SATYRICON & SUICIDAL ANGELS

Batschkapp, Frankfurt, 14.03.2018

SatyriconIn dem Blog „Sterben üben“ stieß ich kürzlich (hier) auf einen Bericht der Autorin Jasmin, der unter dem Titel „Später ist zu spät“ treffend die veränderte Sicht auf das eigene Leben beschreibt, wenn man baldiges Hinscheiden attestiert bekommt. Uns alle wird das treffen, doch die meisten ignorieren das so lange, bis der Arzt einem sagt, dass man nicht mehr lange hat. Oder man das selber merkt. Ist man sich seiner Endlichkeit jedoch bewusst, hat das oft gravierende Änderungen des Lebens zur Folge, begleitet von Fragen nach dem Sinn unzähliger Kompromisse, die man täglich so eingeht. Satyr, eigentlich Sigurd Wongraven, geboren 1975 und seit 1991 Songschreiber, Sänger und mit Schlagzeuger Frost (Kjetil-Vidar Haraldstad) einziges vollwertiges Mitglied von SATYRICON, hat einen Gehirntumor.

SatyriconDas weiß er seit 2015, als es von einem Moment zum anderen „eskalierte“, wie Satyr im Interview im Zero Tolerance #81 zu Protokoll gab. Der Tumor ist immer noch in seinem Kopf – auch, als er gestern die Frankfurter Batschkapp rockte. „Er wächst aber nicht und verursacht keine weiteren Schmerzen“ führt er in dem Musikmagazin aus, weswegen Satyr gelernt hat, mit dem Ding zu leben. Aber anders als zuvor. Kompromissloser. Bewusster. Weil jeder Moment der letzte sein kann.

Betrachtet man die Diskographie SATYRICONS, so sind „Kompromisse“ das Letzte, was dieses Gesamtwerk prägt. So scheint es. Und trotzdem: SATYRICON, ein norwegisches Black Metal-Urgestein, ist eben genau das: Black Metal. Auch, wenn die Themen sich von denen der Kollegen oft unterschieden. Während andere dem Gehörnten frönten, ließen die Herren aus dem Norden das finsterste Mittelalter aufleben („Dark Medieval Times“, 1994), wurden leicht progressiv („Rebel Extravaganza“, 1999), Satyriconbrachten den BM zum Rock’n’Rollen („Volcano“, 2002) und unterschrieben bei einem Major-Label. „Verrat“ schrien die Puristen da häufiger. Doch auch wenn diese gegen Veränderungen sind und laut blöken: Satyr begreift sich in der Tradition des Black Metal, gerade wegen der durchlaufenden Entwicklungen, wie er im Gepräch mit dem Metal Hammer (3/2018) klarstellte.

Seit ihrem vorletzten, schlicht „Satyricon“ getauften Album (2013), bei dem die norwegische Sangesikone Sivert Høyem Gastauftritte hat und die düsteren Songs kaum noch an Metal gemahnen (höchstens wegen Satyrs räudiger SatyriconGesangsweise), ist der Ofen bei den Verfechtern der reinen Lehre komplett aus, wie Kollege Marcus bereits in diesem Blog berichtete (hier). Nach der Diagnose Hirntumor ging das aber noch nicht weit genug: Der schon immer an Kunst interessierte Satyr fing an, selbige zu sammeln – schlicht, weil er es sich leisten kann, wie er im Metal Hammer erklärte. Geld für Dinge auszugeben, die eben keine Notwendigkeiten sind: Für einige (wie notorische Plattensammler) überdenkenswerter Alltag, für jemand wie Satyr eine spirituelle Erfahrung im Angesicht des gegenwärtigen Todes. Außerdem dealt er ziemlich erfolgreich mit Wein – ein schmuckes Set dreier, mit dem SATYRICON-Logo verzierter Weingläser wurde am Merchstand zum Verkauf angeboten (für 85 Euro. Kunst kostet halt.).

