Frankfurt, September 2018 – Interview
SCHEISSE MINNELLI sind in diesem Blog längst keine Unbekannten mehr, bereits mehrmals haben wir über die deutsch-amerikanische Skatepunk-Formation aus Frankfurt berichtet und 2010 auch schon ein Interview (hier) mit deren Sänger Sam (rechts) geführt. Aktuell gibt es aber so viel Neues über das Quartett zu berichten, dass wir uns erneut mit dem aus Oakland, Kalifornien stammenden Frontmann trafen und uns mit ihm über das kommende Album, die in diesen Tagen laufende Tour durch Japan und den aktuellen Videoclip der Jungs unterhielten. Illustriert haben wir die folgenden Zeilen mit Fotos eines Konzerts im Kesselhaus des Wiesbadener Schlachthofs, von der Band zur Verfügung gestelltem Material und besagtem brandneuen Videoclip. Viel Spaß!
Hey Sam, ganze acht Jahre ist es her, seit wir das letzte Mal an dieser Stelle ein Interview mit Euch gebracht haben. Damals war gerade Euer zweites Album „The Crime Has Come“ erschienen. Was ist seither geschehen?
Eine ganze Menge. 2011 kam unsere dritte LP „The Fight Against Reality“, 2014 folgte „Sorry State of Affairs“ und nun im Oktober erscheint mit „Waking Up On Mistake Street“ Platte Nummer fünf. Außerdem haben wir einige EPs herausgebracht, wir sind durch Indonesien getourt und es gab einen Besetzungswechsel, denn unser Drummer Dudel hat die Band verlassen.
SCHEISSE MINNELLI 2018: Samuel el Action (Vocals), Mikey (Guitar), Dash (Bass) und Marlon the Kid (Drums)
Wie kam es dazu?
Hauptsächlich ist er ausgestiegen, weil er durch seinen Job kaum noch Zeit hatte, mit uns Konzerte zu spielen. Er war im Catering-Bereich tätig und musste nahezu jedes Wochenende arbeiten, zudem konnte er so gut wie nie im Vorfeld sagen, ob er nun kann oder nicht, das wurde irgendwann zum Problem. Touren ließen sich kaum noch planen. Wir haben dann mit einem Ersatzschlagzeuger gespielt, der immer einsprang, wenn Dudel nicht konnte, aber dann entschied er sich schließlich, nach Berlin zu gehen, was den endgültigen Ausstieg zur Folge hatte. Seither ist Marlon the Kid unser neuer Schlagzeuger.
Nach 15 Jahren Bandgeschichte und fünf Alben kann man schon mal ein Resümee ziehen. Wie hat sich Euer Sound im Laufe der Zeit verändert?
Auf jeden Fall klingen wir inzwischen polierter. Der Sound ist zwar immer noch rau, aber im Vergleich zum Debüt-Album ist das Ganze schon wesentlich polierter. Außerdem schreibe ich die Songs mittlerweile auf eine andere Art und Weise. Früher ist erst die Musik entstanden und dann habe ich versucht, die Texte irgendwie krampfhaft dem Sound anzupassen. Jetzt läuft das weitaus homogener ab. Für das neue Album hat unser Gitarrist Mikey auch viele Songs geschrieben, auch das hat unseren Sound ein Stück weit verändert.
Am 26. Oktober erscheint „Waking Up On Mistake Street“. Wieviele Tracks sind auf der Scheibe und mit welchen Themen setzt Ihr Euch textlich auseinander?
