Exzess, Frankfurt, 9.11.2013
Wer in Frankfurt und Umgebung aufgewachsen ist und eine Affinität zu politischem Punk hat, kommt an einer Band ganz sicher nicht vorbei: den STAGE BOTTLES. Ich sah sie schon in ihrer Anfangszeit, u. a. im damals noch in der Varrentrappstraße gelegenen Juz Bockenheim. Die Auftritte hatten, wenn ich mich recht erinnere, zuweilen den Charakter einer öffentlichen Probe und es ging mitunter etwas chaotisch zu. Wenig später, 1995 war das, erblickte mit „Corruption & Murder“ schon die erste LP das Licht der Welt und im November desselben Jahres eröffneten sie für Hochkaräter wie ONE WAY SYSTEM in der Rödelheimer Au. Man konnte bereits damals erahnen, dass die Jungs noch von sich reden machen würden. Inzwischen haben sie acht Longplayer sowie einige Splits und 7“ herausgebracht und sind weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Vor wenigen Wochen kündigte die Band nun eine große Sause zu ihrem 20-jährigen Bestehen an. Junge, wie die Zeit vergeht.
Als „Beistand“ wurden mit LOADED, ATTILA THE STOCKBROKER’S BARNSTORMER (Fotos unten) und THE MOVEMENT illustre Support-Acts eingeladen, als Ort der Festivität wurde das Bockenheimer Exzess gewählt, und zwar die große Halle. Zu Recht: Wer nicht rechtzeitig kam, der musste entweder den Heimweg antreten oder lange auf Einlass warten. Denn der
Saal war spätestens nach der zweiten von vier Shows picke-packe voll. Die Riesenhalle zu füllen haben in den vergangenen Jahren nur die wenigsten Bands geschafft. Und wer den Abend miterleben konnte, wird mir beipflichten, dass der Rahmen eines derartigen Jubiläums mehr als würdig war. Doch ich will den Gaul nicht von hinten aufzäumen, sondern halbwegs chronologisch vorgehen.Zuerst durften LOADED ran, von denen ich allerdings aufgrund des frühen Beginns nur noch die Schlussakkorde mitbekam und daher nicht viel über den Auftritt sagen kann. Danach betrat ein Musiker die Bühne, den ich ungemein schätze und der bei seinen früheren Gigs in Frankfurt, sei es im Uni-KOZ oder an gleicher Stelle, stets für hervorragende Konzerte gut war: ATTILA THE STOCKBROKER. Der inzwischen 56-jährige Singer/Songwriter aus Brighton (England) trat mit seiner Band BARNSTORMER auf, die im kommenden Jahr auch schon 20 wird. Zu Beginn bekräftigte er gleich mehrmals, dass es eine große Ehre für ihn sei, eingeladen worden zu sein und er passte, wie ich finde – sowohl als Bruder im (antifaschistischen) Geiste wie auch der Musik – perfekt zu den STAGE BOTTLES und zu dem Event.
Höhepunkte der Show des Mannes, der bereits seit 33 Jahren auf Bühnen in aller Herren Länder zuhause ist, laut Webseite auf die Erfahrung von 2900 Auftritten und Songs aus 25 Alben zurückgreifen kann, waren für mich die Hymne „This is free Europe“ (einer meiner All-Time Favs), „Baghdad Ska“ vom großartigen „Zero Tolerance“- Album, das extrem tanzbare „Looters“ und „And I won’t run away“ (siehe den Clip dazu weiter unten). Des weiteren integriert Attila, und das dürfte im Genre des Punk ziemlich einzigartig sein, Klänge von Blockflöte (teilweise spielte er auf zwei Exemplaren gleichzeitig), Geige und einer riesigen Bassflöte in seine Musik. Skurril, aber es funktioniert. Die Texte thematisieren die Missstände in unserer Gesellschaft, Armut, Globalisierung, Bankenmacht, rechte Gewalt oder Krieg ebenso provokant wie differenziert.
Zwischen den Songs nippte Attila an seinem Apfelwein und erzählte mal mehr, mal weniger politische Geschichten. Zum Beispiel, dass er THE CLASH noch live gesehen und sich daraufhin sein Leben in Richtung Punk verändert habe oder dass er den STAGE BOTTLES besonders hoch anrechne, in Moskau gespielt zu haben (was dort aufgrund rechtsradikaler Gewalttaten tatsächlich eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten kann).
Zum Schluss kündigte er an, beim Gig des Headliners noch einmal auf die Bühne zu kommen, um ein selbst verfasstes Gedicht vorzutragen. Als ich mich mit ihm im Anschluss an seine Show unterhielt, versprach er, auf der Tour zum 20-jährigen BARNSTORMER-Jubiläum 2014 wieder nach Frankfurt zu kommen. Allen, die die Show diesmal verpasst haben, sei sie hiermit ausdrücklich empfohlen.
Nach ATTILA THE STOCKBROKER präsentierten sich THE MOVEMENT aus Dänemark, auf die ich an dieser Stelle nicht detailliert eingehe, da wir ja erst im Sommer in diesem Blog über sie berichtet hatten (hier). Sie haben einen neuen Bassisten namens Sebastian Page am Start, der zwar einwandfrei spielte, aber einen Charakterkopf wie seinen Vorgänger Chandu Chodavarapu nur unzureichend ersetzen kann, zumindest, was dessen Bühnenpräsenz angeht. Den meisten Zuhörern war’s egal, die skandinavischen Mods sind nach wie vor beliebt und ließen auch diesmal nichts anbrennen.