SatyriconDer aktuelle Tonträger „Deep Calleth Upon Deep“ wirkt noch weniger metallisch und wird von einem großen Künstler verziert: Plattencover sowie Bühnenbackup zeigen eine Illustration von Edvard Munch, bekannt durch seine „Der Schrei“-Bilder. Ein Norweger mit einer Menge Probleme, die er genial verarbeiten konnte: Gesellschaft, die Sigurd Wongraven sicherlich schmeckt. Laut.de bemängelt die mangelnde Dynamik des Werks, was durchaus nachvollziehbar ist, wenn man die Scheibe nur wenig hört (mehr dazu hier). In der Heavy Rotation wird sie jedoch zum Grower, und auch live machten sich die Songs daraus nicht schlecht. Weil diese gut gemixt wurden mit alten Klassikern, was ich Satyr im Vorfeld nicht unbedingt zugetraut hätte. Doch zuerst kamen die SUICIDAL ANGELS auf die Bühne der Batschkapp.

Die Formation aus Griechenland spielt Thrash Metal, und das ist ja was Feines. Ich habe mich mit ihnen vorher aber noch nie beschäftigt, weil sie mir eine Zeit lang zu omnipräsent unterwegs waren. 2009 gewannen sie den Award der österreichischen Konzertagentur Rock The Nation, die ziemlich hochklassige Bands in fetten Paketen durch die Lande ziehen ließ. Dabei waren auch Thrash-Suicidal AngelsFeste und Kill-Feste und Full Of Hate-Feste – immer feste druff, halt. Die SUICIDAL ANGELS haben mich dabei nie überzeugt – jedoch nie komplett angeödet. Aber alles, was ich von ihnen bisher mitbekam, war (mir) egal. Die 45 Minuten (die Griechen begannen verfrüht) waren solide und arm an Höhepunkten. In der bereits halbierten Batschkapp, bei der ein Großteil der Gäste noch gar nicht im Innenraum war um draußen noch zu rauchen oder zu klönen, eine Wall Of Death anzuzetteln, erschien mir außerdem unflexibel und lachhaft. Da wurde dann auch nichts draus. Dennoch gefiel es den meisten Anwesenden und so hatte das Ganze wohl seine Existenzberechtigung. Lobeshymnen dazu verfassen müssen aber andere.

Zurück zu SATYRICON: Neben Satyr gibt es da nur ein weiteres Mitglied, und das ist der Schlagzeuger. Frost ist legendär, spielt noch bei 1349, war bei GORGOROTH und KEEP OF KALESSIN sowie beim Projekt OV HELL mit SatyriconShagrath von DIMMU BORGIR. Super Drummer mit fetter Batterie. Und doch, wie im Zero Tolerance-Interview deutlich wird, nur ein Angestellter Satyrs. Die Herren an den Saiten-Instrumenten jedoch, die als optische Schwanzverlängerung Metal per se darstellen, bleiben komplett unerwähnt; ebenso wie der Keyboarder (ein Schicksal, das im Hardrock/Metal vielen Tastendrückern nicht erspart bleibt).

SatyriconObwohl Satyr es hasst, wenn die Plattenfirma ihm jeden freien Tag einen Konzertabend aufdrückt, scheint das Ausmaß dieser Tour genehm: SATYRICON spielten knapp 100 Minuten mehr als überzeugend. Auch die Klassiker, von denen sich der veränderungswütige Satyr längst entfernt hat, brachte er zu Gehör: Seien es Tracks von „Now, Diabolical“ (vier (!), drei davon in der Zugabe) oder sogar „Dark Medieval Times“ (immerhin einer), ständig im Mix mit den Stücken der aktuellen LP (fünf). Mit jeweils zwei Songs wurde aus „Nemesis Divina“, „The Age Of Nero“ und „Volcano“ geschöpft, nur einen gab es vom vorletzten, selbstbetitelten Album.

Satyricon

Im Pressetext zum aktuellen Werk wird von „einem neuen Kapitel“ in der Welt SATYRICONS gesprochen. Es könnte, so ließ Satyr im Zero Tolerance offen, ein letztes sein. Vielleicht aber auch nicht. Sein Leben, seine Entscheidung. Kompromisslos. Scheißegal, was andere von ihm erwarten. Wir sollten das alle so handhaben, soweit möglich.

Links: http://www.suicidalangels.net/, https://www.facebook.com/SuicidalAngels, https://soundcloud.com/suicidal-angels, https://www.reverbnation.com/suicidalangels, https://www.last.fm/music/Suicidal+Angels, http://www.satyricon.no/, https://www.facebook.com/SatyriconOfficial, https://myspace.com/satyricon, http://www.lastfm.de/music/Satyricon

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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