Jubez, Karlsruhe, 30.04.2022
Eigentlich, ich gebe es zu, war ich nur wegen MESSA bei diesem Konzertabend. Naja, fast. Aber hauptsächlich schon. Die 2014 im italienischen Padua gegründete Band fasziniert mich seit Erscheinen ihres ersten Drehers „Belfry“ im Jahr 2016, die beiden Nachfolger neben ihrer Livepräsenz 2019 auf dem Dudefest sowie dem Hammer Of Doom (zu beiden Veranstaltungen gibt es Berichte in diesem Blog) gaben mir verfallungs-technisch den Rest. Messa betouren aktuell ihr drittes Album „Close“, es ist ein Anwärter auf meine Jahres-Top-10 (eine Review dazu hier). Ein weiterer Grund des Erscheinens war das Dudefest an sich. Südlich des Roadburn Festivals gibt es keine für mich einigermaßen erreichbare Konzertreihe, die so stinkerfrei meine musikalischen Interessen abbildet. Würde ich in Karlsruhe leben wäre ich dort Teil des Inventars.
Bild oben: Messa, Bild Mitte: Siena Root, Bild unten: Carson
Dudefest, das bedeutet nicht nur ein Abfeiern bekannter Szenegrößen, sondern ebenso die Möglichkeit bisher Ungehörtes zu entdecken und mit Säcken voller neuer Tonträger die Heimreise anzutreten beziehungsweise den Plan, den kommenden Bandcamp-Friday exzessiv am Rechner zu verbringen. 2022 wird auch in Karlsruhe einiges nachgeholt, was in den Vorjahren der Pandemie zum Opfer fiel – die anvisierte Liste der Veranstaltungen ist lang wie nie. Es bleibt dabei abzuwarten, wie sich das Geschehen pandemie-technisch weiter entwickeln wird: Aktuell ist alles ohne Einschränkungen geöffnet und viele Konzertbesucher stürzen sich ausgehungert ins Geschehen. Andere wiederum bleiben vorsichtig und den Indoor-Veranstaltungen weiter fern. Oder sie besuchen das Event mit Maske. Die Startseite des Jubez beinhaltet noch den Appell an die sogenannte Eigenverantwortlichkeit mit der Hoffnung, dass sich vor dem Konzertbesuch getestet wird, Abstände eingehalten werden sowie Maske getragen wird. Durchsetzen lässt sich solch ein Wunsch nicht mehr, weder juristisch noch organisatorisch. Im Gegensatz zu den anderen drei Spielorten, die ich im April besucht habe, ging das Personal wie die Veranstalter im Jubez diesbezüglich jedoch mit gutem Beispiel voran – bei den Gästen sah das größtenteils anders aus, bei den Musizierenden sowieso (sieht man von WYATT E. ab, das seht Ihr später).
Spring Dude Fest 2, also. Neben MESSA kannte ich noch einen Namen auf dem Billing, nämlich SIENA ROOT, denen ich in diesem Blog hier schon mal huldigte und die seitdem ein paar Metamorphosen durchlaufen haben, dazu später mehr. Der Rest war mir nicht vertraut, auch nicht URAL UMBO, die mit geringer Verspätung im kleinen Raum starteten. Wobei die Verspätung wohl aus der
Ural Umbo
Hoffnung heraus entstand, dass noch ein paar Gestalten mehr die Leere vor der Bühne füllen würden. Die anscheinend zum Dudefest-Inventar gehörende Kino-Betreiberin aus Baden-Baden, auffällig wegen ihrer schönen, geschmackvollen Kutte voller Dudefest-kompatibler Klasseacts, spielte noch lautstark den Gong zum Beginn der Vorstellung nach um die wenigen am Merchtisch sowie an der Bar parlierenden Gäste vor den Ort des Geschehens zu lotsen. Im Fotografen-forderndem Rot (wenn überhaupt) illuminiert, startete das Trio um den Schweizer Reto Mäder sowie die Finnen Marko Neuman und Jukka Rämänen einen knapp 40-minütigen Dark Ambient-Trip. Mäder und Neuman dabei an den Knöpfen und Tasten; Rämänen, wie unter anderem auch bei DARK BUDDHA RISING oder HEXVESSEL, am Schlagzeug. Alle drei Musiker bilden ebenso die aktuelle Inkarnation der später aufspielenden SUM OF R. Ein verstörend-schöner Klangteppich, bei dem der ebenfalls bei DARK BUDDHA RISING sing-sprech-kreischende Neuman seiner Kehle Töne zur Untermalung dieses Soundtracks zwischen Lynch, Hitchcock oder Bava entlockt, die keine hörbaren Rückschlüsse auf die geschlechtliche Verortung der verursachenden Person zulassen und den Grad der Irritation damit extrem steigert. Das war einer dieser überraschenden Momente, die das Dudefest so wertvoll machen. Später Erscheinende haben echt was verpasst.
