Yachtklub, Frankfurt, 23.10.2019
In einer Zeit, da Feminismus und Gender-Thematik besonders in kulturell linken Kreisen wichtige Topoi darstellen und gelegentlich sogar Konzerte unterbrochen werden, weil sich Frauen von den freien Oberkörpern männlicher Musiker sexuell belästigt fühlen, wähnt man sich nicht selten ins Zeitalter vor der sexuellen Revolution der späten 1960er Jahre zurückversetzt. Dabei haben wir das doch alles längst hinter uns – oder etwa nicht? Der „Summer of Love“ propagierte die freie Liebe, Oswalt Kolle sorgte für Furore mit seinen Aufklärungsfilmen (Zitat der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft bei der Sichtung eines Films: „Herr Kolle, Sie wollen wohl die ganze Welt auf den Kopf stellen, jetzt soll sogar die Frau oben liegen!“), die Berliner Kommune I ließ sich hüllenlos ablichten und selbst linke Magazine wie Konkret, Stern und Der Spiegel warteten einst mit Titelbildern auf, die in steter Regelmäßigkeit nackte Tatsachen zur Schau stellten.
Damals sprach man von sexueller Freiheit, einem neuen weiblichen Selbstbewusstsein und der Abkehr vom Bild der Frau, das vom Heimchen am Herd geprägt war. Heute scheint dies alles wieder in Frage gestellt. Anders ist es nicht zu erklären, dass eine Formation wie THE SOAPGIRLS Anfeindungen aufgrund ihrer freizügigen Bühnenshow erfährt und man sich als Besucher eines Konzerts des in Südafrika lebenden Trios rechtfertigen muss, warum man sich denn „so etwas“ anschaue. Dabei macht die Band nichts anderes als viele weitere Vertreter des Punk- und Rock‘n‘Roll-Genres zuvor: Wendy O. Williams von den PLASMATICS, Kembra Pfahler mit THE VOLUPTUOUS HORROR OF KAREN BLACK, Cristina Martinez von BOSS HOG, Mairi von CHRISTIAN DEATH, sie alle bestritten ihre Shows oftmals leicht bekleidet oder gar ganz nackt – und dies nicht etwa, um ein größeres Publikum zu locken, sondern zum einen aus einem inneren Bedürfnis heraus, zum anderen um zu untermauern, dass Frau auch in Bezug auf Rock‘n‘Roll-Attitüde und Skandal-Auftritte gleichberechtigt ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Wer anno 2019 tatsächlich noch Anstoß daran nimmt, dass Musiker – welchen Geschlechtes auch immer – sich nackt präsentieren, der hat weder den Geist des Rock‘n‘Rolls und Punks verstanden, noch toleriert er die künstlerische Freiheit des Individuums.
Ich bin ein ausgesprochener Freund von Musik-Acts, die live mehr als nur ihr Œuvre darbieten, sondern den Konzertbesuchern auch einen gewissen visuellen Unterhaltungswert liefern. Ob dies nun die RESIDENTS mit ihrem psychedelischen Musiktheater sind, EAT THE TURNBUCKLE, deren Musiker sich gegenseitig Neonröhren auf den Köpfen zerschlagen, das One-Man-Grindcore-Projekt ORGANES-FRITES MAN, das auf der Bühne Pommes frittiert oder die bereits erwähnten THE VOLUPTUOUS HORROR OF KAREN BLACK, deren Sängerin sich Eier in die Mumu schiebt und diese zum Bersten bringt, ist mir dabei gleich. Ich lasse mich gerne überraschen. Aus eben dieser Intention führte mich mein Weg gestern in den Yachtklub, in dem die SOAPGIRLS Station machten.
Diese bestehen zwar erst seit 2015, haben aber bereits drei Alben veröffentlicht. Geboren sind die Schwestern (Ca)Mille (Bass) und (Noe)Mie (Gitarre) in Frankreich, von wo aus ihre Mutter mit ihnen nach Kapstadt auswanderte, wo die drei bis heute leben. Der Bandname ergab sich durch die Tatsache, dass die Mädels bereits in frühester Kindheit Seife für gute Zwecke verkauften und den Namen kurzerhand beibehielten, als sie zu musizieren begannen.
Als Opener des Abends fungierte ein Pärchen namens Sascha & Eva, das melancholisch-träges Gitarrenspiel mit lasziven weiblichen Vocals mischte. Das klang zwar nicht schlecht, war mir als Anheizer für einen Punkrock-Gig aber schlicht zu einschläfernd, sodass ich es vorzog, auf der Terrasse im Mondschein einen Äppler zu genießen.
