Dreikönigskeller, Frankfurt, 17.05.2019
Das Frankfurter Punkrock-Quartett RUMBLE DELUXE um Sängerin Jule (links) hat seine erste EP namens „Munch Guerilla“ veröffentlicht – das musste natürlich gefeiert werden. So geschehen gestern im mit Freunden, Fans und Szenegesichtern gut besuchten Dreikönigskeller. Als „sexy Support“ (Flyertext) für die Platten-Release-Sause konnten die JOSEPH BOYS aus Düsseldorf gewonnen werden, was nicht von ungefähr kommt, denn Teile beider Bands kennen sich schon seit 20 Jahren. Wir beginnen unsere Berichterstattung mit der Combo aus dem Rheinland, die sich nach eigener Aussage 2014 „aus Margarine zu einem menschgewordenen Agglomerat aus Wut, Erneuerung und Kunst“ (!) formte. Und wer möchte, kann sich die folgenden Zeilen gleich mit deren neuestem Machwerk akustisch unterlegen:
Die JOSEPH BOYS tauchten erstmals im Dezember 2016 im Vorfeld ihres Auftritts mit HANNS MARTIN SLAYER in der Frankfurter Au auf meinem Schirm auf. Diesen Gig verpasste ich leider, im September des vergangenen Jahres klappte es dann aber an gleicher Stelle, mir ein Bild von der Live-Performance der Formation zu machen, als sie als Anheizer für die britischen Oi-Punks HARD SKIN gebucht waren. Und was ich da zu sehen und zu hören bekam, konnte mich auf Anhieb (und viel mehr als der damalige Headliner) mitreißen: Treibende Schlagzeugbeats und fette Gitarrenriffs kombiniert mit originellen, im Sprechgesang vorgetragenen deutschen Texten fernab der im Genre gängigen tumben Phrasen. In diesem Kontext überrascht es nicht wirklich, dass das Quintett auch schon für die Legende FEHLFARBEN in der Heimatstadt beider Bands eröffnen durfte, was ja schon fast einem Ritterschlag gleichkommt.
Spätestens bei der Kombination des Namens JOSEPH BOYS mit der Stadt Düsseldorf sollte es bei den meisten klingeln: Gab es da nicht mal einen Künstler, dessen Werke so schräg waren, dass man sie zwar nicht unbedingt mögen, aber doch in Erinnerung behalten musste? Genau – Joseph Beuys hieß der Mann, der viele Jahres seines Lebens in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens wohnte und wirkte. Eine der bekanntesten von ihm realisierten Skurrilitäten war die „Fettecke“ (die vier Jahre nach ihrer Entstehung vom Hausmeister der Kunstakademie entfernt wurde – Skandal!). Das Thema Fett beschäftigte nicht nur den 1986 verstorbenen Künstler, sondern auch die umtriebigen Jungs, die nun als JOSEPH BOYS die Clubs rocken: Ihre erste, 2015 veröffentlichte EP trug den Titel „Fett“, das schwarze Vinyl zierte gelbe, verlaufene Farbe (Fett hätte da schlecht funktioniert). Für das Cover der darauf folgenden EP „S—Ǝ“ (2016) stand das aus zwei Dosen bestehende Beuys-Kunstwerk „Telephon S–Ǝ“ von 1974 Pate (vergleicht mal die Bilder des Covers hier und der Installation hier). Just im vergangenen Monat erschien nun der erste Langspieler namens „Rochus“, genau wie die vorherigen Releases auf dem Label… Na? Exakt: Fette Ziegenbutter Feingeistlabel. Auf sowas muss man auch erstmal kommen. Optische und textliche Anspielungen auf das Beuys‘sche Schaffen gibt es bei den JOSEPH BOYS viele. Zu viele, um sie hier alle aufzuzählen. Wem es aber Spaß macht, in den Mikrokosmos der Düsseldorfer einzutauchen, wird schnell fündig werden.
Nun zum gestrigen Abend: Pünktlich um 22 Uhr betraten die fünf ganz in Weiß gewandeten Musiker die Bühne – Weiß nicht etwa, weil (wie von Sänger Andi Artelt scherzhaft behauptet) die Bandmitglieder alle Ärzte wären, sondern weil sich auf der Kleidung das via Beamer eingespielte Filmmaterial in Form von Schriftzeichen und Bildern abzeichnete (auch hier ein künstlerischer Ansatz). Dies hätte wohl auch an der Wand hinter dem Podest der Fall sein sollen (wie seinerzeit in der Au), allerdings wurden die Projektionen vom schwarzen Backdrop von RUMBLE DELUXE nahezu geschluckt. Da als Bühnenbeleuchtung lediglich ein kleiner, auf dem Boden stehender und schräg nach oben gerichteter Scheinwerfer diente, musste für unsere Fotos der Blitz herhalten, der seinerseits die Projektionen auf den Klamotten unkenntlich macht. Also schaut Euch die Combo am besten selbst mal an um das Zusammenwirken von Sound, Text und Optik zu beurteilen.