„We write music for gods“. Ihre so formulierte Selbstbeschreibung auf ihrer Bandcamp-Seite tröstet mich enorm darüber hinweg, dass ich quasi nichts verstehe über Beweggründe oder Konzept in Musik sowie Gebaren von WYATT E. aus Lüttich. Ursprünglich ein anonymes Trio, deren Schlagwerker 2018 starb – seitdem werden sie nur noch als Duo benannt, sind aber wieder/immer noch zu dritt. Die Identitäten der Musizierenden an den
Wyatt E.
Saiteninstrumenten wie an diversen Knöpfen und Pedalen sind inzwischen bekannt, die des Drummers konnte ich nicht finden. WYATT E. überzeugten bisher auf zahlreichen Festivals (Roadburn, Desert Fest, Stoned From The Underground, etc.) und touren aktuell als Support von MESSA. Ihr repetitiver Sound mit überlangen Stücken schaukelt den Zuhörer in neue Bewusstseinszustände und ihre Spielzeit verfliegt im Nu, ohne dass man im Nachhinein besondere Höhepunkte hervorheben könnte. Stéphane Rondia und Sébastien von Landau schwelgen dabei selbst mit fast ständig geschlossenen Augen hinter der Tracht mit den künstlichen Vollbärten (die nur als MNS durchgehen wenn man den falschen, also nasenfreien Gebrauch als Maßstab nimmt, der einem durch die gesamte Pandemie begleitet), unterbrochen nur durch gelegentliche Handzeichen, um ein Ende einzuleiten oder eine theatralische Pose im Nebel zu offenbaren. WYATT E. ließen mich etwas ratlos, doch gleichermaßen extrem für sich eingenommen zurück. Ihre Werke laufen seit dem Dudefest bei mir in Dauerschleife.
Schnell zurück in den kleinen Raum, viel Umbau musste dort nicht geschehen in den letzten 50 Minuten. SUM OF R sind, wie gesagt, identisch mit den vorher erlebten URAL UMBO – Reto Mäder hatte jetzt jedoch einen Bass umhängen. Ein Gast verstärkte das Trio dafür an den Knöpfen, zu Beginn aufmunternd angefaustet von Marko Neuman, der in den nächsten 50 Minuten einen
Sum of R
stimmlichen Wahnsinns-Parcours von sanftem Gesäusel bis zur exaltierten Verausgabung zurücklegte. Dark Ambient wich hier einem doomigen Sludge-Geprügel mit einer Gurgel aus der Hölle. Eine weitere Steigerung zu den hochklassigen Darbietungen vorher, inzwischen auch durchaus ansprechend gefüllt, war das noch zu toppen?
Subjektiv: Ja. Wobei die Soundvielfalt bei MESSA durchaus gediegener zum Tragen kommt als bei SUM OF R vorher, vergleichbar ist hier eher der Spirit und die stilistische Offenheit der Akteure. MESSA schien der eigentliche Headliner zu sein, so voll wurde es nie wieder vor der Bühne des Jubez. Die 50 gespielten
Messa
Minuten mit Schwerpunkt auf dem aktuellen Geniestreich „Close“ sind in meiner Welt nicht weniger als anbetungswürdig. Lead-Gitarrist Alberto verzichtete diesmal auf Keyboards und sowieso auf Instrumente wie die im Studio benutzte Oud oder Mandoline, zauberte aber ganz lässig bei „Suspended“ ein Django Reinhardt-mäßiges Gitarrensolo (nachdem er den Song mit einem Geigenbogen selbst eingeleitet hatte), sodass man den Eindruck bekam er könnte auch nur mit einer Triangel bewaffnet den Abend reißen. Mit Sängerin Sara an seiner Seite sowieso. Unverständlich nur, dass die geplätteten Gäste auch hier nicht nach einer Zugabe brüllten, enger Zeitplan hin oder her. Besser würde es nicht mehr werden an diesem Abend.