Als vierte und letzte Band des Abends standen dann die Jubilare höchstselbst auf dem Programm. Das Line-Up der STAGE BOTTLES hat, wenig verwunderlich, im Laufe von zwei Dekaden einige Umbesetzungen erfahren. Kopf und einziges
verbliebenes Mitglied der Urformation ist Olaf (Gesang und Saxophon), Gitarrist Marcel ist auch schon seit 1997 dabei. Des weiteren gehören Kimba (Bass), Slavko (Gitarre) und O2 (ebenfalls Olaf) am Schlagzeug aktuell zur Combo. Die stellte passend zur Feier gleich ihr neues Album „Fair Enough“ vor, dem der Opener „Sometimes I’m still up for a fight“ sowie im Verlauf des Gigs vier weitere Songs entstammten.Bereits von Beginn an gab’s Bierduschen und einen schön schwitzigen, großen Moshpit, in dem sich zwar niemand was schenkte, aber auch niemand durch übertriebene Aggressivität auffiel (ich fing mir lediglich einen Pferdekuss ein, der mich noch drei Tage an diesen großen Party-Abend des Fäustereckens, Mitsingens und Abtanzens erinnern sollte). Nach ein paar Songs fanden zu „I may be impolite“ aufblasbare Plastik-Gitarren dankbare Abnehmer in den dichten Reihen der Zuhörer, wurden fortan als Flugobjekte eingesetzt und sorgten über den Köpfen für Verwirbelungen des verräucherten Luftstroms.
Das knapp zwei Dutzend Tracks umfassende Set bot aus allen bisherigen LP-Releases mindestens ein bis zwei Stücke, so dass die Show einen guten Querschnitt des bisherigen
Schaffens der STAGE BOTTLES darstellte. Und das ist bei einem Jubiläumsabend ja durchaus angebracht. Zu einigen Songs kamen ehemalige Mitglieder auf die Bühne, darunter die Drummer Till („Antisocial Antifascist“), Frank („New Flag“) und Simon („Power for revenge“), Easy Dan an der Gitarre (u. a. „Too young to die“, „Russia“) und Genschi am Bass („Millions of stupid people“). Bei Songs wie „Itchy Life“ und „One World One Crew“ sorgte außerdem ein Mädels-Chor für Abwechslung in Aug’ und Ohr. Auch die ein oder andere Cover-Version wie zum Beispiel „You’ll never walk alone“ oder „Solidarity“ (die wir kürzlich, ebenfalls mit Olaf am Mikro, beim ANGELIC UPSTARTS-Konzert gehört hatten, Bericht hier) fand erwartungsgemäß Aufnahme in das Set.Zwischendurch flogen, seltsam aber wahr, mehrfach Blumen (!), Plüschtiere (!!) und sogar ein roter Slip (???) auf die Bühne. Irgendwann stand Frontmann Olaf dann mit einem Plüschtier in der einen und einem Blumenstrauß in der anderen
Hand da und rief schmunzelnd: „Und dafür habe ich nun 20 Jahre gearbeitet!“. Ja, so kann’s gehen. Applaus und Anerkennung dürften allerdings, und das nicht nur an diesem Abend, die Mühen wert gewesen sein. Bei der zweiten Zugabe gesellte sich noch ATTILA THE STOCKBROKER zur versammelten STAGE BOTTLES-Familie, um beim Song „Antisocial Antifascist“ dabei zu sein (rechts). Seht Euch dazu den Clip weiter unten an, lohnt sich.Ein kurzweiliger und intensiver Abend, an den ich mich nicht zuletzt dank der limitierten und sehr schön aufgemachten Single zum 20-jährigen Jubiläum noch lang erinnern werde. Die steht im Regal nun neben der 7“, die im Oktober 1998 beim fünfjährigen Jubi-Fest im Frankfurter Cave verteilt wurde.
Aus den Buben der Anfangstage ist im Laufe der Jahre eine Band geworden, die sich über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht hat, sich klar positioniert und ihre politische Überzeugung im Kampf gegen Rechts wie eh und je zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus eines der besten Aushängeschilder des linken Oi in Deutschland und der schmerzende Eiterpickel am Sitzfleisch aller Andersdenkenden, ganz nach dem STAGE BOTTLES-Motto „Sometimes antisocial – always antifascist“.
Setlist: Sometimes I’m still up for a fight – Fair enough – I’ll never understand – Mr. Punch – All you need is hate – I may be impolite – Sailing close to the wind – Millions of stupid people – Russia – Have your fun – Power for revenge – Too young to die – Hooligan – Itchy life – Come together – Young until I die / New flag – You’ll never walk alone // One world one crew – Solidarity – Antisocial antifascist
Links: http://www.stagebottles.de/, https://myspace.com/stagebottles, http://www.lastfm.de/music/Stage+Bottles, http://www.attilathestockbroker.com/, https://myspace.com/attilastockbroker, http://www.reverbnation.com/attilathestockbroker, http://www.lastfm.de/music/Attila+The+Stockbroker
Text & Fotos (6): Stefan / Fotos (28): Frank
Fotos (7) & Clip (Attila): Kai / Fotos (6): Boris
Clip (Stage Bottles): aufgenommen am Konzertabend von MrFraenks
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