Der Gig startete mit einer der stärksten Nummern des neuen Albums, „Freizeitstätte Garath“, mit neun stammten die meisten der gestern gespielten 14 Songs vom aktuellen Dreher. Die meisten („Geisterbahn Königsallee“, „Waschen Schneiden Legen“, „Allegleich“) hervorragend tanzbar, auch wenn das Publikum im DKK einen Moment brauchte um zu begreifen, welcher wie auch immer geartete Wahnsinn sich da vor ihnen darbot. Außerdem im Set: Vier Tracks von der zweiten EP, hervorzuheben hier „Laramie“ (das von einem angeheiterten Fan mit rheinischem Akzent immer wieder gefordert wurde, auch als es längst gespielt worden war) sowie „Punxsutawney“ und das, worum es immer geht: „Kommunikation“. Mit „Zecke“ rutschte auch noch ein Song vom Debüt ins Programm. Ist das Punk? Oder eher Art Rock? Kunst gar? Die Band selbst nennt es Art-HC-Punk. Aber egal, was für ein Hybrid es auch sein mag – mir gefällt das, was Frontmann Andi gemeinsam mit Robin Loewen (Gitarre), Andi Simon (Gitarre), Frank Pessel (Bass) und Michael Gillmeister (Schlagzeug) während ihrer Shows abreißen, außerordentlich gut: Eine spannende Band, ein bisschen verrückt und unberechenbar, so wie es sein muss. Einige Zeilen des JOSEPH BOYS-Songs „Vernunft“ bringen es auf den Punkt: „Die Vernunft und ich, wir haben uns getrennt. Wir beide passen nicht zusammen. Leck mich, Du Scheiß-Vernunft!“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Und damit gebe ich weiter an meinen Kollegen Marcus für seine Eindrücke von RUMBLE DELUXE.
Nach dem Art-Punk der JOSEPH BOYS folgte nun der Candy-Punk der Lokalmatadore RUMBLE DELUXE, die gestern nicht nur ihr (beinahe) zehnjähriges Bestehen in der aktuellen Besetzung, sondern auch den Release ihrer ersten (haptischen) EP „Munch Guerilla“ feierten. Zur Untermalung der Review empfehlen wir, den virtuellen Plattenspieler anzuwerfen, sich einen Strawberry Daiquiri zu mixen und das neue Werk jetzt zu genießen:
Tatsächlich ist bereits 2012 eine EP namens „Eleven:tight“ erschienen, die allerdings bisher nur in digitaler Form auf der Bandcamp-Website von RUMBLE DELUXE zu erstehen ist. Doch was ist eigentlichen Candy-Punk? Als geneigter Fan des Genres mag man bereits über die Präfixe Street-, Deutsch-, Anarcho- und Scum- gestolpert sein, doch Candy-Punk? Aufklärung liefert in diesem Falle das Reinhören in den Sound des Quartetts: Geboten wird klassischer, melodischer Punkrock, der vom zuckersüßen Organ von Frontfrau Jule veredelt wird und somit eine Art musikalisches Magnum-Eis mit harter Schale und leckerer Kirschfüllung darstellt. Fürs nötige Eyecandy sorgt dabei neben Jule (stilsicher gekleidet mit einem Shirt ihrer Lieblings-Combo BLOW OUT) Gitarren-Prinzessin Düsi. Als musikalische Vergleiche kommen amerikanische Westcoast-Acts wie die VKTMS, die INSAINTS oder die New Yorker X-POSSIBLES in den Sinn. Partytauglich ist das Œuvre der Frankfurter somit allemal und dank der soliden Vorarbeit der JOSEPH BOYS war die Meute schon mal angeheizt und bester Stimmung.
Gekommen waren Fans und Freunde, Vertreter aus der Au, dem Exzess, dem Backstage und andere Gesichter der Frankfurter Punkrock- und Rock‘n‘Roll-Szene – der Keller war gut gefüllt, das Candy-Gewitter konnte beginnen. Im Gepäck hatte das Quartett 19 Songs, die vom ersten Akkord an für Bewegung im Publikum sorgten. Langjährige Begleiter der Band grölten die Lyrics textsicher mit, andere schwangen vor der Bühne das Tanzbein oder bemühten sich, den Gig noch aufrecht stehend mitverfolgen zu können. Musikalisch wechselten sich dabei anderthalbminütige Uptempo-Nummern wie „Tough Cookie“ mit langsameren Tracks wie „Pleasant Stay“ ab, wobei die schnellen Songs in der prall gefüllten Setlist deutlich in der Überzahl waren.
Nach etwa der Hälfte des Gigs gab‘s eine kleine Überraschung: Aus Anlass der EP-Veröffentlichung und gestützt durch die Tatsache, dass viele Freunde der Musiker anwesend waren, wurde das heitere Gesellschaftsspiel „Welche Krankheit hatte ich?“ gespielt, bei dem Düsi jeweils ein Krankheitsbild schilderte und die Gäste raten mussten, welches Bandmitglied von diesem betroffen war. Als Gewinne winkten u. a. nützliche Dinge wie Darmtee, Gebissreiniger, Pferdesalbe und – als Hauptgewinn – ein laminiertes Foto, das Gitarrist Thomas zeigte, nachdem dieser einen allergischen Schock erlitten hatte und aussah, als ob man ihm eine Überdosis Botox verabreicht hätte. Wie ich später erfuhr, hängt das Bild mittlerweile als „Spindluder“ im Kleiderschrank eines begeisterten Groupies der Formation.
Im Anschluss rauschte der Candy-Train weiter Richtung Zielgerade und lieferte dabei mit „Stutter“ von ELASTICA und „California Train“ von den MAGNETIC FIELDS zwei originelle Cover-Versionen. Auch mein persönlicher Lieblingssong „Shitface“ wurde noch gespielt, bevor die Party schließlich an der Theke ihre Fortsetzung fand. Unterm Strich war‘s eine feucht-fröhliche Punkrock-Sause mit einer der besten Party-Acts, die Candy Town zu bieten hat.
Links: http://www.josephboys.de/, https://www.facebook.com/Punkrockjosephboys/, https://josephboys2016.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/joseph+boys, https://de-de.facebook.com/rumbledeluxe/, https://rumbledeluxe.bandcamp.com/
Text (JB): Stefan / Text (RD): Marcus
Fotos & Clips: Kai
Alle Bilder: