Schlachthof, Wiesbaden, 18.02.2016
Kennt noch jemand die THREE O’CLOCK HEROES? Ein rasant Dampf machendes Powertrio aus Frankfurt um die jetzige BORNHEIM BOMBe Jason Fretz, welches in den 90-er Jahren die Bühnen des Rhein/Main-Gebiets (und woanders auch) mit ihrem originären Mix aus Beat, Punk und Britrock begeisterte. Melodisch, heftig, energetisch. An die musste ich denken, als am gestrigen Abend die norwegische Combo THE CHEATERS als Support für den Headliner SPIDERGAWD (links) auf der Bühne des Kesselhauses im Schlachthof Wiesbaden stand. Auch drei Leute, auch ein singender Gitarrist und eine schwer arbeitende Rhythmus-Fraktion, die bei allem Schweiß versuchten, eine liebenswerte Leichtigkeit an das Publikum zu bringen.
Nun, was bei den HEROES in unserer Region immer funktionierte müssen sich die Skandinavier noch erarbeiten – die Menschen, die wegen SPIDERGAWD gekommen waren (also praktisch alle) kannten die CHEATERS noch nicht und rechneten vielleicht auch nicht mit solchen Sounds – es gab aber trotz aller Reserviertheit Sympathie-Bekundungen aus dem hinteren und einzig besetzten Drittel des Saales. Sänger Øyvind Skarsbø und Bassist Mats With Greger bezeichneten das Publikum als „schüchtern“ und kamen sich bestimmt vor wie Zootiere, aber da muss man nun mal durch als artfremder Support.
Fast artfremd. Rock’n’Roll (auf ihrer Facebook-Seite nennt die Band das „Punkrock“, *hüstel*) war das auch, großartig gespielt (vor allem getrommelt!) aber eben, nun ja, sehr poppig, sauber und adrett wie das gebügelte Hemd des stylischen Frontmanns. Das hatten die HEROES den Norwegern voraus – die richtige Dosis Straßenschmutz. War trotzdem fein und funktioniert im Sommer draußen wohl prima, als Anheizer für SPIDERGAWD war das jedoch nicht mehr als ganz nett. Hätte man also nicht so früh hin müssen für. Lust gemacht auf alte CDs hat die Band jedoch. Auf die der THREE O’CLOCK HEROES. Oder besser noch auf die der KINKS.
SPIDERGAWD waren vor gar nicht allzu langer Zeit auch noch Anheizer, nämlich auf der vorletzten Tour von KADAVAR. Am 23. Oktober 2014 spielten sie im Frankfurter Club „Das Bett“, das wegen des ständig wachsenden Erfolgs von KADAVAR bereits ausverkauft war. Der Name der Band sagte den wenigsten etwas, aber die Rhythmus-Truppe des Quartetts aus Trondheim/Norwegen besteht aus zwei Dritteln der Kultformation MOTORPSYCHO, die von ihren Anhängern aufgrund ihrer musikalischen Scheuklappenfreiheit und ihrem unfassbar weitem Klangvermögen abgrundtief verehrt wird – so tief, wie es sonst nur Bands wie den GRATEFUL DEAD, PEARL JAM oder BRUCE SPRINGSTEEN’S E-STREET BAND geht: Fans bauen ihren Jahresurlaub um die jeweiligen Tourneen, da kein Konzertabend wie der andere ist. Setlists werden ständig geändert, ein Riesenrepertoire an Songs steht zur Verfügung, die manchmal auch noch stark verändert präsentiert werden.
Boss von SPIDERGAWD ist jedoch Per Borten – Gitarrist, Sänger und Enkel des gleichnamigen norwegischen Ministerpräsidenten. Seine ehemalige Band CADILLAC scheint recht bekannt zu sein. Mit dem Saxophonisten Rolf Martin Snustad (links) sowie dem eben erwähnten MOTORPSYCHO-Bassisten Bent Saether und dem MP-Drummer Kenneth Kapstad bildet er die Rock- Formation SPIDERGAWD, die bis jetzt drei Alben veröffentlicht hat (I, II & III). Anders als in Frankfurt 2014 war Saether auf dieser Tour nicht dabei – da er noch als Mitglied auf der FB-Seite aufgeführt wird, hatte er vielleicht gerade wegen eines anderen Projektes keine Zeit. Der juvenile Aushilfsbassist war aber auch nicht von schlechten Eltern. Und die „Projekte“ des Drumtieres sind sowieso Legion: Neben dem bekannten Progjamspacehardrock mit Jazz-Anleihen bei MOTORPSYCHO spielt Kapstad noch bei der Folkband RESJEMHEIA, weiteren Jazz-Formationen sowie mindestens drei Metalbands, von denen GOD SEED, das Auffangbecken der geschassten GORGOROTH-Sickos um Gaahl und King Ov Hell, die bekannteste ist. Der Mann scheint echt zu mögen, was er tut.
Im Gegensatz zum CHEATERS-Gig verteilten sich die Gäste sofort im ganzen Raum, der damit gut gefüllt wirkte, jedoch trotzdem genug Luft ließ zum Bier holen und was sonst noch so anstand. Gegen 21.20 Uhr ging es los, Schlagzeuger Kapstad hatte vorher sein Kit direkt an den Bühnenrand geschoben und übernahm so aktiv das Zentrum der Band, neben und hinter dem die anderen drei Akteure in den folgenden knapp 80 Minuten Gas gaben. Von der Spielfreude toppte das den Auftritt vor KADAVAR noch um Längen – die Gruppe machte virtuos Druck und verbreitete einen Spaß an der Sache, der sich sofort auf das Publikum übertrug.
Ich hatte irgendwann Schwierigkeiten, meine Kamera nur noch zum Fotografieren zu benutzen – sie erschien mir als Instrument zum Luftgitarrespielen viel passender. Das war viel energetischer und großartiger als auf Schallplatte – die Songs stimmen da zwar auch, klingen aber wie ein laues, zahmes Lüftchen im Vergleich zum Liveabriss. Bei allem Respekt für sämtliche Beteiligten war es vor allem der völlig durchnässte Kenneth Kapstad, für den ich augenblicklich einen Fanclub gründen würde. Andere Schlagzeuger, gerade bei Metalbands, haben ein Equipment wie eine Musikmesse und spielen „Soli“, die man getrost zum Bierholen nutzen kann – hier wurde jeder Song solowürdig mit massig Drive und Punch veredelt, dass es eine konstante Freude war. Dabei ruhte der Blick Kapstads immer in Richtung der Fans und nahm diese im Wortsinne mit. Großes Kino. Zum Glück kann man ihn mit seiner großartigen Stammband bald an fast gleicher Stelle schon wieder erleben: MOTORPSYCHO spielen am 5. Mai in der Halle des Schlachthofs. Wir sehen uns.
Links: http://www.thecheaters.org/, https://de-de.facebook.com/cheatersoslo/, http://www.last.fm/de/music/The+Cheaters, http://spidergawd.no/, https://www.facebook.com/spidergawd, http://www.last.fm/de/music/Spidergawd
Text, Fotos & Clips: Micha
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