Auf dem Album sind zwölf Songs, zu dreien davon wird es Videoclips geben. Bereits erschienen ist der Clip zu „Yer in a Trance“, im Oktober folgt ein Animationsvideo zum
LP-Cover „Waking Up On Mistake Street“
Song „Chata“ und im November gibts noch einen Clip zu „Hallo Werner“. Thematisch geht‘s natürlich viel ums Partyfeiern und dessen Folgen, wie Titel und Cover bereits deutlich machen, aber auch um andere Dinge. In „Going Back“ schildere ich zum Beispiel die Eindrücke, die Mikey und ich mit der halluzinogenen Droge DMT erlebt haben, die Dich für etwa 15 Minuten in eine andere Dimension oder auch in Dich selbst schickt. Das Ganze ist wie ein oberkrasser LSD-Trip, dauert aber nur eine Viertelstunde. „It‘s Your World“ handelt von Leuten, die mir auf den Sack gehen, der Text ist sehr allgemein gehalten und meint sowohl Zeitgenossen, die mich persönlich nerven, wenn sie mich beispielsweise besoffen volllabern, aber auch Leute wie Donald Trump. „Green River Wishes“ handelt vom Green-River-Killer, einem Serienmörder, der vor allem in den Achtziger Jahren aktiv war. Allerdings steht nicht der Killer selbst im Mittelpunkt, sondern ein Kumpel von mir, der zur aktiven Zeit des Killers wegen Drogenhandels für zwei Jahre im Knast gelandet war. Seine Freundin hatte ihn damals an die Polizei verraten und so wünschte er ihr jeden Tag den Tod. Und nachdem er ein Jahr abgesessen hatte, erreichte ihn plötzlich die Nachricht, dass seine Freundin Opfer des Green-River-Killers geworden war. Ich fand die Geschichte irgendwie unheimlich und habe meinem Kumpel später gesagt, dass ich hoffe, dass er nie mir den Tod wünscht! Und dann gibt es natürlich noch Fun-Songs wie „Chata“, das ist ein alter amerikanischer Gag: „Hey, you know what Chata is?“ – „Chatafuckup!“
Gibt es musikalische Experimente auf dem Album? Ihr hattet 2012 beispielsweise unter dem Titel „Leise Minnelli“ eine EP veröffentlicht, auf der Ihr Lieder im Mariachi-Country-Style präsentiert habt…
Experimente dieser Art gibt es auf der neuen Scheibe nicht, die meisten Stücke sind typische SCHEISSE-MINNELLI-Songs. Es gibt aber auch einige, die etwas untypisch für uns sind. Letztendlich muss man die ganze Scheibe hören, um sich ein Bild machen zu können. Und: Wir haben einen Deutschpunk-Song gecovert. Wenn Du so willst, könnte man das als Experiment bezeichnen!
Ich weiß, dass Du eigentlich kein großer Fan des Deutschpunks bist. Wie kam es dazu, dass Ihr dennoch ein Stück gecovert habt?
Das Ganze ist entstanden, als wir mit den RESTARTS auf Tour waren und einen Gig in Wien gespielt haben. Dort haben wir ordentlich Party gefeiert und dabei den besagten Song gehört. Der stammt ursprünglich von der Band HOSTAGES OF AYATOLLAH aus Velbert und heißt im Original „Hallo Nachbar“. Wir fanden das Lied irgendwie cool, haben es aber mit einem neuen Text versehen, bei uns heißt es „Hallo Werner“ und ist so etwas wie eine Hommage an die Hamburger Kiez-Legende Stefan Hentschel. Von dem gibt es auf YouTube ein Video – zu finden unter: „Hast Du ein Problem?“ -, in dem er während eines Interviews spontan einem Passanten eine runterhaut. Unser Text entspricht exakt dem, was Hentschel im Clip sagt. Zunächst war das Ganze nur eine spontane Idee, aber als wir den Song das erste Mal mit dem Text geprobt haben, konnten wir einfach nicht aufhören zu lachen und haben ihn schließlich aufgenommen. Zudem ist Jacho, der ehemalige Gitarrist von den HOSTAGES OF AYATOLLAH, bei unserem deutschen Plattenlabel Destiny Records als Labelmanager tätig, so dass es auch hier eine Verbindung gibt.
