Batschkapp, Frankfurt, 2.03.2018
Klassische Metal-Bands, die in den Achtzigern entstanden sind, scheinen gegenwärtig einen besonderen Lauf zu haben – zumindest livetechnisch. Das gilt für Veteranen wie SAXON, die seit nunmehr 39 Jahren unterwegs sind genau wie für damalige Underground- Combos, die ihren prägenden musikalischen Eindruck kommerziell nie durchsetzen konnten, eventuell lang pausierten und nun auf diversen Festivals ihre verdiente Huldigung erfahren. Von beiden gibt es etwas auf der aktuellen SAXON-Tour, denn man hat als Special Guest die NWOBHM-Legende DIAMOND HEAD dabei. Zudem bekommt der Nachwuchs eine Chance, selbst, wenn der sich nicht wie ein solcher anhört oder so aussieht. Vorhang auf für ARMORED DAWN aus São Paulo, Brasilien.
Bereits eine halbe Stunde eher als offiziell veranschlagt mussten diese die Bretter der Batschkapp-Bühne betreten – wer zum eigentlichen Showbeginn erschien bekam höchstens noch mit, wie das Sextett (so wie gegenwärtig eigentlich jede Metal-Band, die nicht völlig misantrophisch unterwegs ist) das obligatorische Selfie vor dem jubelnden Publikum vollzog. Heißt das überhaupt noch Selfie? Sollte das nicht eher Vielie heißen? Egal. ARCH ENEMY oder wer sonst damit angefangen hat dürfen das ja, mittlerweile macht das aber jeder, und das nervt. Zumindest mich.
Genauso austauschbar wie diese Geste war in meinen Ohren und Augen der gesamte Auftritt der Brasilianer, wenn auch auf hohem technischen Niveau. Ich kenne das erste Album der seit 2011 agierenden Combo nicht und habe sie nicht vor FATES WARNING, MEGADETH und schon gar nicht vor SABATON gesehen – das aktuelle, in der gesamten Metal-Presse großzügig beworbene Machwerk namens „Barbarians in Black“ dagegen empfinde ich als professionell eingespielte musikalische Ödnis mit vielen textlichen Plattitüden („Gods of Metal“? Ja, klar.).
Die ganze Poserei und das Spiel der Akteure erinnerte mich an die Lobpreisungen eines Fans einer lokalen, schwäbischen Power Metal-Band, der neulich vom „internationalen Standard“ sprach, den die Combo (ihr Name tut nichts zur Sache) inne hatte. Widerspreche ich nicht. Technisch einem tausend Mal gehörtem „Standard“ zu entsprechen, halte ich aber nicht für unbedingt erstrebenswert, wenn sich die musikalische Leistung darauf beschränkt und jeder künstlerische Impuls fehlt. Das sah das im MANOWAR-Leibchen neben mir stehende Mädel naturgemäß etwas anders.
Die 45-minütige Darbietung der seit 1976 existierenden DIAMOND HEAD war da schon ein ganz anderes Kaliber. Gitarrist Brian Tatler ist einziges Gründungsmitglied des Quartetts, jedoch mit Absenzen. Drummer Karl Wilcox ist seit 1992 dabei mit einer achtjährigen Pause zwischendrin – zusammen spielten die beiden Senioren der Truppe auch bei einer Formation namens RADIO MOSCOW (nicht die hier im Blog bereits mehrfach erwähnte US-Band). Sänger Rasmus Bom Andersen, der dritte am Mikro bei DIAMOND HEAD, steht vor seinen Kollegen seit 2014; Dean Ashton am Bass vervollständigt das Line-Up seit 2016. Rhythmus-Gitarrist Andy Abberley fehlt auf dieser Tour – ob das eine Ausnahme darstellt oder von nun an so bleibt, vermag ich nicht zu sagen.
DIAMOND HEAD gehört zu den Urgesteinen der NWOBHM (New Wave of British Heavy Metal), extrem verehrt zum Beispiel von METALLICA. Jugendliche Konzertgänger, die es bei SAXON ja durchaus auch wieder gibt, wundern sich, warum DIAMOND HEAD so lange METALLICA nachspielen – der von Letzteren erstmals 1984 auf Vinyl veröffentlichte DIAMOND HEAD-Song „Am I Evil?“ wird von den nur noch online Hörenden nicht als Cover wahrgenommen, weil es keine Liner-Notes gibt, die jemand lesen könnte. Schade.
