SKUNK ANANSIE & ALLUSINLOVE

Schlachthof, Wiesbaden, 15.07.2019

Skunk Anansie„Nein, liebe Kolleg*innen, leider kann ich beim diesjährigen Sommer-Essen nicht dabei sein, ich hab‘ nämlich schon was vor: Ich werde SKUNK ANANSIE sehen und auch fotografieren dürfen.“ Pause. „Ich nehme an, Ihr könnt meine Prioritäten nachvollziehen?“. Einen Scheiß konnten sie. Junge Kolleg*innen sowie etwas ältere, die trotzdem noch jünger sind als ich und sogar diejenige, die in den 80ern alle Veranstaltungen durchgetanzt hat, fragten desinteressiert kurz nach: „Wer?“. War wohl nix mit der Wichtigkeit.

Klar, SKUNK ANANSIE aus London, gegründet 1994 und aufgelöst 2001, hatten ihre große Zeit in den Neunzigern – frühe Headliner-Shows unter anderem in der Frankfurter Batschkapp (Januar 1996) brannten alles nieder und gaben einem den Glauben an die subversive Kraft des Rock’n’Roll zurück, der in diesem Fall Skunk Anansiedarüber hinaus extrem tanzbar war. Support-Slots für beispielsweise Lenny Kravitz (März 1996) nährten den frühen Ruhm. 1999 headlineten sie sogar das Glastonbury Festival. Jeder kannte damals SKUNK ANANSIE.

2008 kamen sie wieder zusammen, zugegeben auch unterhalb meines Radars – alles, was in den Neunzigern im weitesten Sinne als „Crossover“ bezeichnet wurde war inzwischen ausgelutscht und durch. Das galt für mich auch in Bezug auf das Londoner Quartett (welches in seiner Geschichte nur einen einzigen Besetzungswechsel vorzuweisen hat: Drummer Mark Richardson ersetzte Ur-Schlagzeuger Robbie France bereits 1995) – trotz erheblich größerer Relevanz als die meisten Formationen unter diesem Label, die sich inzwischen Skunk Anansiegrößtenteils zur Ruhe gesetzt haben. Doch sie kamen wieder, was man unschwer an der ausverkauften großen Halle des Wiesbadener Schlachthofs sehen konnte. Kamen und verzückten junge Gäste und etwas ältere, die trotzdem noch jünger sind als ich, und sogar die, die die 80er durchgetanzt haben könnten. Sowie alte Säcke wie mich.

Interessanter Zufall, dass SKUNK ANANSIE nur zwei Tage nach RAMMSTEIN das Rhein/Main-Gebiet beehrten – 2010 eröffneten SKUNK ANANSIE für die Berliner in deren Heimatstadt. Durchaus passend. Auch, wenn bezüglich RAMMSTEIN dies einige anders sehen mögen – beide Bands zeichnen sich durch stilistische Unverwechselbarkeit aus und vertreten ein offenes, diverses Menschenbild. Was sich bei RAMMSTEIN Skunk Anansiekomischerweise kaum im Publikum offenbart. Bei SKUNK ANANSIE schon. Menschen verschiedenster Altersstufen bevölkerten den Schlachthof, bunt wie vielfältig. Für ein hartes Rock-Konzert waren überdurchschnittlich viele Frauen da. Wie kann es da sein, dass so eine unglaublich öde, im Sound sowie Auftreten bis zum Erbrechen klischeehafte Truppe wie ALLUSINLOVE aus Leeds auf dieser Tour eröffnen darf?

Relativ wenig offenbart das Netz über die vier Herren, welche sich bis vor Kurzem noch ALLUSONDOPE nannten und diesen Namen, vielleicht aus Imagegründen, schließlich änderten. Musikalisch ein Mix aus angegrungtem AllusinloveAlternative-Rock mit Einsprengseln aus dem Fundus der Siebziger bis heute, erinnern die bewegungsfreudigen Musiker ein bisschen an dies und ein wenig an das, überzeugen aber kaum durch eine eigene Note. Sänger Jason Moules gibt den selbstverliebten Jim Morrison, seine Kollegen posen während ihres Spiels weltmeisterlich für die Fotografen. Und alle zusammen tun akustisch niemandem weh, weil sie es schaffen, als Neulinge irgendwie bekannt zu klingen sowie dabei in keinster Weise anzuecken, während eine pseudorebellische Attitüde präsentiert wird. Alter, was waren wir wieder druff gestern!

