn das Interesse von einigen nach BULLET nachließ – die Kür des Abends fehlte noch. Zum Glück für alle noch vorhandenen Gäste hat Friedman ein anderes Arbeitsethos als sein Kollege Eric Wagner von THE SKULL – letztere packen die Oldies der Vorgängerband TROUBLE erst in der Zugabe aus und bemühen sich mit ihrem aktuelleren Songmaterial um Akzeptanz und Hingabe. Ross Friedman tut das nicht. Von den drei als ROSS THE BOSS veröffentlichten Alben schafften es ganze drei Stücke in die Setlist, alle vom aktuellen “By Blood Storm”. Der Rest: Zwölfmal der “heilige Gral”.
Zu vorgerückter Stunde und betankt mit Aschaffenburger Schlappeseppel ist das natürlich alles komplett großartig, auch wenn Marc Lopes am Mikrofon Eric Adams von MANOWAR noch nicht mal ansatzweise das Wasser reichen kann. Aber, mal ehrlich: Wer kann das schon? Friedman selber hatte ordentlich Bock, die alten Schwarten zu zocken, die es von Adams ja nicht mehr zu hören gibt. Eine Coverband? Nicht mit einem Originalmitglied, meiner Definition nach. Unter dem Strich war das eine famose Veranstaltung, bei der die beiden Opener auf Platte mit ihrem Werk jedoch weitaus mehr Eindruck machen.
Links: http://www.portraitmetal.com/, https://www.facebook.com/portraitsweden/, https://portraitsweden.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Portrait, http://www.bulletrock.com/, https://www.facebook.com/bulletband/, https://www.last.fm/music/Bullet, http://www.ross-the-boss.com/, https://www.facebook.com/rossthebossofficial, https://www.last.fm/music/Ross+the+Boss
Text, Fotos & Clips: Micha
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