Schlachthof, Wiesbaden, 9.05.2016
“Fuck post-rock, and fuck being called post-rock.” Das soll Donovan Jones, Bassist und Keyboarder von THIS WILL DESTROY YOU dem Boston Phoenix 2010 zu Protokoll gegeben haben – und bietet gleichzeitig „Doomgaze“ als alternative Beschreibungsform an. Macht Sinn. Allerdings ist die Verortung im Post-Rock sowie der Stellenwert, der TWDY in dieser Szene zugerechnet wird, durchaus respektabel. Fragt man Wikipedia nach der Geschichte des Post-Rock, so wird dort eine Linie musikalischer Ausbrecher aus bestehenden Normen gezimmert, die sich auf die frühen, melodiösen Lärmfetischisten THE JESUS AND MARY CHAIN bezieht, auf anfänglichen Gothrock wie den von BAUHAUS, auf Shoegaze-Bands wie SPACEMEN 3 sowie auf den Trip Hop von z. B. PORTISHEAD.
Im Post-Rock wird sehr viel instrumental musiziert – oft in überlangen, sich dynamisch stark verändernden Songs. Die Musik wird manchmal in Filmen eingesetzt (so auch von TWDY), oder die Bands komponieren gleich Soundtracks selber, wie beispielsweise MOGWAI es taten. Heavy Metal ist ein Aspekt, der bei vielen Post-Metal- oder Blackgaze-Combos wie AGALLOCH eine Rolle spielt. Progrock, bzw. -metal kann man das konsequente Erweitern oder Abspecken musikalischer wie showtechnischer Ausdrucksformen auch nennen, wenn man mag (und trifft den Kern dabei oft mehr als beim Gros der sich so bezeichnenden Formationen). Die beiden Post-Rock- (bzw. „Doomgaze“-) Bands, die gestern das Kesselhaus des Wiesbadener Schlachthofs ein „Sold Out“-Schild an die Tür heften ließen, haben in meiner Welt aber denkbar wenig mit Heavy Metal zu tun.Anwesenheitspflicht herrschte für mich durch den Headliner RUSSIAN CIRCLES aus Chicago, den ich 2010 im Frankfurter Elfer sah und dessen CDs ich seitdem regelmäßig erstehe. Es fällt mir schwer, die Unterschiede einer instrumental spielenden Combo im Vergleich zu anderen Artverwandten zu beschreiben. Das Zusammenspiel des Trios – Dave Turncrantz (rechts) am Schlagzeug, Mike Sullivan (ganz links oben) an der Gitarre sowie Bassist Brian Cook – ist aber, egal in welcher Geschwindigkeit, immer aufregend und inspirierend.
Im Gegensatz zum Jazz wird hier nicht improvisiert (höchstens in Nuancen), die Kompositionen sind aber anspruchsvoll genug, um den Akteuren so einiges abzuverlangen. Wie auch immer geartete Showgimmicks finden da nicht statt, das berauschende Klangerlebnis ist Show genug. RUSSIAN CIRCLES sind Label- und Artverwandte von AND SO I WATCH YOU FROM AFAR und MYLETS, die vergangenes Jahr an gleicher Stelle beeindruckten sowie von der Underground-Päpstin Chelsea Wolfe, die beim letzten Song des letzten RUSSIAN CIRCLES-Albums singen durfte und mit ihnen auch auf Tournee war, leider nicht bei uns.
Dass die Texaner THIS WILL DESTROY YOU, ein Jahr nach den RUSSIAN CIRCLES gegründet und auf einem anderen Label veröffentlichend (Magic Bullet), für ein paar Konzerte ihre Kollegen verstärken duften, freute dagegen die anderen Genrefreunde – mich erstmal nicht, weil ich von diesem Quartett bisher keinen Ton zu hören bekam. Zu sehen bekam ich auch nicht furchtbar viel: Als zwei der vier Herren mit Bergarbeiter-Lämpchen am Helm die Bühne betraten ahnte ich noch nicht, dass das so ziemlich die gesamte Beleuchtung darstellte. Ein Albtraum für jeden Fotografen. Dass einer der beiden Gitarristen sitzend am Rand spielte und headbangte war für den größten Teil der Gäste auch nicht wahrnehmbar. Aber um die Show soll es ja nicht gehen, beim Post-Rock, äh, Doomgaze. Kommunikation gab es auch nur musikalisch untereinander, nach einer Stunde wurde sich beim ergriffen lauschenden Publikum bedankt und noch ein Stück nachgeschoben, gern geschehen.
Was in den knapp 70 Minuten dargeboten wurde war klasse Musik, die meist in sphärischer Fluffigkeit ambientmäßig entspannt, um sich dann regelmäßig in wildem Crescendo zu entladen. Das war traumhaft einlullend und mitunter mitreißend, schien mir auf Dauer jedoch eher nach Schema F gestrickt als das, was die RUSSIAN CIRCLES anschließend fabrizierten. Die Soundtüftelei an den in den Pausen ehrfürchtig bestaunten, zahllosen Pedalen auf dem Boden beeindruckte (mich) bei vier Leuten naturgemäß weniger, als der Solokünstler MYLETS es 2015 getan hatte. Trotzdem ein interessanter Act, der gut zum Headliner passte.
Dieser stellte in der darauf folgenden Stunde von jedem der in den letzten acht Jahren veröffentlichten Alben Songs zur Diskussion. Multitalent Cook (er hat bereits ein Buch veröffentlicht, schreibt regelmäßig Artikel in verschiedenen Publikationen und spielt noch in weiteren Bands) wechselte ab und an von seinem Hauptinstrument Bass zur zweiten Gitarre, Drummer Turncrantz spielte Dinge, die ich so noch nie von einem Schlagzeug wahrgenommen habe und Gitarrist Sullivan dudelte zum Niederknien. Großartige Klänge, ganz subjektiv wahrgenommen von einem Nichtmusiker wie mir, der jedem, der die Band nicht kennt dringend empfiehlt, das schleunigst nachzuholen. „Fuck Post-Rock“? Ach nö. Wär schad‘ drum.
Links: http://thiswilldestroyyou.net/, https://www.facebook.com/thiswilldestroyyou, https://soundcloud.com/this-will-destroy-you, http://www.last.fm/de/music/This+Will+Destroy+You, http://russiancirclesband.com/, https://www.facebook.com/russiancirclesmusic, http://russiancircles.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Russian+Circles
Text, Fotos & Clips: Micha
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