AllusinloveWirklich schlecht fanden die wenigsten im Publikum diese aufstrebenden Herren mit Hang zum Hedonismus; auch die Kritiken über das aktuelle Album namens „It’s Okay To Talk“ sind nicht halb so vernichtend wie mein Urteil an dieser Stelle, aber ernsthaft: Das hatten wir doch schon unzählige Male. Machen kann man das ja trotzdem. Es gibt jedoch keinerlei Grund, sich dabei wie ein Gottesgeschenk aufzuführen. Sowas vor eine Band zu setzen, die sich politisch sowie musikalisch immer als wegweisend, besonders wie auch innovativ zeigte, ist darüber hinaus aus meiner Sicht eine Frechheit.

„Yes It’s Fucking Political“ tönten SKUNK ANANSIE weise 1996 auf ihrem zweiten Album „Stoosh“, leider im Gegensatz zum auf der aktuellen Tour beworbenen Live-Album nicht in Wiesbaden. Dafür durften wir als erste in Deutschland einen brandneuen Skunk AnansieSong namens „This Means War“ hören, melodisch-hardrockig wie es die Band eben drauf hat. Neben den Balladen, die textlich immer mehr zu bieten haben als simple Herzschmerz-Lyrik (googelt doch mal die Texte von ALLUSINLOVE zum Kontrast, ein Spaß sondergleichen) und die fast alle leise bis lauter von den Gästen mitgesungen wurden, kamen immer wieder Kracher aus der gesamten Schaffensphase der Formation – begonnen mit „Charlie Big Potato“ vom dritten Werk (und letzten vor ihrer gemeinsamen Schaffenspause) „Post Orgasmic Chill“ (1999) über „All In The Name Of Pity“ und „I Can Dream“ (1995) sogar bis zu einem „Highway To Hell“-Zitat bei den Zugaben kurz vor Ende der Show.

SkinZwischendurch Ansagen, wie sie heutzutage leider wieder extrem nötig zu sein scheinen, über Diskriminierungen oder Übergriffigkeiten, zum Beispiel. Das könnte man unter Umständen als „preaching to the converted“ diffamieren – im Gegensatz zu den eine Woche zuvor im Schlachthof aufgetretenen LA DISPUTE und PETROL GIRLS (das war ebenfalls ein sensationeller Konzertabend, mal so am Rande) haben SKUNK ANANSIE jedoch eine sehr viel größere Reichweite über eine Alternativszene hinaus, allein schon durch ihre hitparadentauglichen Songs wie „Weak“ oder „Hedonism“.

Skunk AnansieDass Drummer Mark Richardson, Bassist Richard Keith Lewis alias Cass, Gitarrist Martin Ivor Kent alias Ace sowie Sängerin Deborah Anne Dyer alias Skin künstlerisch oder von ihrem Engagement her über alle Zweifel erhaben sind, offenbart sich auch an ihren Nebenbeschäftigungen bzw. ihrem Schaffen während der Pause vor 2008. Richardson engagiert sich für Süchtige sowie psychisch Kranke, unterrichtet Schlagzeug und fährt Motorrad-Rallyes; Cass Skunk Anansiespielte in der Band von Gary Moore (auch in Frankfurt 2002) und arbeitete mit Björk; Ace steht der „Ace Guitar Academy“ vor und produziert, während Skin als DJane, Techno-Act sowie Gelegenheitsschauspielerin reüssiert.

Nicht auf den offiziellen Seiten der Musiker aufgelistet ist die Dame am Keyboard wie auch Background-Gesang, die später am Abend noch mit Skin am Bühnenrand sang („What You Do For Love“, neuer Song) und die man auf der Instagram-Seite SKUNK ANANSIEs nur als „Our Eri“ entdeckt. Keyboarder werden ja oft unterschlagen oder sogar hinter dem Bühnenvorhang versteckt (fragt mal Claude Schnell von DIO auf wievielen Konzerten er spielte, ohne vom Publikum wahrgenommen zu werden), aber in diesem Fall war der musikalische Einsatz so groß, dass die Anonymität verwundert.

Skunk AnansieZwischen den zuletzt von mir besuchten SKUNK ANANSIE-Konzerten liegen 20 Jahre – und von meiner Begeisterung her waren die aktuellen, knapp 105 Spielminuten mit denen ihrer Anfangszeit absolut gleichwertig. Einen weiteren Besuch auf dieser Tour kann man sich aber wohl klemmen, viele der Gigs in Europa sind bereits ausverkauft – auch ohne, dass meine Kolleg*innen von der Formation bisher Notiz nahmen. Bleiben wir Wissende halt unter uns, einmal mehr.

Links: https://de-de.facebook.com/allusinlove.x, https://soundcloud.com/allusinlove, https://www.last.fm/music/allusinlove, https://skunkanansie.com/, https://www.facebook.com/OfficialSkunkAnansie, https://soundcloud.com/skunk-anansie-official, https://www.last.fm/music/Skunk+Anansie

Text & Fotos: Micha

Alle Bilder:

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Skunk Anansie Setlist Schlachthof, Wiesbaden, Germany 2019, 25LIVE@25

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