Mit „Helpless“ starteten DIAMOND HEAD mit einer weiteren Nummer, die einige nur als Cover von METALLICA kennen, auch „The Prince“ wurde bereits von diesen intoniert. Eine sichere Bank, möchte man meinen, obwohl viele Anwesende im Saal auch vertraut waren mit DIAMOND HEAD-Stücken, die die Schwerverdiener im Metal-Bereich nicht spielen. Was solls. Band und Publikum hatten jedenfalls Spaß, und DIAMOND HEAD sei der Respekt und der späte Erfolg gegönnt. Selfie-Time am Schluss auch hier.
Ich habe noch nie eine schlechte Show von SAXON gesehen. Und das waren schon so einige, seitdem ich begann auf Konzerte zu gehen (1981). Kaum eine Größenordnung wurde dabei ausgelassen: Von Slots auf den fettesten Open Air-Festivals über die jahrelange Metal-Heimat in Rhein/Main, der Offenbacher Stadthalle, über Läden, deren Kapazitäten eigentlich für Club-Bands ausgelegt sind wie z. B. der Colos-Saal in Aschaffenburg oder gar das Antagon-Theater in Frankfurt-Fechenheim, die beide durch den Andrang zu platzen schienen.
Die Verkaufszahlen ihrer Tonträger variierten, deren Qualität auch ein wenig. Trotzdem hat kaum eine Formation, die so lange im Geschäft ist wie SAXON, solch einen hochwertigen Lauf hingelegt mit der richtigen Mischung aus sanfter Weiterentwicklung und weiterhin geliebter Tradition. Wie oft mögen Biff und Co. beispielsweise „Wheels of Steel“ wohl schon gespielt haben? Keine Ahnung, von Genervtheit darüber aber keine Spur, weder bei der Band noch beim Publikum.
Albentechnisch veröffentlichen SAXON weitestgehend stinkerfreie Machwerke mit Songs, die sich gut in das Klassiker-Set integrieren lassen. Und wenn SAXON über die volle Headliner-Distanz gehen fallen zum Glück auch solche Spielchen aus, wie ich sie zuletzt erlebt habe, als sie wieder mit den Buddies von MOTÖRHEAD unterwegs waren, zum letzten Mal 2015 (Bericht hier): Wenn „Biff“ Byford das Volk entscheiden lässt, ob es „Dallas 1 PM“ hören will oder „Crusader“, entscheidet sich dieses immer für „Crusader“. Leider. Dieses Mal also wieder beides, genau wie die ewigen Hits „747“, „Motorcycle Man“, „Strong Arm of the Law“… bekannter Stoff, so auch schon gebündelt auf der ersten von vielen Live-LPs, „The Eagle Has Landed“ von 1982.
Dass es dabei trotzdem acht (!) aktuelle Songs in die Setlist schafften und die qualitativ (bis auf einen) kaum bis gar nicht abfielen ist schon eine Leistung, die man erstmal nachmachen muss. Mit „They Played Rock’n’Roll“ gab es zudem die perfekte Lemmy-Hommage, auf dessen Album-Version seine legendäre Konzert-Eröffnung eingesampelt ist.
Die erste Zugabe mit „Heavy Metal Thunder“ und „Princess of the Night“ war die scheinbar unverzichtbare Vorbereitung auf das finale „Denim and Leather“ – Dienst nach Vorschrift zwar, aber in einer Intensität, als würden diese Tracks erstmals performt. Über 90 Minuten hochklassig gespielter, klassischer Metal von älteren Herren, die anscheinend in der Form ihres Lebens sind. SAXON bleiben Pflichttermin. Wir sehen uns, hoffentlich bei der Jubiläumstour nächstes Jahr.
Links: http://armoreddawn.com/, https://www.facebook.com/ArmoredDawn/, https://www.last.fm/de/music/Armored+Dawn, https://www.diamondheadofficial.com/, https://www.facebook.com/DiamondHeadOfficial/, https://www.reverbnation.com/diamondhead, https://diamondhead.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Diamond+Head, http://www.saxon747.com/, https://de-de.facebook.com/saxon, https://www.last.fm/de/music/Saxon
Text & Fotos: Micha
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