Streng genommen fing nun ein anderes Konzert an. Die Festival-Headliner SIENA ROOT brachten ebenso wie MESSA ihren Support mit nach Karlsruhe, die Schweizer CARSON. Auch sie waren mir bisher unbekannt. Gegründet vom Sänger wie Gitarristen Kieran Jones 2011 in Neuseeland und in Luzern zum jetzigen Trio gereift, bestach die Formation vor inzwischen deutlich geleertem
Carson
Auditorium mit einer enormen Spielfreude und einem Sound, wie man ihn eher aus der amerikanischen Wüste erwartet. Das bekommt sicher keinen Originalitätspreis, wurde jedoch durchaus ansprechend präsentiert, wenn man sich darauf einlassen wollte. Was auf mich nur bedingt zutraf. Seit der Pandemie habe ich zum Einen einiges an Kondition verloren, was den Aufenthalt auf Steh-Konzerten angeht – ich mute mir von daher nur noch Live-Musik zu, die mich wirklich begeistert. Sounds, die ich in meiner über 40-jährigen Konzerterfahrung bereits über Gebühr erfahren durfte, gehören da einfach nicht mehr dazu. Können CARSON nichts dafür. Ist aber nicht mehr meine Tasse Tee.
Auf SIENA ROOT schließlich trifft das ebenso zu. Wobei: Nicht nur ich habe mich verändert seit unserem letzten Zusammentreffen 2013, bei dem ich hier äußerst positiv berichtete: Die Schweden, die sich mehr als Kollektiv denn als Band beschreiben, taten dies ebenso. Neben Gründungsmitglied und Bassist Sam Riffer herrscht ein Kommen und Gehen im Gefüge, Gitarrist Johan Borgström sowie Stimme/Organistin Zubaida Solid prägen den Sound seit Februar 2020.
Siena Root
Die Bandseite weist über 25 ehemalige Mitmusizierende auf, die zum Teil mit Sitar und weiteren Instrumenten glänzten, die man bei der aktuellen Formation durchaus vermissen kann. Also, ich tu das zumindest, auch wenn Borgström an einer Stelle seine E-Gitarre zur Sitar mutieren ließ. Auf dem Papier vergleichbar mit Ikonen des Kifferrocks mit Sängerin wie zum Beispiel JEFFERSON AIRPLANE oder ATLANTIS/FRUMPY mit Inga Rumpf, können SIENA ROOT meines Erachtens qualitativ kein Stück mit eben diesen mithalten – noch nicht einmal mit den Zeitgenossen BLUES PILLS, um ehrlich zu sein. Den verbliebenen Gästen gefiel jedoch die Rundreise durch die vergangene Diskografie, bevor SIENA ROOT im Herbst 2022 mit neuem Tonträger auf Headliner-Tour gehen (zu sehen unter anderem im Colos-Saal Aschaffenburg am 14. September). Sie entlockten dem Quartett als einzige Formation des Abends eine Zugabe. Währenddessen waren die Akteure der Bands, die mich vorher beeindruckten, beim verdienten Feierabendbier in diverse Schwätzchen vertieft. Die Kinobetreiberin mit der schönen Kutte klapperte dabei alle MESSA-Musikanten ab, holte sich Autogramme und am Ende sogar noch eine herzliche Umarmung von Sara höchstselbst. Gebe zu, ich war ein wenig neidisch.
Links: https://sienaroot.com/, https://sienaroot.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Siena+Root, https://www.facebook.com/MESSAproject/, https://messaproject.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Messa, https://www.sumofrofficial.com/, https://sumofr.bandcamp.com/, http://www.uralumbo.com/, https://uralumbo.bandcamp.com/, https://www.facebook.com/Wyattdoom/, https://wyattdoom.bandcamp.com/, https://www.carsonband.com/, https://www.facebook.com/carsonofficial/
Text & Fotos: Micha
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