Dann war schließlich die Zeit der SOAPGIRLS gekommen. Kurz vor dem Auftritt kam ich mit deren Managerin Sam ins Gespräch, die mir erzählte, dass sie gerade den Soundmischer nach Hause geschickt habe und die Sache nun selbst in die Hand nehmen würde. Und das tat Sam dann auch. Doch nicht nur das, denn neben ihrem Job als Managerin ist sie auch die Mutter von Mille und Mie, kümmert sich um die T-Shirt-Designs, fährt den Tourbus, agiert als Roadie, designt die Kostüme für ihre Töchter und schreitet ein, falls jemand den Mädels zu nahe kommen sollte. Die Frau ist ohne Zweifel ein „tough cookie“ und hat diese Eigenschaft an ihre Töchter weitergegeben. Und auch wenn die beiden auf Promo-Fotos und CD-Covern wie aalglatte Pop-Sternchen daherkommen und der Sound überwiegend sehr poppig anmutet, so verfügen Mille und Mie doch über etwas, an dem es vielen vergleichbaren Acts – wie zum Beispiel HANDS OFF GRETEL und IDESTROY – mangelt: Eine Punk- und Asi-Attitüde, die ein Konzert des Trios sehenswert macht. Soll heißen, es wurde nicht nur seelenlos die Setlist runtergespielt, sondern die Frontfrauen erzählten, kommentierten und fluchten was das Zeug hielt.
Los ging‘s beispielsweise mit einem Kommentar, der sich an all jene richtete, die im Jahr 2019 trotz Naturkatastrophen, Hungersnöten, Kriegen und all dem Schlimmen, was auf dieser Welt geschieht, tatsächlich das freizügige Auftreten der SOAPGIRLS als Problem ansehen und ihnen Steine in den Weg legen. Nach einem beherzten „Fuck You“ an Kritiker und Hater legte das Trio schließlich los und gab sich dabei gar nicht so freizügig wie man es vielleicht hätte erwarten können. An diesem Abend spielte lediglich Bassistin Mille oben ohne, während sich Mie im Kleid und mit prunkvollem Kopfschmuck präsentierte.
Die Setlist hatten sich Mille mit Edding auf die Körper geschrieben, wobei ihre Bemalungen so wirkten, als ob sie versucht hätte, sich im Auto während der Fahrt über einen Rübenacker zu schminken. Geboten wurden hauptsächlich Tracks der Alben zwei und drei, die mir – vom Tonträger – größtenteils zu seicht sind, live aber einen Tick härter rüberkamen. Beide Schwestern sangen, wobei Milles Stimme weitaus härter und brachialer wirkte und sich auch mal in Growls und Schreien ausdrückte, was eine nette Abwechslung zum Bubblegum-Punk der SOAPGIRLS bot. Am besten gefiel mir das Trio immer dann, wenn es wie bei den Songs „Hate Breeds“ oder „Society‘s Rejects“ etwas härter und wilder zur Sache ging und der Kontrast zwischen Optik und Inhalt am größten war.
Unterm Strich machte das Ganze großen Spaß – und das nicht, weil es nackte Brüste zu sehen gab, sondern weil man der Band anmerkte, dass sie mit großer Leidenschaft und Wut im Bauch zu Werke ging und es einfach Laune machte, dies zu beobachten. Im Gegensatz zum Gig von HANDS OFF GRETEL gab es hier übrigens keine alten Herren auf Spannertour in der ersten Reihe, denn die war von Frauen besetzt, die sichtlich Freude am Gig der SOAPGIRLS hatten. Mein Herz in puncto Girl-Punk gehört noch immer den LUNACHICKS, aber die SOAPGIRLS legen live eine ähnliche Fuck You-Attitüde an den Tag, die man heutzutage kaum noch bei Vertretern des Punk-Genres finden kann.
Links: http://thesoapgirls.band/, https://www.facebook.com/thesoapgirls, https://thesoapgirls.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/thesoapgirls/, https://www.last.fm/music/The+Soap+Girls
Text: Marcus
Fotos & Clip: Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
Alle Bilder:
ich glaub ja nicht, dass es n problem ist, wenn sich irgendwer nackig macht. geht kaum was über nackt und dreckig auf der bühne, egal bei wem. n problem ist allerdings, wenn so n konzert eben genau damit angekündigt wird, dass es das wichtigste an der band ist, dass sie sich ausziehen und das, wo sie doch noch dazu so unglaublich gut aussehen, dass sie eigentlich auch models hätten werden können und ach ja, sie können sogar instrumente spielen. das hat halt dann gar nix mehr mit befreiung zu tun, sondern ist ein schmieriges relikt genau aus der denke, dass frauen sich halt ausziehen, wenn sie gut aussehen, um dem männlichen publikum ne freude zu machen – und eben nicht, weil sie rocknroll sind und da einfach bock darauf haben… ausziehen als teil der attitude yay, ausziehen als verkaufsargument nay. das ist ein riesenunterschied und hat nix damit zu tun, was dagegen zu haben, dass frauen sich auf der bühne ausziehen. das sollten sie – und überhaupt alle – viel öfter machen 😉