Erzähl uns etwas zum gerade veröffentlichten Video zu „Yer in a Trance“…
Der Text des Liedes basiert auf einer wahren Begebenheit. Ich war damals 16 und wollte mit einem Kumpel unbedingt auf ein Konzert, aber wir hatten beide keine Kohle. Da kam uns eine schräge Idee: Wir haben uns eine Kreditkarten-Broschüre geschnappt und auf die draufgepisst. Dann haben wir sie in kleine Quadrate zerschnitten und das Ganze als LSD verkauft. Als wir dann zum Konzert trampen wollten, dachte einer der Autofahrer, dass wir ihm den Finger gezeigt haben, sprang mit einer Axt aus dem Auto und verfolgte uns!
Auf der Flucht vor dem Axtmann: Standbild aus dem Clip „Yer in a Trance“
Im Prinzip ist alles, was im Video zu sehen ist, so ähnlich passiert, bis auf die letzte Szene, in der wir auf der Straße einpennen. Tatsächlich haben wir nämlich nach einer langen Odyssee im Auto meiner damaligen Freundin gepennt, aber es wäre zu aufwendig gewesen, die gesamte Story bis ins Detail zu verfilmen.
Wie lange habt Ihr an dem Video gearbeitet? Gedreht wurde ja im Osthafen und in der Au, zudem gibt es einige Kostümwechsel…
Gar nicht so lange, insgesamt etwa anderthalb Tage. Ich muss allerdings dazu sagen, dass wir
Videodreh in der Frankfurter Au
die Skateboard-Szenen am Anfang zweimal gedreht haben. Die ersten Aufnahmen sind in Wiesbaden entstanden und wir haben dabei gemerkt, dass wir ziemlich eingerostet waren, da wir seit etwa zwei Jahren nicht mehr ausgiebig geskatet sind. Das Ganze hat eher peinlich gewirkt. Also gabs einen Nachdreh im Skatepark im Osthafen. Nachdem alles im Kasten war, mussten die Szenen noch geschnitten und mit einigen kleinen Spezialeffekten versehen werden.
Videoclip „Yer in a Trance“
Ihr seid bekannt dafür, dass Ihr gern in exotischen Ländern spielt, beispielsweise seid Ihr bereits in Indonesien und Mexiko aufgetreten. Von Mitte bis Ende September steht nun eine Reise nach Japan und Südkorea an. Wie kam die Tour zustande?
Das Ganze wurde von unserem US-Label Beanies Records initiiert. Das hatte eine US-Tour für die japanische Band BRONXXX organisiert und als die Japaner in den USA waren, wurden ihnen T-Shirts und CDs von uns überreicht und erwähnt, dass wir gerne mal in Japan spielen würden. Und da BRONXXX uns musikalisch ganz cool fanden, haben sich schließlich die Gelegenheit zur Tour und einer gemeinsamen Split-Single ergeben, deren Release-Party beim Gig in Osaka stattfinden wird. Die einzelnen Shows hat Masaki, der Sänger von BRONXXX, gebucht, der uns auch zu den Gigs fahren wird und bei dem wir pennen
Split-7″ mit BRONXXX
werden, wenn wir in Osaka spielen. Allerdings hat er wohl nicht immer Zeit, denn er muss zwischendurch arbeiten. Ich bin gespannt, wie das wird. Ebenfalls mit auf Tour ist die amerikanische Band DEATHWISH, die in den USA auf dem Label Beer City Records beheimatet ist sowie ein Act namens TERRIBLE JOKE. Das ist eine japanische Combo mit australischem Sänger. Zudem spielen diverse japanische Bands mit uns, unter anderem SOCIAL PORK und natürlich BRONXXX, die aber nur bei zwei der Gigs dabei sein werden.
Japan ist nicht gerade ein billiges Pflaster, wie finanziert Ihr die Tour?
Die Flüge haben wir komplett durch Konzerteinnahmen von europäischen Gigs finanziert, vor Ort sind wir dann ein wenig auf die Hilfe der anderen Bands angewiesen. Masaki hat dabei bereits viel organisiert, in Tokio kommen wir beispielsweise in einem günstigen Kapsel-Hotel unter. Alles andere werden wir vor Ort klären. Und natürlich hoffen wir, dass durch die Gagen und den Merchverkauf ein bisschen Kohle reinkommt, damit wir uns dort über Wasser halten können.
Gibt es noch andere Länder, die Ihr gerne mal bereisen würdet?
Es ist schwierig, dazu etwas zu sagen, denn letztendlich muss das Ganze logistisch so geplant werden, dass es für uns alle Sinn macht. Der Trip sollte nicht länger als zehn Tage dauern, die Konzertstätten dürfen nicht zu weit auseinander liegen und natürlich müssen auch alle von uns Bock darauf haben. Bei Japan war es ideal, jeder von uns wollte schon mal dorthin und die einzelnen Orte sind gut mit dem Auto zu erreichen. Traumziele wären zum Beispiel noch Australien oder Brasilien, aber da müssten wir wohl oder übel innerhalb des Landes nochmal fliegen und das dürfte nicht ganz billig werden. Ob das jemals klappt, steht also in den Sternen.
Ihr habt bereits hunderte von Gigs gespielt und dabei eine Menge erlebt. Gibt es darunter einen, der Dir in besonderer Erinnerung geblieben ist?
Spontan fällt mir eine der Shows auf unserer Indonesien-Tour ein. Die meisten Auftritte wurden illegal organisiert und fanden im Geheimen in Lagerhallen statt und nur selten in einem regulären Club. Bei einem Gig war aber alles anders. Ich weiß noch, dass der Tag damit anfing, dass wir unbedingt Bier trinken wollten, uns aber in einer traditionell islamischen Region des Landes befanden. Wir mussten daher erstmal fünf oder sechs Tankstellen abklappern, bevor wir fündig wurden. Dort gab es Bier auch nicht im regulären Verkaufsraum, sondern es musste aus einem geheimen Lager geholt werden und war total verstaubt. Im Anschluss sind wir dann zum nächsten Veranstaltungsort gefahren und der lag mitten im Regenwald. Zuerst gab es noch eine Straße, als diese aber endete, fuhren wir auf einem kaum erkennbaren Pfad durch den Wald und erreichten schließlich eine Lichtung, auf der mehrere kleine Urlaubshütten standen. Daneben befand sich ein etwa zehn Meter hoher Wasserfall und vor dieser Kulisse haben wir gemeinsam mit fünf anderen Acts vor 60 Leuten gespielt. Das Ganze war total surreal!
Du hast nicht nur selbst etliche Auftritte absolviert, sondern noch weitaus mehr Bands als Zuschauer erlebt. Gab es unter all diesen eine Gruppe oder einen Künstler, der Dich besonders beeindruckt hat?
Das ist eine gute Frage, die ich nicht so leicht beantworten kann. Lass mich überlegen… Okay, dann würde ich David Byrne von den TALKING HEADS nennen, den ich bereits zweimal live gesehen habe. Besonders der letzte Gig war sehr eindrucksvoll, zum einen von der Performance her, denn alle Musiker waren ständig in Bewegung. Sogar die Schlagzeuger hatten ihre Drums umhängen und wechselten ständig die Position, was schon mal eine sehr ungewöhnliche Konzerterfahrung war, die noch dazu von einer extravaganten Lightshow begleitet wurde. Und dann hat er als Zugabe einen ganz neuen Song gespielt, der nur aus der Phrase „Say His Name“ und etlichen Namen bestand. Die ersten sechs, sieben Namen haben mir nichts gesagt, aber den achten hatte ich schon einmal gehört. Es war ein Farbiger, der von einem weißen Polizisten getötet wurde. Da war mir klar, dass auch die anderen Namen alle die von Opfern brutaler Polizeigewalt waren. Das war ein sehr subtiles Statement gegen den täglichen Rassismus in den USA und hat mich sehr beeindruckt.
Sam, danke für das Gespräch!
Links: https://scheisseminnelli.com, https://www.facebook.com/scheisseminnelli, https://scheisseminnelli.bandcamp.com, https://www.last.fm/de/music/Scheisse+Minnelli
Interview: Marcus
Alle Konzertfotos, aufgenommen im Schlachthof Wiesbaden: Kai
Alle weiteren Fotos und Videoclip: Scheisse Minnelli
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